
In einer ungewöhnlich langen und bis heute andauernden schöpferischen Laufbahn hat sich Elliott Carter (geboren 1908) höchstes Ansehen erworben. Carter ist ein hoch gebildeter, intellektuell vielseitig interessierter Künstler, dessen kompositorische Physiognomie sich durch eine tiefschürfende gedankliche Durchdringung der Musik und eine weitgespannte und profunde Kenntnis der Tradition auszeichnet. Seine besondere musikhistorische Bedeutung besteht in der höchstpersönlichen Synthese amerikanischer und europäischer Einflüsse in eine Musik, die gleichzeitig komplex und originell wie unmittelbar expressiv und dramatisch wirkungsvoll ist. Die meiste Zeit seines Lebens hat Elliott Carter in seiner Heimatstadt New York gelebt. Seit seiner Kindheit hat er häufig Europa besucht und sich unter anderem längere Zeit in Rom und Berlin aufgehalten.
Der am 11. Dezember 1908 als Sohn einer wohlhabenden New Yorker Familie geborene Carter kam bereits als 16-jähriger in engen persönlichen Kontakt mit Charles Ives, der großen Einfluss auf Carters künstlerische Entwicklung nahm. Ives machte ihn unter anderem mit der Musik der „Ultramodernisten“ wie Carl Ruggles und Henry Cowell bekannt und entfachte bei Carter Begeisterung für deren extrem dissonante Musik. Nach Abschlüssen in englischer Literatur und Musik an der Harvard Universität setzte Carter seine Studien von 1932 bis 1935 in Paris bei Nadia Boulanger fort. Zurückgekehrt in die USA ließ er sich in New York nieder und arbeitete zunächst unter anderem als Journalist und als Lehrkraft an einem College. Von 1946 an erhielt Carter dann verschiedene Dozenturen für Komposition. Unter dem anhaltenden Einfluss von Nadia Boulanger schuf Carter in dieser Zeit dem Neoklassizismus nahe stehende Werke.
In seiner Cellosonate aus dem Jahr 1948 experimentierte Carter dann aber mit der Gleichzeitigkeit verschiedener Tempi und Metren, die den Rahmen des Neoklassizismus sprengen. Einen entscheidenden Durchbruch brachte 1951 die Komposition des 1. Streichquartetts, für die sich Carter für ein Jahr in die Verlassenheit der Wüste Arizonas zurückzog. In einem Stück von visionärer Kraft und Klanglichkeit werden die in der Cellosonate erprobten Verfahren hier zur Grundlage des ganzen Werkes. Durch häufige, genau auskomponierte Tempowechsel und ständige Überlagerung komplizierter Rhythmen wird eine innere Bewegtheit und dramatische Spannung erzeugt, wie sie so vorher unbekannt war. Das radikal konzipierte Werk brachte Carter Anerkennung und seine internationale Reputation nahm stetig zu. Für sein 2. Streichquartett erhielt er 1959 den Pulitzer-Preis. 1964 übernahm er eine Professur für Komposition an der New Yorker Juillard School, wo er bis 1984 lehrte. Ein Hauptwerk dieser Zeit ist das fast beängstigend komplexe Concerto for Orchestra, in dem die Idee der Überlagerung mehrerer Schichten, die eigenen Strukturgesetzen folgen und jeweils individuelle musikalische Vorgänge ausprägen, zu einem Extrem getrieben ist.
Nachdem in den 1970er Jahren drei sehr eigenwillige Vokalwerke im Zentrum seines Komponierens standen, setzte zu Beginn der 1980er Jahre eine neue, insgesamt durch Abgeklärtheit und Gelassenheit gekennzeichnete Spätphase in Carters Schaffen ein. Während er früher nur langsam von Werk zu Werk fortgeschritten war, komponierte er nun mit einer neuen Leichtigkeit und Schnelligkeit. Zunächst entstanden vorwiegend kleiner besetzte Ensemblewerke. In den 1990er Jahren schuf er mehrere große Orchesterwerke wie die Symphonia: sum fluxae pretium spei. 1999 hatte an der Berliner Staatsoper seine erste Oper What next Premiere, in der die Folgen eines Autounfalls in grotesker Weise auf die Bühne gebracht werden. Elliott Carters staunenswerte Produktivität ist ungebrochen. Anlässlich des 100. Geburtstags des Komponisten im Jahr 2008 widmete das Musikfest Berlin zusammen mit Daniel Barenboim und der Staatskapelle Berlin einen Konzertabend der Musik Elliott Carters. Als jüngste Komposition wurde im Juni 2012 in New York Two Controversies and a Conversation für Klavier, Schlagzeug und Orchester aus der Taufe gehoben. Am 5. November 2012 ist Elliott Carter in New York verstorben.