Helmut Lachenmann © Emilio Pomàrico
Mit einer sich über mehr als 50 Jahre erstreckenden Schaffensgeschichte ist Helmut Lachenmann inzwischen ein Nestor der neuen Musik. Lachenmann wurde 1935 in Stuttgart geboren, wo er von 1955 bis 1958 auch Musik studierte. Entscheidend für seine kompositorische Entwicklung war die Begegnung mit Luigi Nono bei den Darmstädter Ferienkursen 1957, die damals das Zentrum der Avantgardemusik bildeten. Lachenmann folgte Nono von 1958 bis 1960 als Privatschüler nach Venedig. Im Kompositionsunterricht drang Nono darauf, die Grundlagen der Musik radikal in Frage zu stellen. Nach dieser Studienzeit lebte Lachenmann bis 1973 als freischaffender Pianist und Komponist in München und übernahm später Professuren in Hannover und von 1981 bis 1999 in Stuttgart. Als ungemein reflektierter Künstler hat Lachenmann zahlreiche Texte verfasst, die in umfangreichen Bänden mit Schriften und Korrespondenzen zugänglich sind und zu den Schlüsseltexten der Musik unserer Zeit zählen.
Gegen Ende der 1960er Jahre gelangte Lachenmann zu einem unverwechselbaren eigenen Stil. Sein Schaffen gründet auf einem tiefen, von Nono geweckten Misstrauen gegenüber konventionell „schönen“ Klängen. Diese stehen zum einen in Verdacht, zu einem bloß sinnlichen, oberflächlichen Genuss einzuladen und dabei vom wahren Gehalt großer Kunst abzulenken. Zum anderen können sie vom Komponisten keineswegs als neutrales Material genutzt werden, sondern sind geschichtlich vorgeprägt und in gewisser Weise verbraucht. Dieses Misstrauen Lachenmanns erstreckte sich bald gegen jeden konventionell erzeugten Ton überhaupt. An seine Stelle tritt in den Werken der von ihm so genannten Musique concrète instrumentale ein ganzer Kosmos von Geräuschen, der kompositorisch gestaltet und in verblüffendem Reichtum differenziert wird.
Es macht Lachenmanns Größe als Komponist aus, dass er bei diesem Ansatz nicht stehen geblieben ist. Von den späten 1970er Jahren an finden sich in seinen Werken zunehmend wieder unverfremdete Klänge, die mit höchster Bedachtsamkeit eingesetzt werden. Gleichzeitig erreichte er in seiner Auseinandersetzung mit der musikalischen Tradition eine neue Stufe und bezog in neuer, direkterer Weise historisch geprägte Charaktere und Zitate in seine Klanglandschaften mit ein. Als ein Höhepunkt auf diesem Weg gilt die zwischen 1990 und 1996 entstandene Oper „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“. Mit dem im letzten Jahr uraufgeführten großen Orchesterwerk „My Melodies“ hat sich Lachenmann auf seine Weise auch den Klang des romantischen Orchesters erobert.
Stand: Juni 2019