
Mit seinen radikal reduzierten Kompositionen stellt Jeppe Ernst (geb. 1985) unser traditionelles Denken über Musik grundlegend in Frage, und zwar sowohl in Bezug auf den musikalischen Ausdruck selbst als auch auf die Art und Weise seiner Präsentation. Indem Ernst alle überflüssigen Schichten eines Werks entfernt, versucht er dessen Kern freizulegen. Dabei eliminiert er oft einen oder mehrere der grundlegendsten musikalischen Parameter – wie zum Beispiel den hörbaren Klang.
Ernst pflegt eine aufgeschlossene und historisch bewusste Herangehensweise an das Komponieren. Gleichzeitig zeichnet sich seine Musik durch soziale und intime Aspekte aus, da sie oft mit konventionellen Aufführungspraktiken bricht und für eine einzelne Person oder ganz ohne die Mitwirkung von Musiker*innen aufgeführt wird.
Mit dem Begriff „Privatmusik“ bezeichnet Ernst eine Reihe von Werken, die direkt für eine*n Leser*in oder eine*n einzelne*n Musiker*in geschrieben wurden, ohne die Absicht, je für ein Publikum aufgeführt zu werden. Das gilt etwa für die 24 Lieder im „Songbook“: Die erste Hälfte der Lieder ist der Phantasie des*der Leser*in gewidmet, mit bis zu sechs gleichzeitigen „Stimmen“, die einfachen rhythmischen Anweisungen folgen – vom imaginären Klang von Explosionen und Donner bis hin zu Vögeln, die den Himmel überqueren, oder dem Wangenkuss eines Kindes. Der poetische Charakter der Lieder wird in der zweiten Hälfte deutlicher, in der man aufgefordert wird, den eigenen Körper in denselben rhythmischen Mustern zu bewegen: indem man zum Beispiel lächelt, in die Luft küsst, die Knie beugt oder das Gesäß anspannt.
Ernst studierte Komposition an der Königlich Dänischen Musikakademie. 2017 erhielt er als erste Person den Pelle-Preis, verliehen an „einen jungen Künstler, der es wagt, die Standards seiner Zeit herauszufordern“.
Stand: Februar 2025