
Unter den Komponisten des 20. Jahrhunderts ist Bohuslav Martinů (1890–1959) eine Erscheinung ganz eigener Art. Fest verwurzelt in der Tonalität und mühelos schaffend hat er ein immenses, nahezu 400 Kompositionen umfassendes Œuvre hinterlassen, das in seiner Vielfalt kaum zu überblicken ist. Neben dem tief ernsten „Mahnmal für Lidice“ stehen groteske Kompositionen wie „La Revue de Cuisine“, neben spielfreudiger, zupackender Kammermusik spröde Werke wie das Oratorium „The Epic of Gilgamesh“. Als nahezu einzige Konstante in Martinůs Schaffen erscheint eine traditionalistische Grundhaltung, eine gewisse Reserve gegenüber der musikalischen Avantgarde, deren Stilmittel Martinů gleichwohl verwendete, wenn ihm dies richtig schien.
Bohuslav Martinů stammt aus Polička, einem kleinen Ort im böhmisch-mährischen Grenzgebiet in Tschechien. Er wurde am 8. Dezember 1890 im Kirchturm des Ortes geboren, wo seine Eltern ein kleines Zimmer bewohnten. Martinů bekam zunächst vom Schneider des Ortes Violinunterricht, fing aber im Alter von zehn Jahren auch an autodidaktisch zu komponieren. Auf der Violine entwickelte er sich sehr gut und lange Zeit sah sich Martinů zwischen den Anforderungen des Instruments und seinem Wunsch zu eigenem Schaffen hin- und hergerissen. 1906 begann er ein Violinstudium am Prager Konservatorium, wurde aber, abgelenkt von der Kompositionstätigkeit, nach vier Jahren wegen „unverbesserlicher Nachlässigkeit“ vom Studium ausgeschlossen. Trotzdem schaffte Martinů den Sprung ins Orchester und war von 1918 bis 1923 Mitglied der Tschechischen Philharmonie in Prag. Gleichzeitig komponierte er stetig weiter und konnte mit Werken in der Nachfolge Debussys auch erste Erfolge verzeichnen.
Der letzte der wenigen Versuche Martinůs, regulären Kompositionsunterricht zu nehmen, brachte eine Wende in seinem Leben. Ausgestattet mit einem Stipendium für drei Monate begab er sich 1923 nach Paris, um bei Albert Roussel zu studieren. Diesen Unterricht brach Martinů bald ab, entschloss sich aber, begeistert von der Pariser Musikwelt, nicht nach Prag zurückzukehren. Er blieb 17 Jahre in Paris und lebte dort lange in äußerst bedrängten Verhältnissen. Kompositorisch nahm Martinů Einflüsse aus dem Jazz auf und setzte sich mit dem Neoklassizismus auseinander. Gegen Ende der 1920er Jahre stellte sich allmählich ein wachsender Erfolg ein. Berühmte Dirigenten begannen, sich für Martinůs Musik zu interessieren, und führten sie nun auch in den USA auf. Während Martinů so zu einem allgemein bekannten Komponisten wurde, besann er sich in seinem Schaffen zunehmend auf die Volksmusik seiner Heimat und arbeitete häufig mit tschechisch gefärbten Rhythmen und Melodien.
Die Verbundenheit mit seiner Heimat äußerte sich auch in seinem politischen Engagement. Nach Hitlers Einmarsch in die Tschechoslowakei 1938 unterstützte Martinů aktiv die Exilregierung in London. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges meldete er sich freiwillig für den Dienst im französischen Heer, wurde aber für untauglich befunden. Als sich die deutsche Armee im Juni 1940 Paris näherte, entschloss sich Martinů zur Flucht. Auf abenteuerlichen Wegen erreichte er schließlich neun Monate später, am 31. März 1941, zusammen mit seiner Frau New York.
In den Vereinigten Staaten wurde Martinů wohlwollend empfangen. Er traf auf ein aufgeschlossenes Publikum, erhielt Kompositionsaufträge der bedeutendsten amerikanischen Orchester und gab bald Kompositionsunterricht an renommierten Institutionen. In den Mittelpunkt seines Schaffens rückten jetzt Symphonien und Konzerte, die sich durch lyrische Emphase und einen schwelgerischen Orchesterklang auszeichnen. In den Jahren nach dem Ende des Krieges zog es Martinů eigentlich nach Europa. In der kommunistischen Tschechoslowakei galt er aber als unerwünscht und so zerstoben alle Pläne einer Rückkehr in seine Heimat. Martinů pendelte noch mehrmals zwischen Europa und den Vereinigten Staaten, auch nachdem er 1952 die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hatte. Am 28. August 1959 starb er in der Schweiz.