Eine Gruppe von Menschen steht bei Nacht im Garten des Haus der Berliner Festspiele.

© Berliner Festspiele, Foto: Fabian Schellhorn

Theatertreffen-Blog

Aufstrebende theaterbegeisterte Kulturjournalist*innen begleiten und reflektieren kritisch das Theatertreffen auf theatertreffen-blog.de sowie auf Instagram.

Die Blogger*innen 2025

Fünf Blogger*innen sind eingeladen, das Theatertreffen mit verschiedenen journalistischen Formaten zu begleiten und kritisch zu reflektieren.

Macht und Ohnmacht des Ich

Mit einer eigenen mutigen Haltung auf die Welt können wir immer noch wirksam werden

von Grete Götze

Verantwortlich für Konzeption und Redaktion Theatertreffen-Blog 2025

Es ist eine Zeit voller fundamentaler gesellschaftlicher Umbrüche. Die Angst vor dem wirtschaftlichen Niedergang geht um, verbunden mit einem Erstarken rechtspopulistischer Parteien. Die Meinungsfreiheit ist bedroht, angesichts immer mehr autokratischer Herrscher auf der Welt, die sich über die Gesetze ihrer eigenen Länder hinwegsetzen oder sie einfach ändern. Auch das westliche Selbstverständnis, im Schutze der USA als größter Demokratie der Welt zu leben, ist erschüttert. Selbst die konservativen Parteien, die sonst so gerne sparen, machen Abermillionen Euro im Haushalt locker, damit Europa sich im Kriegsfalle selbst verteidigen könnte. Während wenige Superreiche immer mehr beeinflussen dürfen, steht die eigene Wirksamkeit infrage.

Das Ich ist überfordert von der Welt. Sieht sich einem übermächtigen Außen gegenüber. Diese Setzung zeigt sich auch in loser Folge in der diesjährigen Auswahl des Theatertreffens. Kim de l’Horizons Roman „Blutbuch“, dessen Dramatisierung aus Magdeburg eingeladen wurde, ist der Blick auf die Ich-Werdung eines Schweizer Kindes in einer als übermächtig wahrgenommenen Außenwelt, zunächst repräsentiert von liebevoll übergriffigen Frauenfiguren. Auch in Alice Birchs Überschreibung von Lorcas „Bernarda Albas Haus“ unterdrückt die Titelträgerin Bernarda ihre erwachsenen Töchter als Reaktion auf die angeblich böse Gesellschaft, die draußen vor der Tür der Frauen lauere.

Die Dramatisierung von Dinçer Güçyeters Roman „Unser Deutschlandmärchen“ ist eingeladen, eine Geschichte aus der ersten Gastarbeiter-Generation, die zwar von einer Familie ausgeht, aber dabei viel über die Gesellschaft erzählt. Auch in Bertolt Brechts „Die Gewehre der Frau Carrar“ über den spanischen Bürgerkrieg, das zusammen mit Björn SC Deigners zeitgenössischem Text „Würgendes Blei“ aus München eingeladen ist, stehen die Bedingungen, die das Ich vorfindet, schon fest. Dass der Krieg tobt, kann die Kriegswitwe Teresa Carrar nicht beeinflussen, die Frage ist, wie sie sich dazu verhält, ob sie und ihre Söhne mitmachen im Krieg gegen die Faschisten. Schließlich die Opern-Performance „Sancta“, in der Florentina Holzinger Paul Hindemiths Kurzoper „Sancta Susanna“ ausgehend vom sexuellen Erweckungserlebnis einer Nonne zu einer weiblichen Abrechnung mit der als übermächtig empfundenen katholischen Kirche macht und nur viele Ichs gemeinsam ihr etwas entgegensetzen können.

Doch was hat das jetzt mit dem Nachwuchskritiker*innen-Forum des Theatertreffens zu tun? Nachdem es 2024 um unterschiedliche Perspektiven auf Theaterkritik ging, soll in diesem Jahr wie in einigen der Inszenierungen das Ich Ausgangspunkt der Kritiker*innen sein. Alle eingeladenen Produktionen hatten bereits Premiere, wurden vielfach rezensiert. Wir wissen, dass sie „bemerkenswert“ sein sollen, die dritte Person Singular wurde schon bemüht. Wie aber geht es den Nachwuchsbloggern und Bloggerinnen selbst mit den Inszenierungen? Vor welchen Schwierigkeiten steht etwa eine Kritik, die sich offen zur Subjektivität bekennt und in der ersten Person spricht? Wie schwer ist es, eine eigene Meinung zu formulieren, die von denen der bekannten Kritiker*innen abweicht?

Neben Möglichkeiten der Vernetzung, dem Erproben von Journalismus unter Echtzeitbedingungen und vielen Inputs soll es in diesem Jahr also besonders um die eigene Haltung zu Inszenierungen und den daran Beteiligten gehen. Hierfür kommt etwa die Radiokritikerin Barbara Behrendt zu Besuch, die mit den Nachwuchsjournalist*innen in Radiogesprächen erprobt, mit ihrer Stimme, aus ihrer Perspektive zu schildern, wie sie einen Abend erlebt haben. Worauf man achten muss, um seinen Eindruck im Bewegtbild für Social Media zu schildern, zeigt uns der Journalist Elliot Douglas. Außerdem kommt Peter Kümmel zu Besuch, der Theaterkritiker der Zeit. Auch Christian Rakow vom Online-Theaterfeuilleton nachtkritik.de spricht mit uns, das seinerzeit durch das Etablieren der Kommentarfunktion den subjektiven Zugang zu Theater mitgeprägt hat.

Und der Schriftsteller Dinçer Güçyeter besucht uns. Sein Debüt-Roman „Unser Deutschlandmärchen“ zeigt, dass ein persönlicher Blick auf die Welt auch sehr politisch sein kann. Die Weltordnung mag ins Wanken geraten sein, aber Selbstwirksamkeit fängt immer noch damit an, aus der eigenen Perspektive auf die Welt zu blicken. Um dann Schritt für Schritt etwas an ihr zu ändern, manchmal auch gemeinsam. Ich freue mich darauf.

Das Theatertreffen-Blog

Das Theatertreffen-Blog unter konzeptioneller und redaktioneller Verantwortung von Grete Götze und Tamara Marszalkowski versteht sich als Werkstatt-Redaktion, in der Theater-und Kulturjournalismus im Kontext eines laufenden Festivals erprobt werden. Es begreift sich als Nachwuchsförderung für Publizist*innen, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen, und möchte vielfältigen Stimmen den Zugang zur Medien-und Kulturwelt ermöglichen.

Circa fünf aufstrebende Kulturjournalist*innen berichten im Rahmen eines Stipendienprogramms kritisch vor Ort vom Theatertreffen. Dabei sollen Perspektiven geschärft und erweitert, das Konzipieren und Durchführen journalistischer Formate entwickelt und neue Zugänge zur Auseinandersetzung mit theatralen Formen erprobt werden. Bewerbungen für das Theatertreffen-Blog sind im Rahmen eines Open Calls möglich, der jeweils in den letzten Wochen des Jahres veröffentlicht wird.

Geschichte

Der Umzug der Festivalzeitung, die von 2005 bis 2008 in Zusammenarbeit mit der Berliner Zeitung entstand, in das Internet vergrößerte die Reichweite und die Transparenz der Festivalberichterstattung: Diskussionen über die zum Festival eingeladenen Produktionen konnten nun orts- und zeitunabhängig verfolgt werden und das Publikum hatte die Möglichkeit, sich über die Kommentarfunktion kritisch zu beteiligen. Die Ausweitung der Ausschreibung auf nicht nur deutsch-, sondern auch englischsprachige Teilnehmer*innen führte zu einer Internationalisierung der Debatten. Und schließlich führte die Voraussetzung, ein eigenes Blog zu haben, zu Teilnehmer*innen, die bereits aktiv im Netz sind.

Das Theatertreffen-Blog ist inzwischen als eigenständige digitale Marke fest in der Medienlandschaft etabliert. Es wurde als Originalquelle etwa bei Guardian Online, nachtkritik.de oder bei dem feministischen Blog maedchenmannschaft.net verlinkt. Zu den Medienpartnern des Theatertreffen-Blogs zählten bisher die Berliner Zeitung, EXBERLINER, 3sat/Kulturzeit, kultiversum.de, Theater der Zeit, ZEIT ONLINE und die Bloggerinnen Mary Sherpe von stilinberlin.de und Johanna von Stülpnagel von redenswinger.de/blog. Die Partner*innen unterstützten die Arbeit der Blog-Redaktion personell durch die Freistellung von Redakteur*innen als Mentor*innen, medial durch die Verlinkung, inhaltlich durch eigene Beiträge.

Gefördert wurde das Theatertreffen-Blog 2011 bis 2015 von der Rudolf Augstein Stiftung. Seit 2016 wird das Theatertreffen-Blog von der Stiftung Presse-Haus NRZ gefördert.

Gegründet wurde das Theatertreffen-Blog 2009 von Nikola Richter, die es bis 2013 leitete. In den Jahren 2014 und 2015 übernahm Bianca Praetorius die Projektleitung. Von 2016 bis 2021 leitete Janis El-Bira das Theatertreffen-Blog. 2022 übernahmen Antigone Akgün und Ozi Ozar die Konzeption und Redaktion des Projekts. Im Jahr 2023 fand das Theatertreffen-Blog unter der Leitung von Antigone Akgün in enger Zusammenarbeit mit Zofia nierodzińska statt. Seit 2024 sind Grete Götze und Tamara Marszalkowski für Konzept und Redaktion verantwortlich.

Gefördert von

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