Wolfgang Rihm © Kai Bienert
Der 1952 in Karlsruhe geborene Komponist hat ein gewaltiges, über 600 veröffentlichte Kompositionen umfassendes Gesamtwerk geschaffen, das jeden Vergleich sprengt und über das selbst Expert*innen längst den Überblick verloren haben. Ein Schlüsselbegriff seines Schaffens ist die künstlerische Freiheit. Wolfgang Rihm misstraute ästhetischen Dogmen, dem ganzen Kanon dessen, was zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Musik erlaubt oder verboten sein soll, ebenso allen Kompositionsmethoden, bei denen das Schaffen von Musik zum blinden Ausführen selbst gesetzter Konstruktionspläne wird. Stattdessen folgte Rihm seinem Ausdrucksbedürfnis und tatsächlich zeichnet eine besondere expressive Kraft sein Schaffen aus. Diese Ausdruckskraft verbindet sich mit einer außerordentlichen Fähigkeit zur plastischen Gestaltung musikalischer Vorgänge. Schließlich war Wolfgang Rihm auch ein eminent reflektierter und theoriebewusster Künstler, der aus einer profunden Kenntnis der Tradition und der Entwicklungen der Musik der Gegenwart heraus komponierte. Dabei reichte sein geistiger Horizont weit über die Musik hinaus, was auch die immense, von Heraklit bis Heiner Müller reichende Liste der von ihm vertonten Dichter zeigt.
Wolfgang Rihms kompositorische Begabung wurde schon während der Schulzeit manifest. Prägenden Einfluss auf den jungen Komponisten hatte der Unterricht bei Karlheinz Stockhausen, der künstlerisch geradezu als Antipode Rihms gelten kann, dessen unbedingte Konzentration und Hingabe an das eigene Schaffen Rihm aber inspirierte. Nachdem Rihm in Avantgardekreisen bereits 1976 mit dem Orchesterwerk „Sub-Kontur“ großen Eindruck hinterlassen hatte, wurde er 1978 durch die Uraufführung seiner Kammeroper „Jakob Lenz“ an der Hamburgischen Staatsoper einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Seitdem gehörte Wolfgang Rihm zu den angesehensten Komponisten unserer Zeit, wobei sein Schaffen im letzten Jahrzehnt einen Schwerpunkt auf Orchesterwerken und Konzerten sowie auf Gedichtvertonungen zeigte.
Neben seinem musikalischen Schaffen war Wolfgang Rihm auch ein enzyklopädisch gebildeter, produktiver Autor. Mehrere Bände Schriften und Gespräche sind erschienen, die beredt, anschaulich und erhellend von der Musik anderer Komponist*innen und künstlerischen Fragen handeln. Gegen das erklärende Sprechen und Schreiben über die eigenen Kompositionen hatte Rihm dagegen einen Widerwillen, auch wenn er sich immer wieder genötigt sah, entsprechenden Anfragen nachzukommen. Seine Musik soll für sich selbst stehen. Am 27. Juli 2024 ist Wolfgang Rihm verstorben.
Stand: Juli 2024