Die ukrainische Komponistin Victoria Vita Polevá vertritt eine in Osteuropa weit verbreitete Stilrichtung, die sich in grundsätzlicher Abkehr von der Avantgarde der Wiederbelebung der Tonalität verschrieben hat und an die Ausdrucksmittel der Romantik anknüpft. Klangschönheit, Einfachheit und Klarheit der musikalischen Gedanken und unmittelbare Zugänglichkeit sind die wichtigsten Charakteristika dieser neotonalen Musik, der man auch Komponisten wie etwa Arvo Pärt oder, aus einer ganz anderen geografischen Richtung kommend, John Taverner zurechnen kann. Besonderes Gewicht kommen dabei der Sakralmusik und religiösen Sujets zu, Musikformen, die in der Sowjetunion lange verpönt und unterdrückt waren. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine thematisiert Polevá in ihren Werken dezidiert den Krieg und die Leiden, die er über die Ukraine gebracht hat.
Polevá wurde 1962 in Kiew geboren und steht in einer langen musikalischen Familientradition: Ihr Großvater war Sänger, ihr Vater Komponist. Polevá studierte am Tschaikowsky-Konservatorium ihrer Heimatstadt, unter anderem bei Iwan Karabits, und übernahm dort zwischen 1990 und 2005 verschiedene Dozenturen. Seither lebt sie als freischaffende Künstlerin. Seit April 2022 wohnt sie in der Schweiz.
Polevá begann ihr kompositorisches Schaffen in der Auseinandersetzung mit der Musik der Avantgarde, ehe sie Ende der 1990er Jahre die stilistische Wendung zu Neotonalität und Spiritualität vollzog. In ihrem umfangreichen Œuvre nehmen Werke für Chor, sowohl a capella als auch in Verbindung mit dem Orchester, breiten Raum ein. Daneben bilden sinfonische und kammermusikalische Stücke einen Schwerpunkt. Im Westen haben sich prominente Interpreten wie das Kronos Quartet und insbesondere der Geiger Gidon Kremer für ihre Musik eingesetzt.
Stand: Juni 2023