
Dem romantischen Klischee des genial begabten, aber verkannten und bettelarmen Künstlers, dessen Seelenleben in extremen Umschwüngen zwischen euphorischen Schaffensschüben und Phasen tiefer Niedergeschlagenheit verläuft, dürfte kaum je ein reales Musikerleben so nah gekommen sein wie das Hugo Wolfs (1860–1903). Geboren wurde der Komponist in Windischgrätz, einer vorwiegend von Deutsch-Österreichern bewohnten Kleinstadt in Slowenien, das damals zum Habsburger Kaiserreich gehörte. Sein Elternhaus war musikbegeistert, und so bekam der Sohn im Kindesalter Klavier- und Violinunterricht, wobei er rasch Fortschritte machte. Der Heranwachsende fühlte sich immer ausschließlicher zur Musik hingezogen und unternahm früh erste Kompositionsversuche. Seine schulischen Leistungen ließen dagegen sehr zu wünschen übrig, am Ende der vorzeitig abgebrochenen Gymnasialzeit grenzte sein Verhalten an Verweigerung. Schließlich gab der Vater, der bisher eine Laufbahn seines Sohnes als Berufsmusiker abgelehnt hatte, seinen Widerstand auf und erlaubte Hugo Wolf mit 15 Jahren, das Konservatorium in Wien zu besuchen. Bald nach Wolfs Ankunft dort, im Herbst 1875, empfing er einen prägenden Eindruck von einer Aufführung von Wagners Tannhäuser. Wolf wurde Wagner auch persönlich vorgestellt und entwickelte sich bald zu dessen glühendem Anhänger. Das Studium ging zunächst glänzend voran, doch schon im zweiten Jahr empfand Wolf nur noch Überdruss für die systematische, trockene Tonsatzunterweisung, die ihm geboten wurde. Er warf das Studium hin und bildete sich autodidaktisch weiter.
Seine finanzielle Lage war prekär und blieb dies auf Jahre hinaus. Einzige Einnahmequellen waren Klavierstunden und Gagen von Wirtshäusern, in denen er zur Unterhaltung spielte. Umso mehr war Wolf auf die Unterstützung von teils vermögenden Freunden und Gönnern angewiesen, die er durch seine Wagnerbegeisterung kennengelernt hatte und die ihm Wohnmöglichkeiten in Wien oder in ihren Sommerhäusern boten, aber auch den Zugang zu ihren Büchersammlungen. Trotz dieser bedrückenden äußeren Umstände entwickelte sich Wolf künstlerisch weiter, komponierte ein Streichquartett und wendete sich vor allem dem Kunstlied zu. Dabei orientierte er sich stark an Schumann, war sich aber nur zu bewusst, einen individuellen Ton noch nicht gefunden zu haben, und litt immer wieder unter tiefen Schaffenskrisen. Eine kurzfristige Linderung seiner finanziellen Nöte brachte eine durch Freunde vermittelte Tätigkeit als Musikkritiker bei einer Wiener Zeitung zwischen 1884 und 1887. In seinen Kritiken nahm Wolf sehr dezidiert und in polemisch zugespitzter Weise die Position der neudeutschen Ästhetik um Liszt und Wagner ein. Binnen kurzem brachte er es mit herabsetzenden, teils beleidigenden Formulierungen fertig, etablierte Größen des Wiener Musiklebens vor den Kopf zu stoßen und sich scharfe Widersacher zu schaffen.
Als Wolf die Kritikertätigkeit im April 1887 recht unvermittelt aufgab, hatte er etwa seit Jahresbeginn wieder verstärkt angefangen zu komponieren. Im Januar 1888 bezog er das leerstehende Ferienhaus einer befreundeten Familie auf dem Land. Hier glückte ihm mit den Liedersammlungen nach Mörike, Eichendorff und Goethe, die in äußerst gedrängter Zeit entstanden – Wolf selbst sprach rückblickend von einer »Liedersintflut« – der Durchbruch zum eigenständigen, unverwechselbaren Schaffen. Wolf lässt in diesen Werken das ältere Ideal melodischer Einfachheit und Gesanglichkeit hinter sich. Er schreibt stattdessen in einem intensiv chromatischen Stil, behandelt die Singstimme in einer frei deklamierenden, sich dem Sprachduktus anschmiegenden Weise und setzt ihr einen ausgesprochen eigenständigen Klavierpart hinzu. Das Neuartige dieser Kompositionsweise wurde allmählich erkannt, und nun stellte sich zunehmend Erfolg in Form von Konzerten und Drucklegungen ein. Wolfs Name wurde jetzt auch außerhalb Wiens bekannt. Bis 1897 entstanden weitere große Liedsammlungen und die Oper Der Corregidor, wobei Wolf immer wieder auch krisenhafte Schaffensphasen überstehen musste, in denen er über Ansätze zu Kompositionen nicht hinauskam.
Heute wird davon ausgegangen, dass sich Hugo Wolf im Alter von 17 Jahren mit Syphilis infiziert hatte. Im September 1897 brachen Wahnvorstellungen aus, und Wolf musste sich in eine psychiatrische Heilanstalt begeben. Vorübergehend schien eine Besserung seines Zustands eingetreten zu sein, und Wolf konnte die Anstalt verlassen. Nach einem Selbstmordversuch ließ er sich im Herbst 1898 in die Niederösterreichische Irrenanstalt in Wien bringen, wo er 1903 in geistiger Umnachtung starb.
Stand: September 2011