
Die zweite Ausgabe von Performing Exiles geht der Frage nach, was der Begriff Exil heute bedeutet. Das Festival präsentiert Werke sowohl von international renommierten als auch von aufstrebenden Künstler*innen am Beginn ihrer Karriere. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf künstlerischen Positionen von Menschen, die sich selbst als diasporisch begreifen und Berlin als ihren Lebensmittelpunkt gewählt haben. Neben einer Uraufführung von Mohammad Rasoulof und einem Gastspiel von Mario Banushi werden Koproduktionen von Lina Majdalanie & Rabih Mroué sowie von Tamara Trunova gezeigt. Im Rahmen von Performing Exiles präsentiert das Format „100° Diaspora“ in einem dreitägigen Performance-Marathon die Arbeiten von 45 diasporischen Künstler*innen(-Gruppen) auf fünf Bühnen im Haus der Berliner Festspiele.
1947 wurde Bertolt Brecht im Exil in den USA vom HUAC, dem „Komitee für unamerikanische Umtriebe“ verhört – ein Ereignis, das er mit seiner exzellenten Rhetorik und in holprigem Englisch in eine Theater-Szene verwandelte. Das libanesische Künstlerduo aus Lina Majdalanie und Rabih Mroué knüpft in seinem Stück „Four Walls and a Roof“ (2024) an dieses denkwürdige Verhör an und verbindet es mit eigenen Exilerfahrungen. Mit kritischem Humor und kreativen Abschweifungen verweben sie historische Dokumente mit persönlichen Elementen, um aktuelle politische und soziale Konflikte sowie ideologische Irrwege zu beleuchten – stets ankämpfend gegen vorgefertigte Meinungen und Urteile.
Vier Wände und ein Dach. Lina Majdalanie & Rabih Mroué
© Christophe Berlet
Die Inszenierung „Confronting the Shadow“ von der ukrainischen Regisseurin Tamara Trunova entsteht als Koproduktion zwischen dem Left Bank Theatre in Kyiv und dem Performing Exiles Festival. Die Arbeit ist der Versuch, Abwesenheit darzustellen und zu thematisieren. Zunächst geplant als eine Inszenierung zu Fragen von Krieg und Feminismus, hat Trunova den Fokus nach den Entwicklungen in den letzten Tagen und Wochen noch einmal erweitert: Geht es um das Verschwinden eines ganzen Landes? Und wird das Land dabei auf seine Opferrolle reduziert? Was und wer ist die dunkle Seite, und warum verfolgt sie uns immer? Hat der Schatten eine Stimme? Wie lange lebt er, nachdem das Objekt, das Subjekt oder das ganze Land verschwunden ist? Gemeinsam mit sechs Schauspieler*innen und einem Musiker entwickelt Tamara Trunova eine Neuproduktion, die geprägt ist vom Leben und Arbeiten in der Ukraine und in Europa.
Tamara Trunova
© Anastasiia Mantach
Diese Theaterinszenierung von Mohammad Rasoulof verwebt die Themen Exil, Identität und künstlerische Freiheit zu einer Performance, die das Publikum dazu einlädt, über die Bedeutung von Heimat und die Kraft der Selbstbestimmung nachzudenken. Setareh Maleki, Mahsa Rostami and Niousha Akhshi, mit denen Rasoulof bereits für seinen Spielfilm „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ (2024) zusammengearbeitet hat, stehen nun in „Destination: Origin“ auf der Bühne. Genau wie Mohammad Rasoulof selbst waren sie gezwungen, den Iran zu verlassen.
In Berlin am (vermeintlichen) Ziel, durchlaufen die Schauspielerinnen in der Inszenierung die Stationen ihrer Flucht. Woran orientiert man sich, wenn man die Schranken der ständigen politischen Kontrolle verlässt? Worauf besinnt man sich zurück, um anzukommen in der eigenen Freiheit? Rasoulof entwirft Bilder einer Reise, in der Ziel und Ausgangspunkt verschwimmen.
Was muss geschehen, damit der endgültige Abschied stattfinden kann? Wie kann das Leben weitergehen? Was bedeutet (der) Tod?
In „Goodbye, Lindita“ (2023), dem zweiten Teil seiner Trilogie, wendet sich Mario Banushi der Trauer und der Bewältigung von Verlust zu. Das Publikum erlebt den poetischen Abschied einer Familie, die um die verstorbene Lindita trauert. Ohne jeglichen Dialog begleitet uns die Performance auf einer Reise, die die Frage beleuchtet, wie wir uns mit dem Tod versöhnen können. In dieser bildstarken Meditation verarbeitet Banushi Beerdigungs- und Bestattungsrituale, die auf Traditionen aus dem Balkan zurückgehen und zeigt, wie jedes Ende zu einem Anfang wird.
Goodbye, Lindita
© Theofilos Tsimas
100° Diaspora will die große Bandbreite der künstlerisch arbeitenden diasporischen Szene Berlins zeigen und zum Programm machen. Der Bühnen-Marathon findet im Rahmen von Performing Exiles vom 26. bis 28. Juni 2025 auf 5 Bühnen im Haus der Berliner Festspiele statt. Eingeladen werden 45 Künstler*innen und Gruppen der darstellenden Künste, die ihren Lebensmittelpunkt in Berlin haben und die sich als diasporisch begreifen. Das Besondere: 100° Diaspora ist inhaltlich nicht kuratiert, sondern präsentiert – nach Möglichkeit der Umsetzung und dem Prinzip first come first served folgend – die ersten 45 Bewerbungen auf den open call.
Im Rahmen von Performing Exiles findet vom 16. bis 28. Juni 2025 die „Summer School“ mit Workshops, Seminaren und Mentoring statt. Die Teilnehmenden besuchen die Vorstellungen und Gastspiele des Festivals und machen Ausflüge zu künstlerischen Initiativen und Kulturinstitutionen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen und Kontexten in Berlin. Unter der Leitung von Christoph Gurk befasst sich die „Summer School“ während der zwei Wochen mit dem Begriff der „Freiheit“. Er ist einerseits eine Grundvoraussetzung für das Bestehen jeder Form von Demokratie. Gleichzeitig wurde er, vor allem in den vergangen zehn Jahren, durch populistische und neofaschistische Kräfte für dezidiert antidemokratische Bestrebungen instrumentalisiert. Eine öffentliche Präsentation der laufenden Arbeiten und Recherchen der Teilnehmer*innen im Haus der Berliner Festspiele bildet den Abschluss des Programms.