
Arvo Pärt © Estonian Foreign Ministry / Wikimedia Commons
Mit ätherischen, durchweg konsonanten und dabei eigenartig zeitenthoben wirkenden Kompositionen fand der Este Arvo Pärt (*1935) in den 1980er-Jahren ein breites, fasziniertes Publikum und stieß gleichzeitig auf heftige Ablehnung vonseiten der zeitgenössischen Avantgarde-Szene. Die Kontroversen haben sich inzwischen gelegt, Pärt zählt zu den erfolgreichsten Komponisten unserer Zeit. Er hat einen weiten künstlerischen Weg zurückgelegt, der durch eine tiefe Zäsur bestimmt ist, sodass sich sein Schaffen aus zwei stilistisch grundverschiedenen Teilen zusammensetzt.
Pärt wurde in Paide geboren, einer Kleinstadt in Estland, die bis 1991 zur Sowjetunion gehörte. Er studierte zunächst Klavier und von 1958 bis 1963 Komposition in Tallinn. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich während dieses Studiums und dann noch bis 1967 als Tonmeister beim estnischen Rundfunk. Danach lebte Pärt als freier Komponist in Tallinn. Seine Werke aus dieser Zeit waren entschieden avantgardistisch. Mit seinem den Opfern der faschistischen Gewaltherrschaft gewidmeten Orchesterwerk „Nekrolog“, 1960 noch während des Studiums entstanden, schuf er die erste serielle Komposition Estlands und eckte damit bei den sowjetischen Kulturbehörden heftig an. Es folgten verschiedene Stilexperimente und 1968 schließlich „Credo“ für Chor, Klavier und Orchester, dessen Aufführung wegen seines religiösen Inhalts offiziell untersagt wurde und Pärt im offiziellen Musikleben für Jahre in Ungnade fallen ließ.
Der erzwungene Rückzug traf mit einem Gefühl des tiefen Zweifels an der Musik der Avantgarde zusammen. Pärt verfiel für etwa acht Jahre in eine tiefe kompositorische Krise. In diesen „Jahren der Stille“, so Pärt selbst, beschäftigte er sich intensiv mit der Musik des Mittelalters und der orthodoxen Kirchenmusik und hielt sich mit Erfolg als Komponist von Filmmusik über Wasser. Schließlich fand er 1976 zu einem neuen, von extremer Reduktion der Mittel, der Verwendung konsonanter Dreiklänge und repetitiven Strukturen gekennzeichneten Stil. Das bekannteste Werk dieses „Tintinnabuli“-Stils, dessen Name sich auf die in den ostkirchlichen Gesängen verwendeten kleinen Glocken bezieht, ist „Fratres“ (1977), das in verschiedenen Versionen existiert, unter anderem für Kammerensemble, für Violine und Klavier und für eine Gruppe von Celli. Dieser Durchbruch setzte schöpferische Energien frei, die zu einer produktiven neuen Schaffensphase führten.
Auch weil Pärt zunehmend Aufmerksamkeit im Westen auf sich zog, schien er für die sowjetischen Behörden nicht mehr tragbar zu sein und wurde 1980 mit seiner Familie zur Ausreise aufgefordert. Nach einer ersten Station in Wien ließ sich die Familie 1981 in Berlin nieder. 1984 erschien eine Einspielung mehrerer „Tintinnabuli“-Stücke, unter anderem auch von „Fratres“, die Pärt international bekannt machte. In seinem Schaffen rückten Stücke über religiöse Texte und Stoffe zunehmend in den Mittelpunkt, zu denen auch zahlreiche Chorwerke mit und ohne Instrumentalbegleitung zählen. 2008 zog Pärt wieder nach Estland. Obwohl sich der Komponist nur selten öffentlich äußert, hat er seine kritische Haltung gegenüber der russischen Regierung deutlich nach außen getragen. 2025 wird sein 90. Geburtstag in der Musikwelt mit zahlreichen Aufführungen und Veranstaltungen gefeiert.
Stand: Februar 2025