Inszenierung

Sekundenglück. Eine Kampfsportperformance

Bürgerbühne im Kleist Forum, Frankfurt (Oder)

Fünf Personen trainieren auf einer Ringermatte. Sie gehen gerade in den Kopfstand und ein Trainer sieht ihnen dabei zu und hat die Hände auf dem Rücken verschränkt. Im Hintergrund ist die Videoprojektion eines Weckers zu sehen.

Sekundenglück. Eine Kampfsportperformance © Bürgerbühne im Kleist Forum, Foto: Anastasia Kalko

In der Stückentwicklung setzen sich fünf Hochleistungsringer mit ihrer eigenen Extremsportbiografie auseinander. „Sekundenglück. Eine Kampfsportperformance“ ist ein Abend der über Willensstärke, Verletzlichkeit und Glück von fünf jungen Menschen im Hochleistungssport erzählt. Ein echtes Training, ein richtiger Kampf, ein Spiel mit der Grenze – das Leben der Ringer Natan, Henning, Fabrice, Matti und Karl.

Verfügbar bis 28.5.2025 als Videoon Demand in der Mediathek.

Wettkampftag – wochenlange Vorbereitung, jetzt Vollpower, die Ringermatte betreten, Adrenalinkicks, Endorphine, grölende Fans und die eine Sekunde, in der sich alles entscheidet. Gewonnen! Verloren! Ist es ein Erfolg, dann geht es weiter. Ist es eine Niederlage, dann geht es trotzdem weiter. Blaue Flecken, verletzte Knochen und brennende Wunden gehören zum Tagesgeschäft von Natan, Henning, Fabrice, Matti und Karl. Die Matte ist ihre Bühne, ihre Droge, ihr sportiver Rausch. Die fünf Kampfsportler riskieren alles – wenn es sein muss, sogar die eigene Gesundheit, die Unversehrtheit und Vollkommenheit ihrer Körper. Sie sind moderne Gladiatoren. Bereit sein. Kämpfen. Auf den Punkt da sein. Jetzt. Wenn’s dann doch mal wehtut, ist Mutti da – baut auf, trocknet Tränen und lindert den Schmerz. Und dann geht es weiter. Immer weiter. Das alles nur für den nächsten Moment, in dem sich alles entscheidet. In der einen Sekunde. In dem Sekundenglücksmoment.

In der Stückentwicklung „Sekundenglück. Eine Kampfsportperformance“ setzen sich fünf Hochleistungsringer mit ihrer eigenen Extremsportbiografie auseinander. Bei jeder Vorstellung betreten sie die Matte und erzählen während eines echten Trainings, mit einem echten Trainer und echtem Schweiß, darüber, wie sich ihr Leben im Leistungssport anfühlt, der in der Gesellschaft solch eine große Bedeutung hat. Sie berichten von Erfolgsmomenten, Niederlagen, der stupiden Eintönigkeit des Trainingsalltags, der Angst nicht genug zu sein und dem Druck, die Willensstärke trotz allem nicht zu verlieren. Dabei eröffnen sie einen ganz persönlichen Blick in eine verletzliche Seele, die jedem noch so perfekt trainierten Körper innewohnt. In jedem Moment dreht sich alles um sie – im Training wie im Wettkampf. Eine Performance zwischen Wettkampf, Lecture und Videoinstallation.

Jurykommentar von Rieke Oberländer

Die Bühne ist eine Sporthalle. Oder die Sporthalle eine Bühne? Zwischen Glitzervorhang und Sprossenwand liegt der Schauplatz größter Triumphe und schmerzhaftester Niederlagen – die Ringermatte. „Sekundenglück. Eine Kampfsportperformance“ lädt mich zu einer intensiven und sehr persönlichen Begegnung mit jungen Leistungssportlern ein.

Die Performance folgt der Dramaturgie des Ringens: erst Aufwärmen und Training, Wettkampfvorbereitung, dann Standkampf, Bodenkampf, Siegerehrung, Zirkeltraining, Regeneration. Ich erlebe die routinierte Professionalität der Sportler. Die performative Kraft, die körperliche Energie, die theatrale Qualität des Ringens wird verschränkt mit persönlichen Erinnerungen und präzisen Chören, reflektierenden Texte inspiriert von Elfriede Jelineks „Sportstück“ und Interviews mit den Müttern der Sportschüler. Ich denke über Männlichkeiten nach. Wie viel Gesellschaft wird im Leistungssport sichtbar? Auf der Bühne sehe ich durchtrainierte Körper und verletzliche Seelen.

Eine Figur befragt die jungen Sportler, durch die intimen Gespräche darf ich dem Ensemble nahe kommen. „Wann hast du mit dem Ringen begonnen? Wie fühlst du dich, wenn du im Wettkampf nur Zweiter wirst?“ Als Performer erzählen sie vom Rausch, vom Glück eines gewonnenen Wettkampfs. Aber auch von Disziplin und absoluter Hingabe an ihren Sport. Sie sprechen über ihren wiederkehrenden Trainingsalltag, die kleinen, notwendigen Ausbrüche aus der Routine. Sie beschreiben Leistungsdruck und Entbehrungen, flüchtige Höhenflüge und tiefe Selbstzweifel. „Der Junge in dem Trikot, da sieht er glücklich aus. Da hat er noch Spaß gehabt.“, sagt einer, als er sich auf einem Kindheitsfoto betrachtet. Ich bin berührt von der Ehrlichkeit, mit der die Performer über die Ambivalenz ihres Ehrgeizes sprechen.

Das Leben im Sportinternat hinterlässt Spuren, auch in den Familien. Immer wieder kommen die Mütter der Sportler per Videointerview zu Wort. Da ist viel Anerkennung und Unterstützung, aber auch Schmerz. Die Ringer beschreiben die Familie als Sehnsuchtsort, als Oase der Heilung, auch der Sinngebung: „Ich möchte dich stolz machen.“

„Sekundenglück. Eine Kampfsportperformance“ ist eine Kampfsport-Performance, die Ambivalenzen körperlich erfahrbar macht und mich unmittelbar packt. Ich erlebe eine laut befeuernde Geräuschkulisse, das Aufschlagen der Körper auf der Matte, das Klatschen der Haut beim Umgreifen, die Rufe des Trainers, das Atmen der Kämpfer, die Wucht der Würfe. Gleichzeitig hat der Ringkampf Ähnlichkeit mit einem Tanz. Ich sehe eine partnerschaftliche, regulierte Nähe im Kampf, auch eine Intimität in den Berührungen, den gegenseitigen Massagen im Training, dem Trostspenden nach einer Niederlage. Ich mag sehr, wie pur die Inszenierung ist und welche Schönheit in diesen Momenten der Widersprüchlichkeit entsteht.

Die Performance öffnet ein faszinierendes Schaufenster in die Welt des Leistungssports und begeistert mich als Theatererlebnis viel länger als eine Sekunde.

Von und mit

David Borsos, Sidney Fahlisch, Dennis Kramp, Fabrice-Elias Mirel Krüger, Henning Löbl, Ingolf Schöllner, Matti Stolt, Karl-Friedrich Thoms, Nataniel Troczyński
Im Video: Jacqueline Krüger, Annett Stolt, Julika Thoms, Justyna Troczyńska

Hannes LangerKonzept, Regie und Bühne
Katja MünsterDramaturgie und Videomontage
Richard WolfSound
David BorsosTraining
Andrea Bandiko, Kerstin BüttnerBeratung der Recherche 
Sophia Dörner, Naomi HutomoRegieassistenz

Die Inszenierung „Sekundenglück. Eine Kampfsportperformance“ entstand in Kooperation zwischen der Bürgerbühne im Kleist Forum, dem RSV-Hansa 90 e.V. und der Sportschule Frankfurt (Oder) – Eliteschule des Sports. Mit freundlicher Unterstützung der Stadt Frankfurt (Oder) sowie der Kulturbetriebe Frankfurt (Oder).