Klassisch, modern, motorisch-toccatenhaft, lyrisch und grotesk – so bestimmte Sergej Prokofjew (1891–1953) in seiner Autobiographie aus den 1940er Jahren die „Hauptrichtungen“ seines stilistisch erstaunlich vielfältigen, weit verzweigten Œuvres. Sein Lebens- und Schaffensweg ist dabei eng mit den politischen Entwicklungen im 20. Jahrhundert verknüpft. Der in der Ukraine geborene Prokofjew wuchs als wohl behütetes Einzelkind auf, dessen eminente musikalische Begabung nach Kräften gefördert wurde. Schon mit 13 Jahren konnte er ins Konservatorium von St. Petersburg eintreten. Hier war seine Ausbildung nicht allein auf das Komponieren gerichtet, sondern Prokofjew erwarb auch virtuose pianistische Fähigkeiten. So erhielt der Komponist, als er das Konservatorium 1914 verließ, eine besondere Auszeichnung als Pianist – für die Interpretation des eigenen „1. Klavierkonzerts“ aus den Jahren 1911/12.
Kurz zuvor hatte ihm die Uraufführung seines 2. Klavierkonzerts in der russischen Provinz das Beste gebracht, was einem jungen Musiker zu dieser Zeit passieren konnte – einen handfesten Skandal, der seinen Namen allgemein bekannt machte. In der Folge erhielt Prokofjew Einladungen nach Europa und machte sich einen Namen als fortschrittlicher, entschieden mit der Tradition brechender Komponist. Sein Schaffen aus dieser Zeit zeigt eine faszinierende Vielfarbigkeit. Praktisch gleichzeitig entstanden so unterschiedliche Werke wie die bruitistische „Skythische Suite“, das lyrische 1. Violinkonzert und die berühmte „Klassische Symphonie“.
Schon während Prokofjews Studienzeit machten sich die tiefgreifenden gesellschaftlichen und politischen Umbrüche bemerkbar, die schließlich in die Oktoberrevolution mündeten. Angesichts der unsicheren Verhältnisse zog Prokofjew, der über ausgezeichnete Kontakte in ganz Europa verfügte, es vor seine Heimat zu verlassen. Am 7. Mai 1918 brach er in die USA auf, reiste aber nicht als Emigrant wie etwa Rachmaninoff oder Strawinsky, sondern mit offizieller Genehmigung als sowjetischer Bürger. Aus dem begrenzten Auslandsaufenthalt, der zunächst ins Auge gefasst war, wurden anderthalb Jahrzehnte, in denen Prokofjew in verschiedenen Städten Westeuropas und der USA, überwiegend aber in Paris lebte. Er etablierte sich international als Komponist und Pianist und wurde sowohl als Exponent der westlichen Moderne wie als Repräsentant der Sowjetkultur wahrgenommen.
Indessen riss die Verbindung zu seiner Heimat nie ab. Von 1927 an unternahm Prokofjew ausgedehnte Reisen in die Sowjetunion. 1936 ließ er sich dort endgültig nieder. Dieser Schritt hat damals und bis heute wenig Verständnis gefunden, da Prokofjew in ein Land zurückkehrte, das vom Stalinismus gezeichnet war und in dem die Künste strikt auf die ideologischen Vorgaben des Sozialistischen Realismus eingeschworen waren. Prokofjew arrangierte sich mit diesen Verhältnissen und genoss Freiheiten und Privilegien. Als unumstritten führender Komponist seines Landes erfreute er sich in den Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren höchster Wertschätzung. 1948 jedoch verschärfte sich das ideologische Klima deutlich. Auch Prokofjew wurde angegriffen und seine Musik verschwand für einige Zeit aus dem sowjetischen Musikleben. Den unvorhersehbaren Wandlungen der Kulturpolitik entsprechend wurde er später zum Teil wieder rehabilitiert, die Gefahr einer plötzlichen Wende mit der Folge öffentlicher Verurteilung blieb aber stets präsent. Prokofjew starb am 5. März 1953, am selben Tag wie Stalin.
Stand: Juni 2016