Welchen Sinn geben wir dem Spiel? Welchen Sinn geben wir dem Spiel im öffentlichen Raum? Und welchen Sinn dem Spiel der Kinder? Wir Erwachsene können von spielenden Kindern viel lernen: vertiefen, ohne Ablenkung, Raum und Zeit vergessen, um sich in imaginäre Welten zu begeben, Momente in voller Intensität erleben, ohne Angst, etwas zu verpassen.
Wir leben in einer Welt, die sich zunehmend entkörpert, die alles auf einen Bildschirm reduziert und Körper, Geist, und Kreativität zu wenig Raum gibt. Das Spiel gehört zu den vollkommensten und erfolgreichsten Werkzeugen, um Menschen zu ermächtigen, zu bilden und miteinander zu verbinden. Spiel ermöglicht Empathie, ermutigt zum Risiko, lehrt Konflikte zu lösen und fordert auf, die Umgebung aktiv und gemeinsam zu gestalten und mit Sinn zu versehen.
Der Spielplatz war anfänglich - ab 1860 - ein “moralisches” Projekt von sozial denkenden Menschen, Pädagogen und Gestalter. In Skandinavien betteten Pädagogen und Gestalter ihn ab 1920 in einen natur-ästhetischen Kontext ein und verbanden ihn mit der Aufforderung zur Kreativität. Es war der Beginn einer fruchtbaren Epoche des Experimentierens und Kombinierens: zwischen Kunst, Landschaftsarchitektur, Skulptur und Handwerk war alles möglich. Ab den 1980er Jahren wurde dieses reiche Gedankengut mehr und mehr im Spieldesign ab der Stange verwässert. Doch die Konzepte der Pionierinnen und Pioniere sind immer noch relevant – heute mehr denn je.
Spielen als moralisches Konzept
Die Spielplatzbewegung entstand ab 1860 als Teil der sozialen Reformbewegungen in den USA. Die Sozialreformer, meist gut gebildete, sozial engagierte Frauen und Männer reagierten auf die katastrophalen Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Industriestädten. Lange bevor es einen Sozialstaat gab, gründeten sie verschiedene private Einrichtungen wie Spielplätze, um die zahlreichen, unbeaufsichtigten Arbeiter- und Migrantenkinder zu betreuen, zu erziehen, aber auch zu disziplinieren.
Spielen im Auftrag der Volksgesundheit
Deutsche Wissenschaftler und Hygieniker (Vorkämpfer einer besseren Volksgesundheit) propagierten gegen Ende des 19. Jahrhunderts besonders das Sandspiel an der frischen Luft.
Es ging dabei vor allem um „Leibesertüchtigung“. Die Reformpädagogik, eine Bewegung des beginnenden 20. Jahrhunderts, forderte dagegen eine kindgerechte Bildung. Die aufkommende Kinderpsychologie wies nach, dass die Kindheit als Lebensabschnitt von zentraler Bedeutung für die gesamte menschliche Entwicklung ist. In diesem Zusammenhang erkannte man im Spielen eine kindliche Ur-Tätigkeit – von großem Wert für die Entwicklung und nicht mehr einfach ein wertloser Zeitvertrieb.
Spielen als kreative Aktivität
Der dänische Landschaftsarchitekt Carl Theodor Sørensen entwarf bereits in den 1920er Jahren für Wohngenossenschaften natürlich gestaltete Spielräume. 1931 formulierte er das Konzept des „Skrammellegeplads“, eines “Gerümpel-” oder Bauspielplatzes ohne eigentliche Spielgeräte. Dieser wurde 1943 in Emdrup bei Kopenhagen erstmals umgesetzt. Es glich einer Revolution, weil die Gestaltung des Spielplatzes vollständig den Kindern überantwortet wurde. Marjory Allen, die englische Kämpferin für Kinderrechte, brachte die Idee des Skrammellegeplads 1945 nach Großbritannien, in die USA und sogar nach Japan und machte ihn als „Adventure Playground“ (Abenteuerspielplatz) gesellschaftsfähig. Dank ihr entstand 1967 in Berlin der erste Abenteuer- oder „pädagogisch betreute Spielplatz“ Deutschlands. Kaum eine andere Person hatte einen so weitreichenden Einfluss wie Marjory Allen, die sich unermüdlich für die Rechte und Bedürfnisse von Kindern einsetzte.
Kampf für eine spiel- und kindgerechte Stadt
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Europa geprägt von Zerstörung und Wiederaufbau. Wirtschaftswunder, Wohnungsbau und der Siegeszug des Automobils führte zu einer rasanten Verstädterung. Spielen auf der Straße war nicht mehr möglich. Spielplätze gehörten nun zur Standardausstattung von Großsiedlungen, waren aber oft lieb- und fantasielos ausgestattet. Bürger, Studentinnen, Eltern und Kinder waren nicht länger bereit, diese trostlosen Orte und die Dominanz des Autos zu akzeptieren. Die Umweltkrisen der 1970er-Jahre sensibilisierten die Leute und sie begannen für ihren Lebensraum, ihr Quartier oder ihren Wohnblock zu kämpfen und sich für besseren Spielraum zu engagieren: es war die Stunde der spontanen Aktionen und der Eigen- und Bürgerinitiativen.
Die Spielwagen-Bewegung in der DDR: mobile Spiel-Animation
Während in der westlichen Welt in den 1980er-Jahren eine neoliberale Ideologie immer dominanter wurde und die Konsumgesellschaft zunehmend alle Lebensbereiche dominierte, begannen in der DDR die Bürgerinnen und Bürger für mehr Freiheit, Kreativität und öffentlichen Raum zu kämpfen. Exemplarisch gelang es der Spielwagen-Bewegung, die 1979 zuerst in Berlin entstand und dann in anderen Städten der DDR Nachahmer fand, in Parks und Wohnsiedlungen temporäre Freiräume für kreatives und freies Spiel zu öffnen. Die Spielwagen-Bewegung war über die Wende hinaus aktiv und vernetzte sich, um ihre Errungenschaften ins wiedervereinigte Deutschland hinüberzuretten.
Heilendes Spiel
Mit den 1980er Jahren verlor die Frage des Spielplatzes aus verschiedenen Gründen an Bedeutung. Seit gut zehn Jahren entdecken vermehrt Universitäten, Kollektive und Architekten und Landschaftsarchitektinnen den Spielplatz wieder als kreativen Freiraum. Sie denken den Spielplatz als Teil des öffentlichen Raums und des urbanen Dschungels. Er wird als Katalysator verstanden, um beispielsweise in einem Quartier eine neue Dynamik zu erzeugen oder um Kinder in Krisensituationen zu stärken, wie die folgenden Beispiele illustrieren.
2006 gründeten sechs Studenten und Studentinnen der Harvard Graduate School of Design die Kounkuey Design Initiative (KDI), mit drei Standbeinen: Kopenhagen, Los Angeles und Nairobi. In der informellen Siedlung von Kibera / Nairobi hat KDI zusammen mit lokal ansässigen Organisationen elf „produktive öffentliche Räume“ gebaut. Diese verbessern den Hochwasserschutz, die Erschließung und bieten verschiedene Arten von Infrastruktur: von Treffpunkten, Mikromärkten bis hin zu Spielplätzen, einschließlich sanitärer Einrichtungen. Dadurch werden sie zu erstklassigen öffentlichen Räumen.
Ein anderes Beispiel stammt aus Japan. Wie bereits nach dem Kobe-Erdbeben (1995) organisierten dort sogenannte „play worker“ nach dem Tohoku-Erdbeben und dem Tsunami von 2011 in den betroffenen Orten temporäre Spielorte. Initiiert wurden diese vom Play Worker und Mitbegründer des ersten Abenteuerspielplatzes in Tokio, Hideaki Amano. Er bemerkte, dass das Spielen den Kindern hilft, das Trauma zu verarbeiten. Er beobachtete, wie sie das Erbeben oder den Tsunami unzählige Male nachspielten. Dabei wurde ihm klar, dass das Spiel für die Kinder eine heilende Wirkung hatte und sie wieder lachen konnten.
Krisen fordern die Gesellschaft heraus, sie muss sich aufraffen, die bequeme Komfortzone verlassen und Lösungen suchen - Spiel bringt Spaß, neue Sichtweisen und Prioritäten.