Thomas Tallis (um 1505 – 1585) ist eine in vielerlei Hinsicht außergewöhnliche Erscheinung unter den großen Komponisten seiner Zeit. Mit 80 Jahren hat er ein damals geradezu biblisches Alter erreicht. Sein Schaffen erstreckt sich über fünf politisch überaus bewegte Jahrzehnte. Teils aus nächster Nähe wurde Tallis Zeuge der Regentschaft Heinrichs VIII. mit der Loslösung der anglikanischen Staatskirche von der katholischen Kirche, der Wirren nach seinem Tod und der Befestigung der Regierung Elisabeths I. Die gravierenden kirchenpolitischen Umschwünge der Zeit hatten starke Auswirkungen auf den Komponisten, dessen weitaus wichtigstes Betätigungsfeld die Kirchenmusik war, und erklären zu einem Teil seine große stilistische Vielseitigkeit.
Von Tallis’ frühen Lebensjahren wissen wir kaum etwas. 1530 wird er erstmals schriftlich als Organist eines Benediktinerklosters in Dover erwähnt. Von da an gelang ihm ein allmählicher, aber stetiger Aufstieg, bis er 1544 in die königliche Hofkapelle aufgenommen wurde. Nach mehreren Thron- und Politikwechseln genoss er schließlich die Unterstützung Elisabeth I., die ihm gemeinsam mit seinem ehemaligen Schüler William Byrd 1575 ein Monopol zur Veröffentlichung gedruckter Noten einräumte, das die Komponisten naheliegender Weise zur Publikation eigener Werke nutzten. Als Tallis 1585 starb, war er das mit Abstand dienstälteste Mitglied der Hofkapelle und erfreute sich unter den englischen Musiker*innen allgemeiner Verehrung.
Stand: September 2021