Horațiu Rădulescu

Horaţiu Rădulescu, 1942 in Bukarest, Rumänien, geboren, studiert zunächst privat Violine bei Nina Alexandrescu, einer Schülerin von Enescu, und später Komposition an der Musikakademie von Bukarest, wo Stefan Niculescu, Tiberiu Olah und Aurel Stroë, einige der führenden Persönlichkeiten der neu heraufkommenden Avantgarde, seine Lehrer waren. 1969, nach seinem Studienabschluss, verließ er Rumänien und ließ sich in Paris nieder, wo er 1974 auch die französische Staatsbürgerschaft annahm.

Sein erstes in Paris komponiertes Werk „Credo für neun Cellos“ war auch sein erstes Werk, in dem er die für ihn charakteristischen spektralen Techniken anwandte. Diese Technik „umfasst eine variable Verteilung spektraler Energie, die Synthese von globalen Klangquellen, Mikro-und Makro-Form als Klangprozess, vier gleichzeitige Schichten der Wahrnehmung und der Geschwindigkeit und die spektrale Skordatur, d.h. Reihen ungleicher Intervalle, die sich auf harmonische Skalen beziehen“ (Rădulescu 1993). Diese Techniken hat er in den folgenden Jahrzehnten wesentlich ausgearbeitet und weiterentwickelt. In den frühen 70er Jahren besuchte er Kompositionsklassen von John Cage, György Ligeti, Karlheinz Stockhausen und Iannis Xenakis bei den Internationalen Ferienkursen in Darmstadt und von Luc Ferrari und Mauricio Kagel in Köln. In den Jahren 1972 und 1973 präsentierte er seine Musik auch in der Klasse von Olivier Messiaen am Pariser Konservatorium. Ebenfalls ab den frühen 70er Jahren wurden seine Werke bei den damals führenden Festivals zeitgenössischer Musik aufgeführt, so in Utrecht, Darmstadt, Royan, Metz und Donaueschingen. Von 1979 bis 1981 studierte er computergestützte Komposition und Psychoakustik am IRCAM in Paris. In seiner Musik setzt er jedoch nur selten elektronischer Mittel bei der Klangproduktion ein. 1983 gründete er das Ensemble Lucero in Paris, 1991 folgte die Gründung des Lucero Festivals.

Mitte der 80er Jahre lebte er zeitweise in Freiburg in Deutschland, behielt aber eine Wohnadresse in Versailles bei. 1988 verbrachte er in Berlin als Gast des Berliner Künstlerprogramms des Daad, und in den Jahren 1989–1990 war er Stipendiat der Villa Medici. Anschließend zog er in die Schweiz, lebte dort zunächst in Clarens und dann in Vevey. Horatiu Rădulescu starb am 25. September 2008 in Paris.

Rădulescus spektrale Kompositionstechnik, so wie er sie in den 1970er Jahren und danach entwickelt hat, unterscheidet sich erheblich von der seiner französischen Zeitgenossen Gérard Grisey und Tristan Murail. Sein kompositorisches Ziel, skizziert in seinem Buch „Sound Plasma“ von 1975, war, die historischen Kategorien der Monodie, Polyphonie und Heterophonie hinter sich zu lassen und musikalische Texturen zu erschaffen, in denen alle Elemente in einem konstanten Fluss sind. Zentral für diese Vorstellung ist die Erforschung des harmonischen Spektrums, mit Hilfe neuer Spieltechniken die Partialtöne von komplexen Klängen hervorzubringen, diese mitunter zu isolieren, um auf diesen dann neue Spektren aufzubauen. Die harmonischen Beziehungen in seiner Musik basieren auf diesen Spektren und auf dem Phänomen der Summations- und Differenztöne. Die Klanglichkeit am Anfang seines Vierten Streichquartett (1976–1987) beispielsweise basiert auf den 21., 22. und 43. Oberton des Grundtons C; ein Beispiel für die „selbst-generierenden Funktionen“ in seiner Musik, denn die Obertöne 21 und 22 ergeben in der Summe 43 und aus der Differenz 1 generiert sich der Grundton. Viele seiner Streichermusiken benutzen eine „spektrale Skordatur“, bei der die Saiten neugestimmt werden, oft um die Partialtöne eines einzigen harmonischen Spektrums zu simulieren.

Viele von Rădulsecus späteren Werken erhalten ihre poetische Inspiration aus dem „Tao te ching“ von Laotse. Die Titel seiner Zweiten, Dritten, Vierten, Fünften und Sechsten Klaviersonate und des Fünften und Sechsten Streichquartetts beispielsweise sind dieser Quelle entnommen. Die Klaviersonaten wie auch das Klavierkonzert „The Quest“ (1996) und andere Spätwerke integrieren Volksliedmelodien aus seinem Heimatland Rumänien in seine spektrale Technik.

Stand: Februar 2019