Dmitri Schostakowitsch, 1950 Foto: Roger Rössung & Renate Rössing © Deutsche Fotothek
Wer in den frühen 1920er-Jahren im damaligen Leningrad ein Kino besuchte, konnte eine besondere Erfahrung machen: Am Klavier saß ein hochgewachsener junger Mann, der mit unfehlbarem dramatischem Instinkt die Begleitung zum gerade laufenden Stummfilm improvisierte – Dmitri Schostakowitsch (1906 – 1975). Die Auftritte als Kinopianist waren für Schostakowitsch nur eine Gelegenheitstätigkeit. Filmmusik entsprach aber seiner Fähigkeit zur unmittelbar anschaulichen musikalischen Erfindung. Dem wachsenden Bedarf an Musik konnte Schostakowitsch mit Leichtigkeit nachkommen, und so macht Filmmusik etwa ein Drittel seines gesamten Werks aus.
Wegweisend für Schostakowitschs autonomes Schaffen war die Uraufführung der 1. Sinfonie am 12. Mai 1926. Mit dieser distanziert ironischen, meisterhaften Partitur errang der noch nicht 20 Jahre alte Komponist umgehend internationale Beachtung. Sein Aufstieg war nun unaufhaltsam, in der kurzen Phase der progressiven sowjetischen Avantgarde legte er immer waghalsigere Partituren vor.
Während Schostakowitsch im westlichen Ausland als Exponent einer neuen sowjetischen Kultur wahrgenommen wurde, sah man sein Schaffen von offizieller russischer Seite aus höchst kritisch. Am 28. Januar 1936 erschien in der Parteizeitung Prawda unter der Überschrift „Chaos statt Musik“ ein Artikel, in dem Schostakowitsch scharf angegriffen wurde. In einer Zeit rücksichtsloser politischer Säuberungen und Schauprozesse musste der Komponist von diesem Tag an um sein Leben fürchten.
Tatsächlich fiel er aber nicht in völlige Ungnade. 1937 durfte seine 5. Sinfonie uraufgeführt werden, mit der Schostakowitsch Außerordentliches gelang: Während die Sinfonie an der Oberfläche den von der Partei ausgegebenen Forderungen der „Volksverbundenheit“ und „Heroik“ genügt, lässt die Musik für verständige Hörer*innen gleichzeitig keinen Zweifel an einer grundsätzlich oppositionellen Haltung gegenüber dem Regime.
Nach dem Erfolg der 5. Sinfonie verlief Schostakowitschs Leben in einem absurden Auf und Ab zwischen Stalin-Preisen für Filmmusiken und bedrohlichen Anfeindungen und Aufführungsverboten. Dieses Muster setzte sich nach Stalins Tod fort, auch wenn Schostakowitschs Leben nun nicht mehr gefährdet war. Anknüpfungspunkte für Kritik bot er genug, allein schon durch seine Beschäftigung mit jüdischer Musik, die entsprechend der Parteilinie strikt untersagt war.
Ende 1959 wurde bei Schostakowitsch eine unheilbare Krankheit diagnostiziert. Er musste nun immer längere Zeit in Krankenhäusern und Sanatorien verbringen und schuf dennoch ein eindringliches Spätwerk, das in kargen Klanglandschaften um die Themen von Tod und Resignation kreist. Der Komponist starb am 9. August 1975 in Moskau.
Stand: Dezember 2024