Theater

Antigone – eine Recherche

Lambe-Lambe Theater und Audiowalk
stellwerk junges theater Weimar (Thüringen)

[Videotrailer] © stellwerk junges theater

„Du wirst jetzt zu Antigone. Du wirst das Richtige tun und du wirst das Gesetz brechen. Du wirst verurteilt werden. Du wirst dir die Hände schmutzig machen. Du wirst Verbündete*r, Kompliz*in. Wir holen dich ab und nehmen dich mit. Gehst du mit uns weiter?“

Die Geschichten zweier Heldinnen – die der antiken Figur Antigone und die der Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete – werden verwoben, verglichen und verrissen. Beide werden als Heldinnen bezeichnet. Warum? Was unterscheidet sie von dir? Wie fühlt es sich an, für einen Moment Heldin zu sein? In der Miniaturwelt des Lambe Lambe Theaters werden die Biografien beider Frauen beleuchtet und erstaunliche Parallelen zwischen 1276 v. Chr. und dem Jahr 2019 gefunden. Der anschließende Audiowalk knüpft daran an und fordert zum Wechsel der Perspektive auf. „Antigone – eine Recherche“ ist Theater für „Einzelgänger*innen“. Für jene, die ein individuelles Theatererlebnis schätzen.

Eine Inszenierung – die von Anfang an durch das vielseitige
Ensemble geprägt wird.
Ein Probenprozess – mit vielen Ups und Downs, mehreren
Verabschiedungen, Geburtstagen, Probenwochenenden, Zoom-
Meetings und Aufnahme-Sessions im Tonstudio.
Ein wirklich langer Weg!

Begonnen in Prä-Corona-Zeiten als ganz „normales“ performatives Stück mit neun Spieler*innen, das sich mit Held*innen auseinandersetzt.
Premierentermin März 2020! … „Es wird knapp, aber das
schaffen wir schon.“… Dann plötzlich Lockdown! … Pause! …
Ratlosigkeit!
Trotzdem bleibt der Wille, das Projekt zu realisieren. … Das Konzept verändert sich! Das Thema bleibt bestehen …
Neuanfang im Sommer 2020!

Fünf Spielerinnen im Alter von 18 bis 25 sind geblieben, haben weitergemacht und sind zusammengewachsen. Als Frauen, als Menschen, als Theatermacherinnen. Sie werden plötzlich von Spielerinnen zu Autorinnen, Sprecherinnen, Erfinderinnen. Es wird viel gelesen, geschrieben, diskutiert. Über Antigone, über Carola Rackete, über Aktivismus und wie ganz normale Menschen Held*innen werden und zu ihnen gemacht werden. Alte Rollenbilder werden hinterfragt und Inhalte aus der Ursprungs-Inszenierung wieder aufgegriffen. Es wird vieles probiert und vieles verändert. Alles mit Abstand, mit Masken und viel Desinfektionsmittel.

Es war definitiv ein sehr ungewöhnlicher Probenprozess, der
viele Hindernisse und Herausforderungen bereithielt.

Zwei Monate später steht die neue Inszenierung. Eine verspiegelte Lambe-Lambe-Box. Zwei LED-Scheinwerfer. Ein iPad und ein iPhone. Eine Glasschüssel mit Schrauben, Muttern und Wasser. Eine Spielerin und eine zuschauende Person. Es beginnt das ungewohnte Erlebnis, allein zu spielen, für nur eine Person und ohne direktes Feedback. Kein Verbeugen! Kein Applaus! Kein Foyer-Gespräch! Nur kleine beschriebene Notizzettel, die zum Weitermachen und Nachdenken ermutigen.

Die Spielerin wird zur Licht- und Tontechnikerin. Die Box wird
bespielt und im Anschluss wieder aufgeräumt. Zwei Geschichten
von zwei Frauen werden erzählt. Zwei Heldinnen? Parallelen
werden aufgezeigt. Was ist mit Carola Rackete passiert und was hat das mit Antigone zu tun?
Viele Informationen und Eindrücke
gebündelt in einer Box.
Dann: ein Audiowalk. Die Figuren und ihre Geschichten bleiben
bestehen. Doch die Sicherheit (oder die Beklemmung) der Box
wird zurückgelassen. Das ist jetzt die echte Welt. Die zuhörende
Person folgt Antigone und fühlt mit ihr mit. Die bekannte Geschichte wird jetzt hautnah miterlebt. Wie wirst du handeln?

Theater zwischen Lockerungen und Lockdown schweißt zusammen, verbindet, macht stark und kreativ. Diese Stärke möchten wir als Ensemble mit „Antigone – eine Recherche“ weitergeben. Finde die Antigone oder Carola in dir und stehe für das, was dir wichtig ist, ein. Bist du ein*e Held*in?

Von und mit Leah Faßbender, Victoria Kerl, Selina Müller, Yara Planer, Friederike Schmid

Sophie WeigeltKünstlerische Leitung
Andreas BöhmMusikalische Leitung
Agnes WeidenbachProduktionsassistenz
Philipp MünnichBühne, Sound
Geheime Dramaturgische GesellschaftNachbereitung

Sophie Weigelt stand schon in sehr jungen Jahren auf der Bühne des Theaterjugendclubs Magdeburg, wo sie in der Spielzeit 2010/2011 auch erstmalig selbst inszenierte. Neben dem darauf folgenden Bachelorstudium der Theaterwissenschaft an der Universität Leipzig lernte sie dort die freie Theaterszene kennen. Darauf folgte das Masterstudium Theaterpädagogik an der Hochschule für Musik und Theater Rostock. Schwerpunkt ihrer wissenschaftlichen und künstlerischen Arbeit war oft „Beobachtung“ – sowohl in der pädagogischen Arbeit als auch im Verhältnis von Zuschauer*in und Spieler*in auf der Bühne. Seit der Spielzeit 2018/2019 ist sie am stellwerk junges theater engagiert.

Andreas Böhm arbeitet deutschlandweit als freiberuflicher Musiker und Musiklehrer. Er studierte zwischen 2014 und 2018 Popular-, Welt- und klassische Musik und arbeitet zeitgleich als technischer Betreuer für unterschiedlichste Konzert- und Theaterproduktionen im Tonstudio der Hochschule für Musik und Theater in Rostock. In den letzten Jahren war Böhm als Bassist bei Musical Produktionen wie „Hair“ oder „Blues Brothers“ am Volkstheater Rostock tätig und spielte bei den Filmmusiktagen in Sachsen-Anhalt mit der Staatskapelle Halle. Hinzu kommen verschiedene Fernsehproduktionen des ZDF, NDR, MDR, Sat. 1 und RTL 2 u. a. für Howard Carpendale, Eagle-Eye-Cherry, Bernhard Brink und Peter Kraus. Neben seiner Tätigkeit als Gitarren- und Basslehrer ist der Musiker regelmäßig als Dozent verschiedener Workshops beschäftigt, wie z. B. beim Kinder- und Jugendprojekt „TonLaage“.

Zur Auswahl für die Jury Rieke Oberländer

„Antigone – Eine Recherche“ lädt mich, sensibel moderiert, zu einer eigenen Recherche ein. Ich bin keine Zuschauerin, ich bin Beteiligte, Komplizin, Akteurin. Ich mache mich wie Antigone und Carola Rackete draußen auf den Weg und freue mich daran, wie die kluge Parallelführung der antiken Figur und der heutigen Frau die kritische Befragung des Held*innen-Narrativs bereichert. Ich setze mich mit meinem Tun der Öffentlichkeit aus – und spüre so ganz physisch den Figuren nach.

Mir gefällt außerdem die Intimität der Inszenierung. Die Eins-zu-eins-Begegnung mit einer Spielerin und ihrer individuellen Perspektive im Lambe-Lambe Theater. Das Eintauchen in den philosophischen und emotionalen Kosmos zwischen Recht und Gerechtigkeit. Das Formulieren meiner eigenen Position am Schluss. Was vielleicht als Reaktion auf die Beschränkungen der Pandemie erdacht wurde, ermöglicht mir eine besonders intensive Theatererfahrung.
Für mich bereichert „Antigone – Eine Recherche“ das Festival, weil dem Ensemble ein kontaktarmes, aber trotzdem sinnliches und vielfältiges Format gelungen ist, das mir die Fragestellungen des Ensembles an den Stoff vielleicht persönlicher näherbringt als es ein kollektiver Theaterabend in der Black Box gekonnt hätte.