Helmut Lachenmann

Helmut Lachenmann © Emilio Pomàrico

Helmut Lachenmann

Mit einer sich über 60 Jahre erstreckenden Schaffensgeschichte ist Helmut Lachenmann eine Vaterfigur zeitgenössischen Komponierens, der die Entwicklung der postseriellen Musik entscheidend mitbestimmte und ihr völlig neue Impulse gab. Lachenmann wurde 1935 in Stuttgart geboren, wo er von 1955 bis 1958 bei Johan Nepomuk David (Theorie, Kontrapunkt) und Jürgen Uhde (Klavier) studierte. Entscheidend für seine kompositorische Ästhetik war 1957 die Begegnung mit Luigi Nono bei den Darmstädter Ferienkursen, wo er ab 1972 selbst unterrichtete. Lachenmann folgte Nono von 1958 bis 1960 als Privatschüler nach Venedig. Nach dieser Studienzeit lebte er bis 1973 als freischaffender Pianist und Komponist in München und übernahm später Professuren in Hannover (ab 1976) und von 1981 bis 1999 in Stuttgart. Als reflektierter Künstler hat Lachenmann zahlreiche Texte verfasst, die in substantieller Weise das Verhältnis von musikalischer Kunst und Gesellschaft betreffen: „Musik als existentielle Erfahrung“ (1996) und „Kunst als vom Geist beherrschte Magie“ (2021) lauten die bezeichnenden Titel seiner gesammelten Schriften. 

Lachenmanns Schaffen gründet auf einem tiefen, von Nono geweckten Misstrauen gegenüber dem konventionellen, akademisch tradierten Schönklang, der als Teil des „Ästhetischen Apparates“ geschichtlich vorgeprägt und künstlerisch verbraucht erscheint. Ende der 1960er-Jahre suchte Lachenmann im alten Instrumentarium neue Artikulationsweisen, Ausdruckspotentiale und Erfahrungshorizonte zu eröffnen und setzte dabei unmittelbar an der Klangerzeugung selbst an. An die Stelle des Tons tritt in einer „Musique concrète instrumentale“ ein ganzer Kosmos instrumentaler Geräuschklänge, der mit mikroskopischem Reichtum kompositorisch ausdifferenziert wird. Lachenmanns Skepsis gegenüber jedweder sich zu kunsthandwerklicher Sicherheit verfestigenden Stilistik führte jedoch zu einer permanenten Weiterentwicklung seiner kompositorischen Ästhetik. Von den späten 1970er-Jahren an finden sich in seinen Werken zunehmend wieder unverfremdete Klänge, Motive, melodische Fragmente, historisch geprägte Charaktere und Zitate. Als wegweisend kann hier die „Tanzsuite mit Deutschlandlied“ (1979/80) betrachtet werden, die mit einem tradierten Formenarsenal spielt und Haydns Kaiserquartett bemüht. 2016 verkörperte der „Marche fatale“ (2016/18) nach längerer Schaffenspause einen provokanten, kontrovers diskutierten Extrempunkt einer ironisch gebrochenen Auseinandersetzung mit der Tradition. Mit den 2018 uraufgeführten „My Melodies“ für acht Hörner und Orchester hat sich Lachenmann auf seine Weise auch den Klang des romantischen Orchesters erobert. Lachenmanns jüngstes Werk ist das Streichtrio „Mes Adieux“ (2021/22), das mit der Konzentration und Gelassenheit eines Spätwerks sich von sich selbst und seinem Gestenrepertoire verabschiedet. 

Helmut Lachenmann erhielt zahlreiche bedeutende Preise und Ehrungen, darunter den Bachpreis der Stadt Hamburg (1972), den Ernst von Siemens Musikpreis (1997), den Kunstpreis Berlin (2007), den deutschen Musikautorenpreis (Lebenswerk, 2015), die Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg (2001), das Bundesverdienstkreuz (2011) sowie den Commandeur des Arts et des Lettres des französischen Kulturministeriums (2012) und den Preis des Präsidenten der Republik Frankreich (Lebenswerk, 2025). 

Stand: Februar 2025