Tania Justina León

Tania Justina León © Gail Hadani

Tania Justina León

Tania Justina León wurde 1943 in Havanna (Kuba) geboren. In ihrer Musik mischen sich französische, spanische, chinesische, afrikanischen und kubanische Traditionen. „Cultural clash is at the core of music by the composer Tania León … Naturally, these distinctive styles clash in her music, though in a dynamic sense, as in a good fight, a feisty confrontation”, schrieb dazu Anthony Tommasini in der New York Times
Bereits mit vier Jahren begann sie Klavier zu spielen und erhielt ihre erste musikalische Ausbildung am Carlos Alfredo Peyrellade Konservatorium. 1963 schloss sie dort ihr Studium mit einem Bachelor ab und wechselte an das Konservatorium Alejandro García Caturla, wo sie bei Zenaida Manfugás Klavier studierte.
Tania Leóns Kreativität und Schaffenskraft spiegelt sich nicht nur in ihrem kompositorischen Schaffen wieder. Ihre künstlerische Laufbahn zeichnet sich von Anfang an durch ein großes Engagement in und für künstlerische Projekten und Organisationen aus, die sich der zeitgenössischen Musik, dem Jazz, sich aber auch für Diversität afroamerikanischer und lateinamerikanische Künstler*innen einsetzen. So erscheint es nur folgerichtig, dass sie ihr Tätigkeitsfeld auch in die Vermittlung und Pädagogik hinein erweitert.

1967 verließ sie als Flüchtling Kuba und kam mit einem der sogenannten Freedom Flights, über die zwischen 1965 und 1973 die Massenemigration aus Kuba organisiert wurde, zunächst nach Miami. Sie ließ sich in dann in New York nieder, wo sie bei der Komponistin Ursula Mamlok studierte und ihre Studien an der New York University, an der Juilliard School und am Berkshire Music Center in Tanglewood fortsetzte.
Ihr umfangreicher Werkkatalog umfasst Kompositionen für Orchester und Instrumental- und Vokalensembles unterschiedlichster Besetzung, ein ebenso umfangreiches Konvolut an Solowerken - instrumental und vokal - , Ballett- und Theatermusiken und Opern. Viele davon sind Auftragswerke, darunter „Stride“ von 2019 für die New Yorker Philharmoniker anlässlich der Hundertjahrfeier des 19. Zusatzartikels zur Verfassung der Vereinigten Staaten, der nach jahrzehntelangem Kampf das Wahlrecht für Frauen verbriefte; oder „Anima“ für das Projekt „Alone Together“, das die Geigerin Jennifer Koh als eine Antwort auf die schwierige Situation von Künstler*innen angesichts der Covid-19-Pandemie ins Leben gerufen hat; „Ritmicas“, ein Werk für Kammerorchester, ist ein Auftrag des Chicago Center for Contemporary Composition, geschrieben für das Grossmann Ensemble; „Ser“ für die Los Angeles Philharmonic und „Ethos“ für die Pianistin Ursula Oppens und das Cassatt Sting Quartet - um nur einige zu nennen.
Ihre Oper „Scourge of Hyacinths“, die auf einem Text des nigerianischen Schriftstellers und Nobelpreisträgers Wole Soyinka basiert, wurde 1994 bei der Münchner Biennale unter ihrer Leitung und in der Inszenierung von Robert Wilson uraufgeführt und mit dem BMW-Musiktheaterpreis ausgezeichnet. Seither hat diese Oper viele Aufführungen in der Schweiz, in Österreich, Frankreich und Mexiko erlebt. „Little Rock Nine“, eine weitere Oper, deren Libretto Thulani Davis in Zusammenarbeit mit dem Historiker Henry Louis Gates Jr. verfasst hat, bezieht auf ein für die Integration der afroamerikanischen Bevölkerung Amerikas besonderen Ereignis im Jahr 1957. Im September dieses Jahres gingen die ersten afroamerikanischen Schüler*innen, drei Jahre nach der offiziellen Aufhebung der Rassentrennung in amerikanischen Schulen, auf die Litte Rock Central High School in Little Rock im Bundesstaat Arkansas. Die Oper ist ein Auftragswerk der University of Central Arkansas anlässlich des 60. Jahrestages dieses Ereignisses und wurde 2017 uraufgeführt.
Tania León machte erstmals 1969 als Gründungsmitglied und Musikdirektorin von Arthur Mitchells Dance Theatre of Harlem in der New Yorker Kulturszene auf sich aufmerksam. Fünf Jahre später gründete sie die Brooklyn Philharmonic Community Concert-Reihe. Von 1994 bis 2001 war sie als Beraterin für lateinamerikanische Musik für das American Composers Orchestra tätig. In dieser Zeit entwickelte sie, gemeinsam mit dem Dirigenten und Komponisten Dennis Russell Davies das bahnbrechende Festival Sonidos de las Américas. Mit diesem sollte der zunehmenden Bedeutung Lateinamerikas im kulturellen Leben der USA mehr Geltung verschafft werden. Die Orchester und Ensembles in den USA sollten so ermutigt werden ihr Repertoire zu erweitern, um diese Entwicklung auch widerzuspiegeln. Bei den New Yorker Philharmonikern war sie von 1993 bis 1997 - unter dem Chefdirigent Kurt Masur - New Music Advisor. Darüber hinaus ist sie Gründerin von Composers Now, einer Initiative, die sich der Unterstützung lebender Komponist*innen widmet und sich der Förderung von Diversität im zeitgenössischen Musikschaffens verschrieben hat. Seit 2010 verleiht sie Composers Now als deren künstlerische Leiterin ihre Stimme.
Engagements als Dirigentin führten sie nach Europa unter anderem zum Beethoven Orchester Bonn, zum Gewandhausorchester Leipzig, Orchestre de la Suisse Romande und dem Orchestre de Chambre de Genève, zum Orchestra dell’Accademia Nazionale die Santa Cecilia in Rom, zum Netherlands Wind Ensemble, nach Afrika zur National Symphony Orchestra Johannesburg (heute Johannesburg Philharmonic Orchestra) und nach Lateinamerika zum Guanajuato Symphony Orchestra (Mexico), Orquesta Filarmónica de Bogotá (Colombia), Orquesta Sinfónica de El Salvador (El Salvador), Orquesta Sinfónica de Cuba und zu vielen anderen Orchestern und Ensembles mehr.
Léon war 2011 Gast der Mosse-Lectures an der Humboldt Universität in Berlin und als Gastdozentin und Gastprofessorin unter anderem an der Harvard University, an der Yale University und an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Als Mentorin arbeitete sie am Jazz Composer Orchestra Institut und als Gast-Komponistin an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg und am Zentrale Musikhochschule in Peking. 2000 wurde sie zur Claire and Leonard Tow-Professorin für Musik am Brooklyn College ernannt und seit 2006 ist sie Distinguished Professor an der City University of New York. 2020 erhielt sie die Robert M. Trotter Dozentur der College Music Society.
Zu ihren zahlreichen Auszeichnungen zählen der ASCAP Victor Herbert Award und der Lifetime Achievement Award der New York Governors. 2010 wurde sie in die American Academy of Arts and Letters aufgenommen. 2012 erhielt sie sowohl Grammy- als auch Latin-Grammy-Nominierungen für die beste zeitgenössische klassische Komposition.