Vortrag

Claude Lanzmann

Berlin 1948 bis 2008. Von der Blockade bis zur Wiedervereinigung

Geologie und Genealogie der Hauptstadt
Vortrag des Regisseurs
Einführung: Manfred Lahnstein

Claude Lanzmann

Claude Lanzmann © David Ausserhofer

Als in Deutschland das Wort von der »Gnade der späten Geburt« umlief, kam in Frankreich und Polen 1985 ein Projekt zu seinem Abschluss, das die Art und Weise des Gedenkens an den Holocaust entscheidend verändern sollte. Claude Lanzmann, Kind jüdischer Immigranten aus Osteuropa, hatte 11 Jahre lang in Polen Interviews geführt, mit Opfern, die zum Teil zum ersten Mal über ihre Erlebnisse sprachen, aber auch mit Tätern und Mitläufern. Mit Shoah entstand eine 9-stündige umfassende Dokumentation, die festhält, was Opfer und Täter mehr als 40 Jahre danach zu sagen hatten, um es zu bewahren. Shoah bewahrt auch das, was nicht festzuhalten ist, weil die Erinnerung versagt, das Sprechen abbricht. Die Kamera-Blicke bleiben: ein Ausdruck unabweisbarer, durch nichts zu beschwichtigender Trauer – in Worten Lanzmanns, ein »Film über den Tod, nicht über das Überleben. Es gibt darin keinen einzigen Überlebenden, es gibt allenfalls Widergänger, die fast schon im Jenseits über dem Boden des Krematoriums schwebten und zurückgekommen sind. Diese Menschen sagen niemals ›ich‹, sie erzählen nicht ihre eigene Geschichte. Sie sagen ›wir‹, weil sie für die Toten mit sprechen.«

Die andere Seite von Lanzmanns Schaffen jedoch war immer der politische Kampf in der Gegenwart, für die Lebenden. Und so engagierte sich der 1925 in Paris geborene Dokumentarfilmer in der Antikolonialisierungsbewegung, drehte mehrere Filme über das heutige Israel. Zudem ist er, der in Tübingen Philosophie studierte und den eine langjährige Freundschaft mit Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre verband, Herausgeber der politisch-literarisch-philosophischen Zeitschrift Les Temps Modernes.