Hector Berlioz
Die Entdeckung der Klangfarbe als eigenständiges, zentrales Gestaltungsmittel ist wohl die wichtigste Neuerung im Schaffen von Hector Berlioz (1803 – 1869). Seine besondere klangliche Imaginationskraft führte ihn fast schon automatisch zur Orchestermusik, die er nicht nur durch seine Werke, sondern auch durch seine Abhandlung zur Instrumentation tiefgreifend beeinflusst hat. In der Überarbeitung durch Richard Strauss stellt sie das viel genutzte Standardwerk auf diesem Gebiet dar, ohne das die Entwicklung des modernen Orchesters nicht denkbar wäre.
Berlioz hat sein Leben rückschauend als einen „unwahrscheinlichen Roman“ empfunden. In der Tat verlief es in einem abenteuerlichen Auf und Ab zwischen heftigen Liebesaffären, großen Erfolgen und beruflichen Desastern, fast durchweg begleitet von finanziellen Sorgen. Der Komponist stammt aus einem kleinen Örtchen am Fuße der französischen Alpen und sollte eigentlich Arzt wie sein Vater werden. Das halbherzig betriebene Medizinstudium gab Berlioz jedoch 1826 auf, um sich ganz der Musik widmen. 1830 schuf er dann sein Meisterwerk, die „Symphonie fantastique“, die im Dezember desselben Jahres uraufgeführt wurde. In dieser Symphonie wischt Berlioz zahlreiche zuvor für unantastbar gehaltene Gattungskonventionen beiseite und führt eine gleichsam dichterische, erzählende Gestaltungsweise von enormer Anschaulichkeit und dramatischer Schlagkraft in die Musik ein.
Nach der „Symphonie fantastique“ erhielt Berlioz eine Reihe ehrenvoller Kompositionsaufträge. Seine künstlerischen Konzeptionen blieben dabei im Grenzbereich zwischen absoluter Musik und musikalischem Erzählen angesiedelt. Mit neuartig konzipierten symphonischen Werken wie „Harold en Italie“ und „Roméo et Juliette“ oder auch dem Requiem hatte er durchaus Erfolge. Seine literarisch ambitionierte Künstleroper „Benvenuto Cellini“, die quer zur konventionellen Operndramaturgie steht, fiel dagegen geradezu spektakulär durch und brachte es nur auf drei Vorstellungen. Letztlich gelang es Berlioz insbesondere in Paris nicht, sich als Musiker wirklich durchzusetzen, und so blieb er zeitlebens auf die Einkünfte aus Brotberufen als Journalist – der glänzend zu schreiben vermochte – und als Bibliothekar angewiesen. Hinzu kam ab 1835 eine Tätigkeit als Dirigent, wobei Berlioz vor allem als Anwalt eigener Kompositionen auftrat.
Im Laufe der 1840er Jahre wandelte sich Berlioz‘ Position im Musikleben. Im Vergleich mit jüngeren Komponisten wie Liszt und Wagner, die ihm künstlerisch in Vielem verpflichtet waren, wirkte der ehemalige Revolutionär Berlioz nachgerade konservativ. Seine Oper „Les Troyens“, das zentrale Projekt seines späteren Schaffens, konnte Berlioz zu seinen Lebzeiten nicht seinen Vorstellungen entsprechend auf die Bühne bringen. Eine stark gekürzte Fassung wurde aber 1863 zu einem großen Erfolg. In den 1860er Jahren fühlte sich Berlioz zunehmend isoliert und verlor sich in depressiver Resignation. Er starb kurz nach der Rückkehr von einer Konzertreise nach Russland am 8. März 1869 in Paris.
Stand: Juni 2019