Der in London geborene Komponist John Tavener (1944–2014) begann sein Schaffen im Zeichen der Avantgarde, vollzog aber eine tiefgreifende stilistische Wandlung im Laufe seines Lebens. Sie hängt mit seinem wichtigsten Schaffensimpuls zusammen, Taveners tiefer Religiosität. Diese war bereits von Anfang an ausgeprägt und bewegte sich im Rahmen der westlichen christlichen Konfessionen. Mit Taveners Wendung zur mystischen Tradition der orthodoxen Ostkirche im Verlauf der 1970er Jahre, der später mannigfache spirituelle Einflüsse jenseits des Christentums folgten, verband sich eine Wiederentdeckung konsonanter, tonaler Stilelemente und oft auch eine starke Vereinfachung seiner musikalischen Sprache. Eine ganze Reihe von Taveners von dort an entstandenen Werken lotet in weltabgewandter Versunkenheit den sinnlichen Gehalt traditioneller Klänge aus und lässt sich als post- oder neotonal einordnen. Daneben existieren zahlreiche ganz andersartig verfasste Stücke, collagehafte, mit Stilzitaten und Elementen avantgardistischer Musik arbeitende Kompositionen voller Brüche und innerer Spannungen.
Schlüsselwerke seines umfangreichen Schaffens, in denen Vokal- und Chorwerke unübersehbar das Zentrum bilden, sind „The Protecting Veil“ für Cello und Streicher (1988), angeregt vom gleichnamigen orthodoxen Feiertag, eine Requiem-Komposition (2007), die zahlreiche nichtchristliche Quellen einbezieht, und das „The Death of Ivan Ilyich“ nach Tolstoi für Bariton und Orchester (2012). Tavener musste mehrere ernste gesundheitliche Krisen durchmachen. Die Auseinandersetzung mit dem Tod als einem ständig gegenwärtigen Thema seines Schaffens ist tief in seiner Lebensgeschichte verankert. Mit seiner oft spontan zugänglichen Musik hat Tavener auch außerhalb des etablierten Konzertbetriebs eine außergewöhnlich große Zuhörerschaft erreicht, vor allem durch Filmmusiken, etwa zu „The Tree of Life“ von Terence Malick, und durch die Aufführung von „Song for Athene“ im Rahmen der Beerdigung von Prinzessin Diana 1997.