
Installation / Vortrag & Gespräch
Joulia Strauss: An Friedrich Kittler. Seelenreisen. The Sun Machine Is Coming Down © Berliner Festspiele / Eike Walkenhorst
Schatten und Seelenreisen
Mit der These „Medien bestimmen unsere Lage“ entzündete Friedrich Kittler in den 1980er Jahren die geisteswissenschaftliche Debatte um die (Macht-)Verhältnisse von Mensch und Medium. In seinem 10. Todesjahr gedenkt die Künstlerin und Kittler-Schülerin Joulia Strauss mit ihrem zweiteiligen Werk- und Diskursprogramm der Bedeutung seiner Medientheorie.
Joulia Strauss’ zweiteiliger Beitrag zu „The Sun Machine is Coming Down“ modelliert die Anwesenheit von Kittlers Gedankenwelt und ermöglicht in einem Übergangsbereich aus Kunst und Diskurs eine Fortführung und Aktualisierung seiner Thesen. Zehn Jahre nach seinem Tod bewirkt die Corona-Pandemie eine Zeit physischer Isolation und virtueller Verbundenheit, in der Medien in bisher unbekanntem Ausmaß den Zugang zueinander sowie zu Informationsbereichen regulieren und so den Kulturwandel vorantreiben. Das schwebende Drahtportrait Friedrich Kittlers im Eingangsbereich dreht sich zyklisch über dem Modell des ICC. Seine Physiognomie basiert auf einem 3D Scan des Literatur- und Medienwissenschaftlers. Sein Schatten auf dem Modell des Veranstaltungsortes verbindet so die Erinnerung an seine Gedankenwelt mit dem konkreten Ort der Andacht.
Indem er die Geschichte des menschlichen Denkens als ein Denken in Medien analysiert, hat Friedrich Kittler das Medium selbst zum Gegenstand seiner Forschung gemacht. Für ihn entwickeln die technische Systeme und ihre Sprache eine Macht, die die individuelle Stimme des Menschen dominiert.
Wie lässt sich Kommunikation denken, wenn sie nicht mehr dem alten Sender- und Empfängermodus folgt, sondern als ein Gefüge verstanden wird, das heute in Echtzeit Feedbacks moduliert und eine digitale Kommunikation ohne Zentrum geschaffen hat? Der sich darin vollziehenden „Dezentralisierung des Wissens“ geht Joulia Strauss mit eingeladenen Gästen in ihren „Séancen“ im kreisrunden Saal 6 nach: Hier treffen Medien der Vergegenwärtigung und Verknüpfung inmitten einer Pflanzeninstallation auf die eigens für diesen Anlass gefertigte, auf Kittlers Totenmaske basierende Sirenen-Skulptur. In der suggerierten Einheit von physis und techne, Natur und Technik, setzen Teilnehmende, Referent*innen und Weggefährt*innen Kittlers ihr Gespräch über sein Werk und seine Person fort, das vor 10 Jahren in der Charité Berlin nur scheinbar endete.
Die Installation entstand in künstlerischer und wissenschaftlicher Zusammenarbeit mit Marc Müller und Maxim Svyntsitskyy, Arne Janning, Tania Hron und Teresa Minn.
Ein Projekt der Programmreihe Zu Immersion.