
Luciano Berio (1925 – 2003), dessen 100. Geburtstag in diesem Jahr begangen wird, war zusammen mit dem fast gleichaltrigen Luigi Nono und dem etwas älteren, allzu früh verstorbenen Bruno Maderna der führende Komponist der italienischen Nachkriegsavantgarde. Die Vereinigung von Kunstmusik und authentischer Volksmusik, das Einbeziehen von Jazzelementen oder komplexer afrikanischer Rhythmik, verschiedene Verfahren der Montage und des Zitats, das Ignorieren von Gattungsgrenzen, vor allem in den musikdramatischen Werken – all dies sind kompositorische Verfahren Berios, die die Originalität und den Reichtum seiner Erfindungsgabe zeigen.
Berio stammt aus einer norditalienischen Musikerfamilie, in der schon Vater und Großvater als Organisten und Komponisten tätig waren. Es war so naheliegend, dass Luciano Berio sich zum Studium am Mailänder Konservatorium einschrieb. Nachdem sich der 19-Jährige in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs eine Handverletzung zugezogen hatte, war an die zunächst ins Auge gefasste Pianistenkarriere nicht mehr zu denken und Berio wandte sich intensiv dem Kompositionsstudium zu. Gleichwohl trat er noch als Klavierbegleiter auf. Hierbei lernte er die amerikanische Sopranistin Cathy Berberian kennen, die zu seiner kongenialen Interpretin werden sollte. Beide waren von 1950 bis 1964 miteinander verheiratet.
Berios Verhältnis zu den tonangebenden Komponistenkollegen der seriellen Avantgarde um Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen war ambivalent. Berio beschäftigte sich zwar umfassend mit seriellen Ideen und Gestaltungsweisen, wahrte in seinen Werken aber immer eine deutliche Distanz. Wichtiger waren für ihn Anregungen von ganz anderer Seite: der Literatur. Berio stand mit drei italienischen Schriftstellern und Theoretikern in einem fruchtbaren Austausch, der seinen Niederschlag auch in Kompositionen fand: mit Eduardo Sanguinetti, Italo Calvino und Umberto Eco. Alle vier Künstler verband die Idee vom Kunstwerk als einer von Brüchen durchzogenen, vielgestaltig schillernden Einheit einander durchdringender Sinnebenen.
Von den 1960er-Jahren an entstanden dann in kontinuierlicher Folge Werke, die Berio zu einem der prominentesten Köpfe der neuen Musik machten wie die vierzehn „Sequenza“-Kompositionen für ein Soloinstrument, deren Reihe sich bis ins Jahr 2002 fortsetzt. Sein berühmtestes Werk ist die 1968/69 entstandene „Sinfonia“, eine faszinierende, labyrinthische Komposition mit musikalischen Zitaten und Texten von Samuel Beckett bis Gustav Mahler, in der die Idee eines offenen, aus vielen Perspektiven erlebbaren musikalischen Kunstwerkes paradigmatisch umgesetzt ist. Während das folgende Jahrzehnt für Berio vor allem im Zeichen experimenteller Musiktheaterwerke stand, so erhielt sein weit gespanntes Schaffen von den späten 1980er-Jahren an eine zusätzliche Facette, indem er sich verstärkt als Bearbeiter mit Werken der Vergangenheit auseinandersetzte. Am 27. Mai 2003 starb Luciano Berio in Rom.
Stand: Februar 2025