
Hans Pfitzner (1869–1949) macht es einem nicht leicht. Seine Persönlichkeit ist voll von wenig angenehmen Zügen. In seinen Schriften paaren sich Selbstgerechtigkeit und Rechthaberei mit einer Aggressivität, die sich aus dem Gefühl speist, nicht angemessen gewürdigt zu sein. Als mindestens latenter Antisemit und mit einem ausgeprägten Nationalismus ausgestattet, biederte sich Pfitzner dann in beschämender Weise bei den Nationalsozialisten an, in der irrigen Meinung, das Regime werde für die häufige Aufführung und weite Verbreitung seiner Werke sorgen. Dass Pfitzner dem Generalgouverneur im besetzten Polen, Hans Frank, der ihn tatsächlich zu einigen Konzerten eingeladen hatte, nach den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen noch in die Todeszelle hinein seine Solidarität bekundete, obwohl er wissen musste, für welche Massenmorde und Grausamkeiten Frank verantwortlich war, zeigt das Ausmaß seiner Verblendung.
Hans Pfitzner wurde am 5. Mai 1869 in Moskau geboren, wo sein Vater Geiger an der Oper war. Als diesem 1872 eine Stelle im Frankfurter Opernorchester angeboten wurde, zog die Familie nach Deutschland zurück. Von 1886 bis 1890 studierte Hans Pfitzner Klavier und Komposition, ohne besondere Aufmerksamkeit zu erregen. Dem Studium folgte eine längere Durststrecke, während der Pfitzner sowohl erste Erfolge – wie 1895 die Uraufführung seiner ersten, Wagner nachfolgenden Oper Der arme Heinrich – verzeichnen konnte als auch mancherlei Niederlagen und Rückschläge einstecken musste. Es gelang ihm aber, noch zwei weitere Opern zur Uraufführung zu bringen und auch als Dirigent bekannt zu werden. Das Jahr 1908 brachte Pfitzner dann einen beruflichen Durchbruch. Die Stadt Straßburg übertrug ihm die Leitung des Konservatoriums und des Symphonieorchesters der Stadt, wenig später auch die des Opernhauses.
In Straßburg gelang Pfitzner nun schöpferisch der große Wurf: die Oper Palestrina. Die Uraufführung des Werkes im Juni 1917 in München wurde zu einem triumphalen Erfolg. In der vielschichtigen Künstleroper geht es um das Verhältnis von Fortschritt und Tradition in der Musik. Inmitten einer in radikalem Stilwandel begriffenen Musikwelt gelingt es dem Renaissancemeister Palestrina, unschwer als Alter Ego Pfitzners zu erkennen, durch die Komposition einer Messe das drohende Verbot mehrstimmiger Musik in der katholischen Kirche abzuwenden und so die ehrwürdige Tradition polyphoner Musik vor dem Verfall zu bewahren. In seiner Partitur zu Palestrina unternimmt Pfitzner Ähnliches wie seine Bühnenfigur. Er demonstriert, dass es auch im 20. Jahrhundert noch möglich ist, mit den überlieferten Mitteln der Spätromantik expressive, lebendige Musik zu komponieren und Neues zu schaffen, ohne sich in blutleerem Epigonentum zu verlieren. Pfitzners eigenes Verhältnis zur neu heraufziehenden Epoche ist dabei gebrochener als das seines den Fortschritt rundweg ablehnenden Bühnen-Ichs Palestrina. Wolfgang Rihm hat darauf hingewiesen, dass sich in Pfitzners Musiksprache Moderne und Tradition tatsächlich unauflöslich verschränken und er weder der einen noch der anderen Seite umstandslos zuzuordnen ist.
Die 1920er Jahre waren ein Jahrzehnt des Erfolges für Pfitzner, der in vielfacher Funktion als Komponist, Lehrer und Interpret zu einer gesuchten Persönlichkeit wurde. Gestützt auf den Erfolg des Palestrina konnte Pfitzner eine Villa am Ammersee bei München erwerben. 1920 erhielt er den Ruf zur Übernahme einer Meisterklasse für Komposition an der Preußischen Akademie der Künste in Berlin. Mit teilweise wütenden Invektiven profilierte sich Pfitzner als das publizistische Aushängeschild des musikalischen Konservativismus. Gleichzeitig trat in seinem Schaffen eine Wandlung ein. Während bisher die Oper im Zentrum gestanden hatte, wandte sich Pfitzner nun vor allem der Orchestermusik zu. Werke wie die Eichendorff-Kantate Von deutscher Seele erhielten repräsentative Aufführungen durch führende Interpreten der Zeit. 1929 wurde der 60. Geburtstag des Komponisten in ganz Deutschland begangen.
Als die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, wurde Pfitzner zwar als »deutscher Musiker« von der Propaganda gefeiert, die tatsächlichen Aufführungen indes blieben weit hinter Pfitzners immensen Erwartungen zurück, und dies umso mehr, als sein zunehmend sprödes, teils grüblerisch, teils heiter-gelassen wirkendes Alterswerk so gar nicht zur pompösen Überwältigungsästhetik des Nationalsozialismus passte. Allmählich wurde es ruhiger um Pfitzner, der mehrere private Schicksalsschläge erdulden musste. Die letzten Jahre nach Kriegsende verbrachte er in einem Altersheim. Von der amerikanischen Besatzungsbehörde wurde der ehemalige »Reichskultursenator« zunächst mit einem Aufführungsverbot belegt. Die Sanktionen gegen Pfitzner wurden aber 1948 im Spruchkammerverfahren aufgehoben, so dass die Wiener Philharmoniker den greisen Komponisten im Februar 1949 zu einer glanzvollen Aufführung des Palestrina einladen konnten. Pfitzner starb im Mai des gleichen Jahres in Salzburg an den Folgen eines Schlaganfalls.
Stand: September 2011