Ausstellung

Down to Earth

„Down to Earth“ ist eine Ausstellung und zugleich ein Unplugged-Programm mit täglich wechselnden Live-Angeboten, das der Frage nachgeht, auf welche Art und Weise die Agenda einer klimapolitischen Wende unser eigenes „Betriebssystem“ tangiert. Wie können wir den Modus, in dem wir arbeiten, uns ernähren, reisen oder Ausstellungen machen, nachhaltig verändern?
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Checkpoint: „Down to Earth“ ist Freizeit. Zur Ruhe kommen, zuhören, zusehen, reden und weitergehen, analoge Zeit, Verschwendung, Schwieriges in wertvolle Erfahrungen wandeln.

Das größte System, dem wir nicht gegenüberstehen, sondern in dem wir mitten drin sind, ist das Klima – wir machen, gemeinsam mit vielen anderen Akteur*innen, was wir erleiden. Covid-19 erzwang die große Pause, bewirkte eine große Zeremonie der Verlangsamung. Der Himmel über Norditalien und Peking wurde wieder blau, die Flüsse sauber, die soziale Frage deutlich. Oder doch nicht? Die Zustände in den Schlachthöfen, auf den Spargelfeldern, was wir Menschen, Tieren und Landschaften antun, kam in der Krise zur Sichtbarkeit. Auch die Solidarität und die Stimmen der Wissenschaftler*innen und Expert*innen. Millionen Menschen auf allen Kontinenten wurden eingeschlossen und arbeiten seither an der Lösung des gleichen Problems. Kein Kunstwerk könnte das schaffen.

Nur der 11. September und die osteuropäische Revolution 1989 haben in annähernder Weise alle erfasst, jeden mobilisiert wie DAS VIRUS. Und jetzt? Kaum jemand will, dass es weitergeht wie vorher. Aber wo können wir landen? Wir haben, wie viele in diesen Tagen, Bruno Latours Klimatexte gelesen. Was ist der „dritte Attraktor“? Hilft er, herauszukommen aus dem alten Kampf von rechts gegen links, links gegen gestern, rechts gegen queer?

Wir wollen ein anderes Spiel spielen. Immersion ist neues Territorium – ein Merkmal von Ungewissheit. Nicht gesichertes Terrain. Unsicher. Ohne Kategorie. Wir sind noch keine Kategorie. Was gut ist. Kein Theater, keine Ausstellung, keine Ausstellung mit Performance, es ist anders. Das Ganze ist eine Situation. Wir öffnen am Morgen und schließen spät. Es ist Sommer. Es wird Dinge geben, die man jeden Tag sehen kann, Objekte, Bilder, Rauminstallationen – und vier Wochen lang täglich wechselnde Gespräche, Vorträge, Tanz und Musik. Stellen Sie sich vor, Sie gehen in eine Ausstellung, und es ist immer jemand für Sie da.

Wenn Sie durch die Räume gehen, sehen Sie Bilder unseres Ozeanplaneten von Kader Attia, Andreas Gursky und Jean Painlevé. Davor eine Neuköllner Pfütze von Kirsten Pieroth, die nie austrocknet. In zwei Räumen hat Stefanie Hessler eine Ausstellung in der Ausstellung mit Fotografien, Installationen und Forschungsprojekten zum Thema Ozean kuratiert, gefolgt von Bruno Latours und Frédérique Aït-Touatis Working Space. Der Übergang von natürlicher und technologischer Transformation prägt die Arbeit von Alicja Kwade und zugleich zeigen wir Agnes Denes’ Tree-Mountain-Projekt und ihr Weizenfeld, mitten in New York. Joulia Strauss lädt uns ein, indigene Kulturen zu ehren und marginalisierte Formen des Wissens anderer Gesellschaften und Zeiten zu entdecken. Zusammen mit den „Kultivator*innen“ seiner Installation vermischt Asad Raza Abfallmaterialien aus dem Museum und der Stadt und schafft auf diese Weise einen Raum, der aus 20 Tonnen wieder fruchtbar gewordener Erde besteht, die Sie für ihre eigenen Projekte mit nach Hause nehmen können. Nebenan warten der zersägte Porsche von Yngve Holen und Vibha Galhotras lautlose Installation, die dem weltweiten Sterben der Bienen gewidmet ist. Tomás Saraceno verdanken wir das Kunstwerk einer Spinne, mit der wir im Gropius Bau seit einem halben Jahr zusammenleben und für Tino Sehgals Arbeit „This Situation“ brauchten wir keinen Leihantrag und keine Versicherung, denn sie ist immateriell und lebt, unter anderem mit Ihnen.

Das alles ist die eine Hälfte. Hinzu kommt ein Live-Programm. Jede Ausstellung erzeugt eine Öffentlichkeit und wir möchten „Down to Earth“ nutzen, um Öffentlichkeiten zu verbinden, die sich selten begegnen – zum Beispiel eine aktivistische Akademie aus Athen und das Kolleg der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen von Bruno Latour und Frédérique Aït-Touati, oder die diversen Communities unserer Expert*innen des Wandels, die Pionier*innen der solidarischen Landwirtschaft sind, der Salzwassergärten auf Hochhausdächern, der Repair-Cafés oder der Tiny-House-Bewegung. Deshalb werden wir auf dem Südplatz ein solches Haus mit den Besucher*innen aufbauen, oder für sie ohne Strom kochen und mit ihnen gemeinsam essen. Musik, Expert*innen, Exponate, Live Art, Diskurs – das sind die Komponenten von „Down to Earth“: analoge Musik des Ensemble Extrakte, musikalischer Journalismus von Andrea Voets und Konzerte des Berliner Stegreif Orchesters; unser Expert*innenprogramm mit über 30 Pionier*innen der Transformation und Nachhaltigkeit; Aufführungen und Live Art von und mit Claire Vivianne Sobottke, François Chaignaud und Marie-Pierre Brébant, Jared Gradinger und Angela Schubot, Meg Stuart sowie Mansour Ciss Kanakassy.

„Down to Earth“ betrachtet die Grenze zwischen Natur und Kultur und macht sie porös. Ein wichtiges Element dabei ist der Check unseres eigenen „Betriebssystems“: 20 Grad Celsius, 50 % Luftfeuchtigkeit im Ausstellungshaus – wie ist das entstanden? Wie sind unsere Vorgänger*innen zu diesen Standards der Moderne im Museum gekommen? Wie haben sie in diesem Haus gearbeitet, als es noch keine Klimaanlagen gab? Wie funktioniert unsere Klimaanlage und wo ist sie überhaupt? Welche Hotels sind ökologisch vertretbar, welche Energiekonzerne, wie verändert sich das Programm, wenn unsere Mitwirkenden mit dem Zug anreisen?

Macht doch mal die Klimaanlage und das Licht aus – öffnet die Fenster! Aber dann ist die Versicherung der Leihgaben in Gefahr und die Corona-Auflagen sind ein Problem, und die großen Sammlungen werden uns nie mehr etwas leihen. Und wenn wir die Fenster aufmachen, dann sowieso nur mit Fliegengittern, sonst kommen Tiere rein und Insekten. Und so hängt alles zusammen: Fenster zu, Klimaanlage an, Fenster auf, Gitter davor, dann Klimaanlage aus, aber keine Werke mehr, weshalb die Anlage einfach immer läuft, das ganze Jahr, Tag und Nacht. Das Leben bleibt draußen und nur tote Erde darf rein. Das sind die konkreten Probleme, die wir bei uns selbst entdecken und sie sind Teil des größeren Problems. Und darüber machen wir ein Projekt. Unplugged. Viele Künstler*innen denken ihre Aufführungen für uns komplett neu, ohne Strom, ohne Musik vom Band, alles ist live, entsteht in der physischen Welt und im Hier und Jetzt. Und von dieser Ausstellungspraxis schauen wir auf die Welt, denn, wie Bruno Latour es formuliert: „Beschreiben heißt niemals nur informieren, es heißt alarmieren, emotional berühren, mobilisieren, zum Handeln aufrufen, vielleicht auch Sturm läuten. Das war im Grunde bekannt; allerdings mußte es auch ans Licht gebracht werden.“

Mit Anatole Abitbol, Frédérique Aït-Touati, Marion Albert, Diana Alzate, Kay Andrees, Raphaëlle Atlan, Kader Attia, Antoine Barjon, Ikram Benchrif, Peter Berz, Luca Di Blasi, Norbert Boenigk, Joachim Borner, Kerstin Burghaus, Grit Bürgow, Filipa César / Louis Henderson, François Chaignaud & Marie-Pierre Brébant, Malik Chaoui, Marco Clausen, Johannes Comeau Milke, Steven Corcoran, Grischa Dallmer, Arthur De Buren, Agnes Denes, Immanuel Dorn, Tiffany Düvier, Jan Edler & Tim Edler, Shelley Etkin, Duncan Evennou, Ensemble Extrakte, Maja Chiara Faber, Henry Farkas, Andreas Frädrich, Franziska Freitag, Vibha Galhotra, Christopher Garthe, Simryn Gill, Paul Girard, Jared Gradinger & Angela Schubot, Albrecht Grüß, Andreas Gursky, Benedikt Haerlin, Klaus-Peter Handke, Joschka Härdtner, Helen Mayer Harrison & Newton Harrison, Cornelis F. Hemmer, Femke Herregraven, Christian Heymann, Louise Höjer, Yngve Holen , Koo Jeong A, Anne Duk Hee Jordan, Selina Kahle, Mansour Ciss Kanakassy, Jürgen Krauss, Rüdiger Kruse, Lukasz Kuni, Alicja Kwade, Brandon LaBelle, Patrick Laffont de Lojo, Bruno Latour, Michelle-Marie Letelier, Armin Linke, Robert Lippok, Diego Maronese, Tomas Matauko, Konstanze Meyer, Marion Müller, Marina Naprushkina, Hermann E. Ott, Jean Painlevé, Florent Penide, Khien Phuc, Kirsten Pieroth, Benoit Pinero, Asad Raza, Jean-Jacques Rémond, Michela Rota, Tomás Saraceno, Birgit Schattling, Karin Schönberger, Isabell Schrickel, Carla Schulte-Fischedick, Dorothea Schwierskott, Tino Sehgal, Miriam Simun, Claire Vivianne Sobottke, Himali Singh Soin mit David Soin Tappeser, Kerstin Stark, Anja Steglich, Stegreif Orchester, Joulia Strauss, Meg Stuart / Damaged Goods, Mathilde ter Hejne, Sissel Tolaas, Tim Jonas Urbanek, Marcus Vietzke, Andrea Voets, Corinna Vosse, Andreas Weber, Peter Weibel, Ralf Weiß, Peter Wilhelm, Susanne Winter, Bartosz Żurowski u.v.a.

Initiiert von Thomas Oberender
Kuratorisches Team Julia Badaljan, Thomas Oberender, Anja Predeick, Tino Sehgal, Jeroen Versteele
Kuratorische Mitarbeit Descha Daemgen, Stefanie Hessler, Marc Pohl, Joulia Strauss, Frédérique Aït-Touati

Eine Ausstellung der Berliner Festspiele im Rahmen der Programmreihe Immersion.

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