Als einer der bedeutenden Künstler seiner Generation erfindet Philippe Parreno das Ausstellungserlebnis neu, indem er es insgesamt als Medium begreift und dessen Konstruktion in den Mittelpunkt seines Schaffensprozesses stellt. Parreno setzt Film, Skulptur, Zeichnung, Text und noch anderen künstlerische Medien ein, um seine Ausstellungen dramaturgisch als Räume mit einer Abfolge verschiedener Ereignisse zu gestalten. Er will aus dem Museumsbesuch ein einzigartiges Erlebnis machen, das mit den Grenzen von Zeit und Raum und mit der Sinneserfahrung der Besucher spielt. Für Parreno ist eine Ausstellung weniger ein geschlossenes Gesamtkunstwerk als eine unvermeidliche Vielfalt von Wechselwirkungen, aus der sich laufend immer neue Möglichkeiten ergeben.
2016 erhielt Parreno den begehrten Auftrag „Hyundai Commission“, ein Werk für die Tate Modern Turbine Hall in London anzufertigen. Seine Arbeit „Anywhen“ wurde international gefeiert. 2013 bespielte er als erster einzelner Künstler überhaupt die gesamte, 22.000 Quadratmeter große Ausstellungsfläche des Palais de Tokyo in Paris mit seiner monumentalen Ausstellung „Anywhere, Anywhere Out of the World“. Beim 66. Filmfestival in Cannes wurde außer Konkurrenz der Film „Zidane: A 21st Century Portrait“ vorgestellt, den Parreno gemeinsam mit Douglas Gordon gedreht hat.
Zeit hat für Philippe Parreno eine besondere Bedeutung. Seine Ausstellung „H{N)Y P N(Y} OSIS“ in der Wade Thompson Drill Hall des Park Avenue Armory, New York, war eine akribisch choreografierte Folge von Licht- und Klangwirkungen, Projektionen, Performances und Musikdarbietungen. Wie andere seiner Projekte wurde auch diese Ausstellung als „immersiv“ bezeichnet, womit gemeint ist, dass jede ihrer genau definierten Komponenten (eine Lichtskulptur, ein Film oder ein Musikstück) den Aspekt der Zeitdauer betont und die Betrachter auffordert, langsamer zu werden, hier und da Platz zu nehmen, sich konzentriert auf jede einzelne Arbeit einzulassen, um am Ende Verbindungen zwischen ihnen herzustellen.
Für seine Ausstellung „Anywhere, Anywhere Out of the World“ konnte Parreno 2013 über die riesigen Räume des Pariser Palais de Tokyo frei verfügen. Er inszenierte diese Ausstellung als dramatische Komposition, in der geisterhafte Schemen von Objekten, Klängen, Licht und Filmen das Besuchserlebnis lenkten und zu einer Reise durch seine alten und neuen Werke einluden. Aus einem Monolog wurde Polyphonie. Parreno verwandelte das Haus insgesamt in einen lebendigen, dauerndem Wandel ausgesetzten Organismus.
Auch bei „Dancing around the Bride“ (2012) am Philadelphia Museum of Art brachte Parreno, diesmal kuratiert von Carlos Basualdo und Erica F. Battle, als Großregisseur die Dimensionen Zeit und Bewegung rund um Werke von John Cage, Merce Cunningham, Jasper Johns und Marcel Duchamp zur Geltung. In der gleichnamigen Ausstellung der Londoner Serpentine Gallery von 2010 folgten Besucher in Gruppen einer Tonspur durch mehrere Räume. In „The Bride and the Bachelors“ am Barbican in London (2013) war der Ton ebenfalls Hauptbestandteil des Geschehens: Zu Parrenos abwechslungsreichem, mit viel Gespür inszeniertem Arrangement aus Live-Musik und zuvor eingespielten Klängen, das Werke von Cage, Cunningham, Johns, Rauschenberg und Duchamp zum Ausgang nahm, fanden hier wechselnde Tanzaufführungen statt, mit denen sich die Ausstellung laufend veränderte.
Die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern ist ein häufig wiederkehrendes Moment in Parrenos Arbeit. So kam im Juni 2006 sein abendfüllender, gemeinsam mit dem schottischen Künstler Douglas Gordon gedrehter und beim Filmfestival in Cannes außer Konkurrenz vorgestellter Dokumentarfilm „Zidane: A 21st Century Portrait“ ins Kino. Mit 17 Kameras begleitet dieser einzigartige Fußballfilm den berühmten französischen Mittelfeldspieler Zidane während einer gesamten Partie zwischen Real Madrid und Villarreal vor 80.000 Fans im Stadion Santiago Bernabeu. 2007 leitete und kuratierte Parreno gemeinsam mit Hans Ulrich Obrist die Gruppenausstellung „Il Tempo del Postino“ (Die Zeit des Briefträgers) beim Manchester International Festival, die 2009 auch auf der Art Basel gezeigt wurde. Veranstaltet von der Fondation Beyeler und dem Theater Basel, war diese Wiederaufnahme als eine Gruppenausstellung nicht im Raum, sondern in der Zeit konzipiert: Die beteiligten Künstler stellten ihre zeitbasierten Werke nacheinander auf der Bühne des Theaters aus. Mit ihrer Beschränkung auf zeitbasierte Arbeiten wollte diese Ausstellung auch einem neuartigen Erleben bildender Kunst den Weg bereiten. 2012 gestaltete Parreno gemeinsam mit Liam Gillick „To the Moon via the Beach“ im Amphitheater von Arles. In diesem Werk ging es um das Arbeiten, Schaffen und Verändern, wobei schon der Titel Wandelbarkeit und Reiseabenteuer verhieß. Beim Betreten der Ausstellung erwartete die Besucher ein unter Unmengen von Sand verschüttetes Areal. Vier Tage lang wurde dieser „Strand“ von Sandbildhauern in eine Mondlandschaft verwandelt, die gleichzeitig eine Kulisse für 22 Kunstprojekte bildete. Im Offenbaren des Arbeitsprozesses waren Herstellung, Darbietung und Gedankenaustausch gleichermaßen gewichtet.
2014 beteiligte sich Parreno als Künstler und Kurator an einem außergewöhnlichen Gemeinschaftsprojekt mit Tino Sehgal, Liam Gillick, Hans Ulrich Obrist, Asad Raza, Pierre Boulez und anderen: „Solaris Chronicles“ war eine zweiteilige Ausstellung auf dem LUMA Arles Campus, die in künstlerischen Interventionen und Projekten der schöpferischen Vision des Architekten Frank Gehry nachging. Rund um großmaßstäbliche Modelle bedeutender Bauten von Gehry erzeugte die Inszenierung eine Brücke zwischen Architektur zur Kunst und veränderte im Zuge dessen auch das gewohnte Verhältnis und die Arbeitshierarchie zwischen den beiden Künsten.
Philippe Parreno lebt in Paris und hat weltweit ausgestellt und publiziert. Er studierte von 1983 bis 1988 an der École supérieure d’art in Grenoble und 1988-89 am Institut des hautes études en arts plastiques im Palais de Tokyo.
Parrenos Arbeit war in Einzelausstellungen bisher an folgenden Institutionen zu sehen: Jumex, Mexico-Stadt (2017); Rockbund Art Museum, Shanghai (2017); Museu de Arte Contemporânea de Serralves, Porto (2017); ACMI, Melbourne (2016/17); HangarBicocca, Milan (2015/2016), Park Avenue Armory, New York (2015); Palais de Tokyo, Paris (2014/2013); CAC Malaga (2014); Garage Museum of Contemporary Art, Moskau (2013); Fondation Beyeler, Riehen/Basel (2012); Serpentine Gallery, London (2010-2011); Centre for Curatorial Studies, Bard College, New York (2009–10); Irish Museum of Modern Art, Dublin (2009–10); Kunsthalle Zürich (2009) und Centre Georges Pompidou, Paris (2009). Sie ist in bedeutenden öffentlichen Sammlungen vertreten, u.a.: Tate, London; MoMA, New York; Centre Pompidou, Paris; Solomon R. Guggenheim Museum, New York; Kanazawa Museum of the 21st Century, Japan; Musée d’art moderne de la Ville de Paris; SFMOMA, San Francisco; Walker Art Center, Minneapolis. Sie wurde 1993, 1995, 2005, 2007, 2009, 2015 und 2017 auf der Kunstbiennale von Venedig, 2014 auf der Architekturbiennale von Venedig, 1997, 2003 und 2005 auf der Biennale von Lyon und 2001 auf der Istanbul-Biennale gezeigt.