Wolfgang von Schweinitz © Markus Altmann
Seit den Anfängen des Nachdenkens über Musik im antiken Griechenland ist bekannt, dass der Tonraum innerhalb einer Oktave weit feinere Abstufungen enthält, als uns die Klaviatur denken lässt. Während dieses Phänomen im Nahen und Mittleren Osten und in asiatischen Kulturen vielfach die Grundlage der musikalischen Praxis bildete, konnte es seit etwa 1700 durch den Kompromiss der temperierten Stimmung aus der westlichen Kompositionsgeschichte ausgeschlossen werden. In der Avantgarde nach 1945 wurden Vierteltöne und andere Mikrointervalle dann zu einem allgemeinen Bestandteil des musikalischen Vokabulars. Kaum ein anderer Komponist hat sich so systematisch und konsequent mit der Welt der Mikrointervalle auseinandergesetzt wie Wolfgang von Schweinitz (*1953).
Von Schweinitz wurde 1953 in Hamburg geboren und war unter anderem von 1973 bis 1975 Kompositionsstudent György Ligetis. Ende der 1970er-Jahre machte er erstmals als Komponist auf sich aufmerksam und wurde bald der Strömung der „Neuen Einfachheit“ zugeordnet. Mitte der 1990er-Jahre begann von Schweinitz, sich kompositorisch von der temperierten Stimmung zu lösen. Sein Augenmerk lag vor allem darauf, die in den natürlichen Ober- oder Teiltönen verborgenen Intervalle der musikalischen Gestaltung zugänglich zu machen. Dabei gelangte er zu einer neuen Notationsform, die das Komponieren mit extrem feinen Intonationsunterscheidungen erlaubt. Seine in diesem System notierten Werke bestehen vorwiegend aus langsam sich verändernden, ruhig und meditativ wirkenden Klangbändern, in denen der einfache Gegensatz zwischen Konsonanz und Dissonanz durch verschiedene Grade der Verschmelzung von Tönen abgelöst wird. Die alten Intervalleigenschaften erscheinen dabei in gesteigerter Form wieder. Konsonanzen können voller und runder, Dissonanzen hingegen schärfer und beißender klingen als gewohnt. Seit September 2007 lehrt von Schweinitz als Nachfolger James Tenneys am California Institute of the Arts bei Los Angeles.
Stand: Juni 2023