
Der am 4. Mai 1893 in St. Petersburg geborene Komponist Iwan Wyschnegradsky (1893–1979) ist ein Pionier der musikalische Avantgarde, der seinen künstlerischen Weg trotz schwieriger äußerer Umstände gegangen ist. Wyschnegradskys musikalisches Denken kreist um die Möglichkeiten, die Oktave in kleinere Stufen als die zwölf chromatischen Halbtöne zu teilen. Sein Schaffen wurde lange Zeit nur sehr selten aufgeführt.
Wyschnegradsky stammt aus einer wohlhabenden Familie. Sein Großvater war einige Jahre Finanzminister des Zaren, sein Vater Bankdirektor. Wyschnegradsky studierte zunächst Mathematik, später Jura und nahm daneben Kompositionsunterricht. Entscheidende Anstöße empfing er von Alexander Skrjabin, den er 1915 kurz vor seinem Tod traf. In den Tagen der von ihm enthusiastisch begrüßten Russischen Revolution begann Wyschnegradsky, an zwei verschieden gestimmtem Klavieren mit Vierteltönen zu experimentieren. 1920 emigrierte die Familie nach Paris, wo er sich 1923 endgültig niederließ. Wyschnegradsky wurde allmählich in Avantgardezirkeln bekannt und traf mit anderen Wegbereitern der Vierteltonmusik wie dem Tschechen Alois Hába zusammen. Er lebte zunächst vom väterlichen Vermögen, musste aber bald musikalische Gelegenheitsarbeiten annehmen, um nach seiner Heirat den Lebensunterhalt seiner Familie zu sichern. Während der deutschen Besatzungszeit war Wyschnegradsky kurzzeitig interniert. Bis 1950 musste er danach mehrere Jahre in einem Sanatorium verbringen. Obwohl Musiker wie Olivier Messiaen und Pierre Boulez sich für ihn einsetzten, konnte Wyschnegradsky im Musikleben nicht Fuß fassen und blieb eine fast völlig unbekannte Gestalt. Erst als in den 1970er Jahren das allgemeine Interesse am Schaffen Skrjabins zunahm, wurde auch Wyschnegradsky als ein Komponist in dessen Nachfolge entdeckt. Er starb am 29. September 1979 in Paris.
Stand: Juni 2015