Toshio Hosokawa

Toshio Hosokawa © Kaz Ishikawa

Toshio Hosokawa

„Ich suche nach einer neuen Form spiritueller Kultur und Musik des japanischen Volkes, mit der ich sowohl mir selbst als auch meiner Herkunft treu bleibe. Wir müssen den Westen noch einmal und gründlicher studieren, um unsere Sicht auf uns zu objektivieren und uns selbst wirklich kennen zu lernen."

Toshio Hosokawa, der bekannteste lebende japanische Komponist, schöpft seine unverwechselbare Musiksprache aus dem Spannungsverhältnis zwischen westlicher Avantgarde und traditioneller japanischer Kultur. In tiefer Verbundenheit mit den ästhetischen und spirituellen Wurzeln der japanischen Künste wie der Kalligraphie und der japanischen Hofmusik, dem Gagaku, verleiht er der Vorstellung einer aus der Vergänglichkeit erwachsenden Schönheit Ausdruck: „Wir hören die einzelnen Töne und nehmen zugleich mit Wertschätzung den Prozess wahr, wie sie geboren werden und vergehen, sozusagen eine tönend in sich belebte Landschaft des Werdens.“

1955 in Hiroshima geboren, kam Toshio Hosokawa 1976 nach Deutschland, wo er bei Isang Yun und Klaus Huber Komposition studierte. Während seine Kompositionen sich zunächst an der westlichen Avantgarde orientierten, erschloss er sich nach und nach eine neue musikalische Welt zwischen Ost und West, mit der er spätestens ab dem Erfolg seines 2001 uraufgeführten Oratoriums „Voiceless Voice“ in Hiroshima die großen Konzertsäle eroberte.

Toshio Hosokawa schrieb in den letzten Jahren zahlreiche Orchesterwerke, darunter „Nach dem Sturm“ für zwei Soprane und Orchester anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Tokyo Metropolitan Symphony Orchestra sowie das im Rahmen der Roche Commissions beauftragte „Woven Dreams“ (Cleveland Orchestra, Franz Welser-Möst, Lucerne Festival 2010). Auch „Circulating Ocean“, 2005 bei den Salzburger Festspielen durch die Wiener Philharmoniker uraufgeführt, gehört inzwischen zum festen Repertoire vieler Orchester. Das 2017 von Christian Schmitt und den Bamberger Symphonikern unter Jakub Hrůša uraufgeführte Orgelkonzert „Umarmung“ wurde 2018 im Wiener Konzerthaus vom ORF-Radio-Symphonieorchester Wien sowie 2019 in der Suntory Hall erneut aufgeführt. Das Orchesterwerk „Uzu“, 2019 uraufgeführt vom Tokyo Metropolitan Orchestra, erhielt den Otaka Prize für die beste japanische Komposition des Jahres.

Im Mittelpunkt der vergangenen Saison stand das Ensemblewerk „The Flood“, uraufgeführt vom Ensemble intercontemporain in der Philharmonie de Paris, sowie die Uraufführung des Violinkonzerts „Genesis“ für die Solistin Veronika Eberle, eine Auftragskomposition des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg, der Hong Kong Sinfonietta, des NHK Symphony Orchestra, des Hiroshima Symphony Orchestra, des Prager Rundfunk-Sinfonieorchesters (SOČR) und des Grafenegg Festivals. Die Saison 2021/22 startete Toshio Hosokawa als Composer in Residence beim Grafenegg Festival, wo neben seinem Violinkonzert auch die Uraufführung einer Bläserfanfare auf dem Programm stand. In der Philharmonie Luxembourg wird im Dezember das Musikmärchen „Deine Freunde“ aus der Ferne aus der Taufe gehoben, in dem Toshio Hosokawa und die Schriftstellerin Yoko Tawada das junge Publikum auf eine Traumreise in ferne Welten mitnehmen. Aufgeführt wird das Werk von dem Ensemble United Instruments of Lucilin und der Sprecherin Salome Kammer, die Regie übernimmt Nelly Danker.

Viele der früheren Musiktheaterwerke von Toshio Hosokawa gehören inzwischen zum Repertoire großer Opernhäuser. Auf seine 1998 bei der Münchener Biennale mit großem Lob aufgenommene erste Oper „Vision of Lear“ folgte 2004 mit „Hanjo“ ein Werk, das, inszeniert von der Choreographin Anna Teresa de Keersmaeker, als Ko-Auftrag des Brüsseler Opernhauses La Monnaie und des Festivals von Aix-en-Provence entstand und inzwischen auf zahlreichen Bühnen zu sehen war. Die ebenso wie „Hanjo“ auf einem Stoff des japanischen Nô-Theaters beruhende Oper „Matsukaze“ war erstmals 2011 in der Inszenierung der Choreographin Sasha Waltz am Opernhaus La Monnaie in Brüssel zu erleben und wurde vielfach wiederaufgeführt. Auch das Monodram „The Raven“ für Mezzosopran und Ensemble, 2012 in Brüssel uraufgeführt, kam inzwischen in szenischen Aufführungen auf die Bühne. In schneller Folge hat Toshio Hosokawa drei weitere Opern vorgelegt: „Stilles Meer“ kam 2016 an der Hamburgischen Staatsoper heraus, das einaktige Melodram „Futari Shizuka“ (The Maiden from the Sea) wurde 2017 in Paris uraufgeführt, und 2018 folgte „Erdbeben. Träume“ an der Oper Stuttgart, basierend auf einem Libretto des Büchner-Preisträgers Marcel Bayer. Aus dem musikalischen Material der Oper entstand 2020 zudem die viersätzige Orchestersuite „Erdbeben. Träume“.

Toshio Hosokawa schreibt immer wieder Werke, die sich auf Naturthemen beziehen, wie das Hornkonzert „Moment of Blossoming“ für Stefan Dohr und die Berliner Philharmoniker. Seit 2003 komponiert er zudem in loser Folge „Voyages“ für Soloinstrument und Ensemble. In einigen Werken dieser Reihe kombiniert er japanische und westliche Instrumente, so in „Voyages X Nozarashi“ für Shakuhachi und Ensemble. Auch andere traditionelle japanische Instrumente wie Shộ oder Koto setzte er in seinem ca. 140 Werke umfassenden Oeuvre mehrfach ein.

Toshio Hosokawa ist Träger zahlreicher Auszeichnungen und Preise. Seit 2001 ist er Mitglied der Akademie der Künste Berlin, 2006/07 und 2008/09 war er Fellow des Berliner Wissenschaftskollegs. 2013/14 wirkte er als Composer in Residence beim Netherlands Philharmonic Orchestra, von 2019 bis 2021 hatte der diese Position beim Hiroshima Symphony Orchestra inne und im Oktober 2018 erhielt er den Japan Foundation Award. Für seine Verdienste um den kulturellen Austausch zwischen Japan und Deutschland wurde er jüngst mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet. Er ist künstlerischer Leiter des Takefu International Music Festivals und Artistic Director des Suntory Hall International Program for Music Composition.

Stand 2021/22