Pierre Boulez © Keystone Pictures
Pierre Boulez ist als Komponist, Dirigent und auch als Vermittler und Organisator eine der zentralen Gestalten der Musikgeschichte der Nachkriegszeit. Dabei hat er einen weiten Weg zurückgelegt vom angriffslustigen, um keine Provokation und keine sprachliche Spitze verlegenen Rebellen zum allseits hoch geachteten Künstler. Pierre Boulez wurde 1925 in Montbrison geboren. Seine Eltern hatten ihm ein mathematisches Studium nahegelegt, Boulez aber entschied sich dagegen und für die Musik. Ein hoch rationales, naturwissenschaftlich geprägtes Element ist dennoch auch für seinen Zugang zur Musik charakteristisch. In seinem Schaffen spielen zahlenhafte Ordnungen eine große Rolle, auch wenn sie dem Hörer verborgen bleiben. Von 1943 an studierte Boulez am Pariser Conservatoire. Die Analysekurse Olivier Messiaens und später die durch René Leibowitz vermittelte intensive Beschäftigung mit der Zwölftontechnik und der Musik der Schönbergschule, vor allem der Weberns, waren die prägenden Einflüsse jener Zeit. Zudem begeisterte sich Boulez für die Literatur und vor allem die Lyrik der französischen Moderne. Nach dem Studium übernahm Boulez für zehn Jahre, bis 1956, die musikalische Leitung der gerade ins Leben gerufenen Theatergruppe von Jean-Louis Barrault und trat nun auch mit Kompositionen wie der Klaviersonate oder der ersten Fassung von „Le Visage nuptial“ an die Öffentlichkeit. 1952 nahm Boulez erstmals an den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik teil, wo er gemeinsam mit Luigi Nono und Karlheinz Stockhausen zum wichtigsten Wortführer der Avantgarde wurde. Mit der Uraufführung der Kammerkantate „Le Marteau sans maître“ im Jahr 1955 etablierte sich Boulez endgültig als einer der führenden Komponisten der Zeit.
Eine Konstante in Boulez’ imponierendem kompositorischen Schaffen bildet der stete Wandel. Wandel bestimmt zunächst die äußere Werkgestalt. Immer wieder wendet sich Boulez schon abgeschlossenen Kompositionen zu, überarbeitet sie und erstellt neue Versionen, die oftmals den Charakter nicht nur einer neuen Fassung, sondern eines neuen Werkes haben. Vor allem aber charakterisiert steter Wandel die Musik selbst. Gleich aus welcher Zeit sie stammt und mit welchen Mitteln sie verwirklicht wird, ist seine Musik in ständiger innerer Bewegung, Entwicklung und Veränderung begriffen. Die dabei durchmessenen Ausdrucksbereiche sind zwischen zwei einander entgegengesetzten Polen ausgespannt, einer ungestüm vorantreibenden, teils nervös, teils aggressiv wirkenden Wildheit auf der einen, einer bitter-süßen, lyrischen Zartheit auf der anderen Seite. So entstehen faszinierend schillernde, flüchtige klangliche Kaleidoskope von Farben und Stimmungen.
Die Frage nach einer möglichst werkgetreuen Aufführung neuer Musik stellte sich für Boulez immer dringlicher und so wagte er sich kurzer Hand selbst ans Dirigentenpult. In den 1960er-Jahren vollzog sich sein Aufstieg zu einem Dirigenten von Weltruf, der auch Werke der Tradition in maßstabsetzenden Aufführungen zum Leben zu erweckt. Die wichtigsten Stationen dabei waren das Dirigat des „Parsifal“ in Bayreuth (1966 bis 1970), die Übernahme von leitenden Positionen bei den New Yorker Philharmonikern (1971 bis 1977) und beim BBC Symphony Orchestra in London (1971 bis 1975) und die Leitung des „Jahrhundertrings“ in Bayreuth (1976 bis 1979). Seither hat Boulez zahlreiche Tonträger eingespielt. Kontinuierlich leitet er Konzerte der besten Orchester unserer Zeit.
In den 1970er Jahren gründete Boulez zwei musikalische Institutionen von weltweiter Ausstrahlung und Anziehungskraft. 1975 rief er das Ensemble intercontemporain ins Leben, eine solistische Kammerformation für zeitgenössische Musik, die zum Vorbild ähnlicher Avantgardegruppen wie dem Ensemble Modern oder dem Klangforum Wien wurde. Zwei Jahre später wurde maßgeblich auf Boulez’ Initiative hin im Centre Pompidou in Paris das IRCAM eröffnet, das sich der Erforschung der Möglichkeiten widmet, die die Elektronik der Musik eröffnet. Es gibt kaum einen nach 1950 geborenen Komponisten von Rang, der nicht am IRCAM wesentliche Anregungen für seine Arbeit und für die Nutzbarmachung moderner Technologien für die Musik erhalten hätte. Auch auf andere Projekte wie die Gründung der Cité de la musique und die Opéra Bastille nahm Boulez wesentlich Einfluss, bis er sich zu Beginn der 1990er-Jahre entschloss, seine Zeit ausschließlich dem Komponieren und Dirigieren zu widmen. Sein Wirken ist mit höchsten internationalen Auszeichnungen und Preisen bedacht worden. Pierre Boulez starb im Januar 2016 im Alter von 90 Jahren in Baden-Baden.
Stand: Mai 2016