Francesca Verunelli

Die Herausforderung des Komponierens bestehe darin, die Mikrozeit eines jeden Klangs mit der Makrozeit des Hörens in Einklang zu bringen, erklärt Francesca Verunelli. Der Aspekt Zeit spielt in ihren Kompositionen eine zentrale Rolle. So entwickelt sich ihr Stück „From scratch“ (2024) für Orchester aus einem perkussiven Schaben oder Kratzen und legt nach und nach die Obertonspektren frei, inklusive deren Rhythmik. In vielen ihrer Kompositionen geht es um andere Stimmungssysteme, wie in dem Violoncello Solo „Ultimi fiori“ (2017), in dem Achteltöne Schwebungen hervorbringen. In „VicentinoOo“ (2024) tritt sie in Dialog mit Alter Musik: dabei stellt sie ihre eigene Kompositionen Nicola Vicentinos Madrigalen aus dem 16. Jahrhundert gegenüber, der damals ein System aus 31 Tönen pro Oktave entwickelt hat. Auf sehr alte Volkslieder beziehen sich auch zwei Abschnitte aus „Songs & Voices“ (2023) für die Neuen Vocalsolisten Stuttgart, Instrumente und Elektronik. In ihrem integrierten Ensemblestück „Five Songs (Kafka’s sirens)“ (2016) komponiert Verunelli sozusagen Lieder ohne Worte. „Gesang ohne Stimme und eine Stimme ohne Gesang“, also Konsonanten ohne stimmhafte Laute, nennt Verunelli die beiden Extreme in diesem Stück.

Als Italienerin studierte Francesca Verunelli (*1979) in Florenz und Rom Komposition und Klavier, danach Computermusik am IRCAM in Paris. In einem Doktoratsstudium an der Universität Paris Sciences & Lettres vertiefte sie ihre kompositorische Forschung zu experimentellen Spieltechniken und philosophische Ansätze. Sie lehrt seit 2025 an der Hochschule Luzern.

Zu ihren Preisen und Auszeichnungen gehören der silberne Löwe der Biennale in Venedig 2010, der Förderpreis Komposition der Ernst von Siemens Musikstiftung 2020 sowie der Premio della critica musicale Franco Abbiati 2022 der italienischen Musikkritik Vereinigung, außerdem der Orchesterpreis des SWR für „Tune and retune II“ bei den Donaueschinger Musiktagen 2023. Aufenthaltstipendien führten Verunelli u. a. an die Villa Medici Rom, Casa de Velasquez Madrid und GMEM Marseille.