Pressemeldung vom 25.1.2024

Wortmarke Gropius Bau

Nancy Holt: Circles of Light

Der Gropius Bau freut sich, die bisher umfassendste Präsentation des Werks von Nancy Holt in Deutschland zu zeigen. Nancy Holt (1938–2014) hat die Möglichkeiten der Kunst, sich mit wesentlichen Fragen zu Natur, Ökologie und der visuellen Wahrnehmung unserer Umwelt auseinanderzusetzen, neu definiert. Über fünf Jahrzehnte schuf sie ein richtungsweisendes Werk aus Text, Poesie, Fotografie, Film, Video und Land Art. Immer wieder experimentierte sie mit Sound, Bild und Objekten, um neu auszuloten, was Kunst sein kann und wo sie zu finden ist.

Circles of Light ist eine Reise durch Holts Schaffen, ausgehend von ihrem ersten Werk aus dem Jahr 1966. Die Ausstellung erstreckt sich über das Erdgeschoss und den Lichthof des Gropius Bau und stellt Holts experimentelle Herangehensweise an das Zusammenspiel von Immateriellem und Materiellem in den Mittelpunkt. Sie erforscht Holts Gebrauch von Sprache und Stimme, ihre Aufmerksamkeit für Ökologie und Ressourcen sowie ihre kollaborativen Arbeitsmethoden. Auf diese Weise unterstreicht Circles of Light die Einzigartigkeit von Holts Oeuvre und demonstriert ihre Vorwegnahme heutiger Diskurse über die Ausbeutung natürlicher Landschaften und den Platz des Menschen in der Umwelt. Holts Interesse an der Verbindung von Kunst und Wissenschaft, Material und Wahrnehmung entfaltete sich zu einer einzigartigen Praxis, welche die Poetik des Raums, der gebauten und natürlichen Landschaft und die menschliche Rolle im Kosmos erforscht.

Holt wurde 1938 in Massachusetts geboren und wuchs in New Jersey auf. Mitte der 1950er Jahre kehrte sie für ihr Biologiestudium in ihren Heimatstaat zurück, um daraufhin in New York als Künstlerin zu arbeiten. Im Jahr 1966 – während sie als Literatur-Redaktionsassistentin für die Zeitschrift Harper’s Bazaar arbeitete – schuf sie ihre ersten Kunstwerke. Diese Konkrete Poesie behandelt die Sprache selbst als Material. Schon bald übertrug sie ihre sprachlichen Experimente vom Papier auf die Landschaft, indem sie ihre Stimme und das Medium der Fotografie einsetzte. Für das multimediale Schlüsselwerk Stone Ruin Tour (1967) nahm Holt einen Rundgang durch Ruinen in Cedar Grove, New Jersey, auf einem Tonbandgerät auf. Dieses frühe Beispiel der Land Art – bestehend aus Holts Stimme, einer Diashow, Fotografien und einer Transkription – dokumentiert den Weg durch einen, wie sie es nannte, „verfallenen, labyrinthischen Garten mit Steinmauern, Aussichtspunkten und verschwindenden Treppen in den Wäldern des nördlichen New Jersey“.

Holt interessierte sich dafür, wie Menschen einerseits Sprache nutzen, um natürlich in der Umgebung vorhandene Systeme zu erklären, und andererseits Systeme erfinden, um die Natur zu kontrollieren. Dem Einsatz von Stimme und Fotografie in Stone Ruin Tour folgten bald Film- und Videoarbeiten, die wichtige Beiträge zur Geschichte des experimentellen Films und Videos leisteten. Circles of Light präsentiert eine umfangreiche Auswahl dieser Arbeiten – darunter mehrere Kurzfilme aus den frühen 1970er Jahren, die zum ersten Mal ausgestellt werden, sowie Holts Fotoserien, die wie visuelle Gedichte gelesen werden können.

Mit der Zeit erforschte Holt die vielen natürlichen und artifiziellen Systeme, die die menschliche Erfahrung der Welt bestimmen. Immer wieder nutzte Holt das Licht – sowohl natürliches als auch elektrisch erzeugtes – zur Untersuchung unserer Wahrnehmung. Die Form des Kreises und das Medium Licht waren bereits in ihren frühesten Werken präsent und ziehen sich durch ihr fast fünfzigjähriges künstlerisches Schaffen. Die Grundlage für diese Experimente gehen auf ihre Werke aus den 1970er Jahren zurück, die zunächst mit Sprache, dann mit raumfüllenden Installationen arbeiteten. Arbeiten wie Mirrors of Light I (1974) entfalten skulpturale Qualitäten durch die Nutzung immaterieller Elemente wie Licht, Zeit und Spiegelung.

Der historische Lichthof des Gropius Bau wird von Electrical System (1982) erleuchtet – einem Werk, das noch nie in dieser Größe gezeigt wurde. Diese immersive Installation war die erste von Holts systembasierten Arbeiten, die sich mit Energieinfrastrukturen befassen und ihr Interesse an der Offenlegung der inneren „Organe“ alltäglicher technischer Strukturen zum Ausdruck bringen.

„Im Laufe der Jahre sind diese technischen Systeme für unser tägliches Leben unentbehrlich geworden, doch sie werden meist hinter Mauern oder unter der Erde versteckt und in den Bereich des Unbewussten verbannt. Es fällt schwer, sich einzugestehen, dass wir fast völlig von ihnen abhängig sind.“
— Nancy Holt

Electrical System erschafft aus leuchtenden Glühbirnen und gewölbten Leitungen eine Lichtlandschaft, durch die sich Betrachtende hindurch bewegen können. Electrical Lighting for Reading Room (1985) ist ein funktionales Kunstwerk in den Ausstellungsräumen, in dem zwei Videoportraits gezeigt werden und welches das Thema des Lichts aufgreift.

Einen künstlerischen Wendepunkt bedeutete für Holt die 1971 begonnene Serie Locators, die entstand, nachdem sie sich mit Techniken der fotografischen Beobachtung auseinandergesetzt hatte. Diese „Sehhilfen“ aus aneinander geschweißten Industrierohren waren konzipiert, um – wie durch den Sucher einer Kamera – mit nur einem Auge hindurch zu schauen. Sie lenkten die Aufmerksamkeit auf die Subjektivität der menschlichen Beobachtung in der natürlichen und gebauten Umwelt.

„Ich hatte das Gefühl, mit den Locators den Schlüssel zu meinen späteren Skulpturen gefunden zu haben.“
— Nancy Holt

Die Locators sind Skulpturen, mit denen man eher schaut, statt sie zu betrachten. Die ersten Locators waren durch die Fenster von Holts New Yorker Studio auf die umliegende Stadtlandschaft gerichtet und nahmen beiläufige Details wie ein zerbrochenes Fenster oder ein Auspuffrohr in den Fokus. Holt experimentierte so mit der Natur des Sehens. Bei anderen Locators konzentrierte sie sich auf das, was sie „loci“ nannte, Ellipsen, die sich nur dann in perfekte Kreise auflösen, wenn sie durch den Locator betrachtet werden. Im Jahr 1972 übertrug Holt das Konzept der Locators mit dem Werk Missoula Ranch Locators: Vision Encompassed auf eine ländliche Umgebung. Ein Jahr später begann sie mit der Arbeit an den Sun Tunnels (1973–1976), ihrer bekanntesten Land Art Installation, über die sie schrieb: „Das Werk wird zum menschlichen Fluchtpunkt und in dieser Hinsicht bringt es die weite Landschaft wieder in eine menschliche Proportion.“

„Die Idee zu Sun Tunnels konkretisierte sich, als ich die Sonnenauf- und -untergänge in der Wüste beobachtete, die den irdischen Lauf der Zeit markieren. Sun Tunnels kann nur an diesem besonderen Ort existieren – das Werk hat sich aus dem Ort heraus entwickelt.“
— Nancy Holt

Die Sun Tunnels in der Great Basin Wüste im US-Bundesstaat Utah sind vielleicht Holts bekanntestes Werk – und gelten als Grundpfeiler der Environmental Art- und Land-Art-Bewegung. Es besteht aus vier riesigen Betonröhren, die x-förmig auf dem flachen Wüstengelände angeordnet sind. Sie wurden mit Löchern versehen, die der Konstellation von vier Sternbildern entsprechen, und holen so die Sterne auf die Erde herab. Die Sun Tunnels sind das Ergebnis einer mehrjährigen Zusammenarbeit mit einem Team, das u.a. aus Ingenieur*innen, Vermessungstechniker*innen, Bauarbeiter*innen, Konstrukteur*innen und Astronom*innen bestand. Die Sun Tunnels stellen eine Verbindung zwischen der Sonne, dem Lauf der Sterne, dem menschlichen Zeitgefühl und dem Zusammenspiel von Licht und Raum her. Eine Auswahl von Holts Zeichnungen, Fotografien und Berechnungen sowie ein Film, der im Gropius Bau gezeigt wird, verdeutlichen Holts anhaltendes Interesse am Akt des Sehens. Durch die 2014 von der Künstlerin gegründete Holt/Smithson Foundation, wird die Forschung zur Grenzen überschreitenden Kunst Nancy Holts auch weiterhin zu neuen Erkenntnissen führen.

Kuratiert von Clara Meister und Lisa Le Feuvre
In Zusammenarbeit mit der Holt/Smithson Foundation

Gefördert durch