Selma Selman im Gespräch mit Zippora Elders
© Gropius Bau, Foto: Ibrahim Wane
Selma Selman im Gespräch mit Zippora Elders
Der folgende Text ist eine bearbeitete Fassung eines Gesprächs zwischen der Künstlerin Selma Selman und der Kuratorin Zippora Elders, das im Rahmen von her0 stattfand. Selmans Präsentation wurde von Elders, der Leiterin der kuratorischen Abteilung am Gropius Bau, kuratiert und war vom 11. November 2023 bis zum 14. Januar 2024 in den Ausstellungsräumen zu sehen.
Zippora Elders: Ich bin dankbar und glücklich, dass ich während der letzten Stunden von her0 hier mit dir sitzen darf. Deine Präsentation am Gropius Bau begann im November 2023 mit der Performance Motherboards und endete heute mit der Performance Letters to Omer. Wie war es für dich, in diesem historischen Gebäude mitten in Berlin aufzutreten, zu diesem Zeitpunkt?
Selma Selman: Ich fühle mich sehr demütig und emotional. Heute ist der letzte Tag dieser Präsentation und für mich war es die bisher größte Herausforderung überhaupt. Es war toll, mit so einer Institution zusammenzuarbeiten, aber auch sehr fordernd. Ich kam am 7. Oktober nach Berlin – an dem Tag, als der Krieg begann – und ich war, um ehrlich zu sein, am Boden zerstört. Trotzdem musste ich mit der Arbeit weitermachen und darüber nachdenken, was als Nächstes kommt. Was ich von mir selbst erwarte und was die Leute von mir erwarten. Ich beschloss, einfach etwas zu machen, von dem ich glaube, dass es gut ist. Dass es etwas über die Menschheit aussagt. Dass es etwas über unsere Gemeinsamkeiten aussagt. Etwas, das viele von uns ansprechen kann. Deshalb war diese Präsentation von mir nicht bloß für die mächtige Klasse der reichen Weißen aus dem Westen gedacht. Sie war für alle gedacht, mit denen man kommunizieren und denen man etwas mitteilen kann. In aller Bescheidenheit: Ich habe eine Menge zu sagen und ich kommuniziere gerne mit verschiedenen Menschen. Deshalb danke ich dir, Zippora, und deinem Projektteam, für alles hier. Es ist mir eine Ehre, mit euch zu arbeiten, und ich danke euch für euer Vertrauen.
Elders: Es ist in der Tat gerade eine sehr emotionale, auch sehr angespannte Zeit in Berlin. Gleichzeitig haben wir über Berlin als Zentrum der globalen Kunstszene gesprochen. Du hast mir erzählt, dass du schon immer hier herkommen oder arbeiten wolltest. Daraus ist die Idee für Satellite Dish entstanden. Magst du etwas über dieses Werk und den darin enthaltenen Satz sagen?
Selman: Der Satz „GOD MAKE ME THE MOST FAMOUS SO I CAN ESCAPE THIS PLACE” (dt.: „GOTT, MACHE MICH ZUR GRÖSSTEN BERÜHMTHEIT, DAMIT ICH DIESEM ORT ENTKOMMEN KANN“) entsprach also tatsächlich der Realität, mit der ich in Berlin konfrontiert war. Ganz im Gegensatz zu meinen früheren Träumen. Plötzlich wollte ich überall sein, nur nicht hier [in Berlin]. Diese Arbeit ist sehr persönlich. Sie ist von meinem Leben in meinem Heimatdorf inspiriert. Wenn du Kind bist und unter bestimmten Umständen aufwächst … Ich glaube, das hat mich sehr stark gemacht. „Du willst etwas haben? Du hast nur dich selbst.“ Was immer du also tust – du tust es für eine bessere Zukunft. Bei der Arbeit Satellite Dish geht es nicht nur um den Satelliten. Es geht darum, etwas zu kommunizieren, das ich mir schon lange gewünscht habe, von dem ich mir aber nicht [mehr] sicher bin, ob ich es jetzt noch will. Es geht um dieses Paradoxon. [Das Werk] macht sich einerseits über mich lustig. Andererseits spricht es eine Realität an, die nicht nur ich, sondern viele von uns erleben, besonders diejenigen, die zu marginalisierten Gemeinschaften gehören.
Selma Selman, Satellite Dish, her0, Installationsansicht, Gropius Bau (2023)
© Gropius Bau, Foto: Eike Walkenhorst
Elders: Wenn du über Themen wie Vertreibung, Zugehörigkeit und Migration sprichst, kommst du oft auf deine Familie zurück. Deine Familienmitglieder tauchen immer wieder in deiner Praxis auf – und in den Gesprächen darüber. Dein Vater, dein Bruder und dein Nachbar sind Teil der Performance Motherboards. Du bist gerade nach Bosnien gereist, um deine Mutter zu besuchen und mit ihr zu arbeiten. Ich erinnere mich an unser erstes Gespräch – wir machten einen virtuellen Rundgang durch dein Atelier, es begann gerade die Covid-Pandemie. Wir sprachen über deine Mutter und darüber, wie du es geschafft hattest, ihr einen rechtlichen Status zu verschaffen, damit sie reisen kann. Dann mussten wir den Rundgang abrupt unterbrechen, weil dein Vater plötzlich krank wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich das Gefühl, ganz nah an deinem Privatleben teilzuhaben. Für die Kuratorin in mir war das sehr aufschlussreich, aber auch ein bisschen verwirrend, auf wundersame Weise sofort so nah dran zu sein. Ich habe mich gefragt: Warum arbeiten wir als Kurator*innen und Künstler*innen überhaupt zusammen, wenn es solche familiären Bindungen gibt? Während deiner Performance hast du ein paar Mal gesagt: „Meine Mutter hat immer gesagt: Du wirst stärker, mächtiger und reicher als jeder Mann sein, den du jemals lieben wirst.“ Du hast deine Mutter sogar als deine Professorin bezeichnet.
Selman: Sie ist aber auch sehr kritisch, sie würde nie hierher kommen, weil das für sie alles Scheiße ist. (lacht) Ich flehe sie an, meine Bilder aufzuhängen. Aber das will sie nicht. Sie kauft Sachen in einem chinesischen Laden und hängt die an die Wand. Aber mein Vater ist ein Genie.
Elders: Er hat auch deine Bilder verkauft.
Selman: Ja, ich habe mit meinem Vater zusammengearbeitet, seit ich 17 war. Er war mein Manager. Ich war als kommerzielle Künstlerin tätig. Ich habe ein gutes Verhältnis zu meiner Familie. Das war aber nicht von Anfang an so. Wir leben in einer patriarchalischen Welt – und als Frau musst du dich durch alle Schichten dieses Patriarchats kämpfen. Ich musste beweisen, dass ich genauso stark sein kann wie ein Mann. Deshalb habe ich sowohl Männlichkeit als auch Weiblichkeit in mir. So bin ich aufgewachsen. Als ich jung war, war mein Vater mein Vorbild. Aber als ich lernte, was es heißt, eine starke Frau zu sein, wurde meine Mutter zu meinem Vorbild. Das hat sich also verändert.
Elders: Ja, ich interessiere mich sehr für diese Kraft der Transformation in deiner Arbeit. Wir sind dabei, wenn du Dinge, die du auf Schrottplätzen findest, in Kunst verwandelst. Wenn du den Schmutz als riesiges, monumentales Werk hier in den Raum des Ausstellungshauses bringst – fast wie ein abstraktes, männliches Gemälde eines amerikanischen Expressionisten. Ich habe oft über diese Kraft der Transformation nachgedacht, während wir diese Präsentation machten – die ja eigentlich nur eine einmalige Performance werden sollte. Doch dann überlegten wir, dass wir alle Elemente deiner Praxis in diesen beeindruckenden Räumen zeigen wollen: alle Disziplinen, alle Ansätze, alle Arbeitsweisen. Skulptur, Malerei, Zeichnung, Video, Dokumentation. Es ist so viel dabei. Und natürlich ist es auch sehr performativ. Die Praktiken deines Vaters und deiner Mutter sind in gewisser Weise auch hier zu sehen; ihre Überlebensstrategien, die hier in diesem exklusiven, elitären Kunstraum weiterleben. Wie denkst du darüber?
Selman: Transformation ist ein ziemlich wichtiger Teil meiner Arbeit – und der dahinter liegenden Prozesse. Deshalb bezeichne ich mich auch nicht als Performerin. Ich bezeichne mich lieber als Transformatorin; ich arbeite mit segmentalen Transformationen. Alles, was du im Ausstellungsraum siehst, beinhaltet auch die verschiedenen Schichten der Arbeitsprozesse. Zuerst recherchiere ich und versuche herauszufinden, was als nächstes kommen könnte. Die Arbeit, die zu der Performance Motherboards führte, bestand zum Beispiel aus einem zweijährigen Forschungsprojekt, für das ich gemeinsam mit meinem Vater recherchiert habe, nachdem wir vereinbart hatten, was ich als Nächstes mache. Danach habe ich angefangen, mit Wissenschaftler*innen und Chemiker*innen zusammenzuarbeiten, um besser experimentieren zu können und herauszufinden, was ich aus den Computern recyceln kann – insbesondere für Motherboards – also vor allem aus den zentralen Recheneinheiten. Dann fand ich heraus, dass wir daraus Gold recyceln können – aber es war mir sehr wichtig, das auf eine nicht-toxische Weise zu tun. Ich habe dafür ein Verfahren gefunden, das momentan noch geheim ist, aber das ich mit den Leuten teilen werde, die es kennen sollten. Das transformative Element in diesem Konzept ist der goldene Nagel, der in die Wand gehämmert wird. Er steht irgendwie einsam da. Ich wollte das so, weil er aus Gold ist. Wenn wir an Gold denken, denken wir an etwas Exotisches und Wichtiges – an ein Objekt der Begierde. Deshalb wollte ich es dort allein platzieren, um einen Kontrast zu schaffen. Ich stelle [die Installation Motherboards] stärker in den Mittelpunkt als das Gold. Auf diese Weise spiele ich gerne mit Objekten. Mit der Transformation von Objekten, aber auch mit der Transformation von Menschen.
Elders: Du hast einmal erwähnt, dass die Rom*nja das Konzept der Nachhaltigkeit schon verstanden hatten, bevor Recycling zum gängigen Prinzip wurde.
Selman: Die Rom*nja haben schon vor Jahrhunderten angefangen, nicht nur Metall, sondern alle möglichen Dinge zu recyceln. Ich glaube, der wichtigste Punkt daran ist, dass sie nicht nur recyceln, sondern auch davon leben. Die weiße westliche Gesellschaft hat erst vor kurzem damit angefangen. Wie könnte man also bestreiten, dass die Rom*nja Futurist*innen sind? Wenn ich so darüber nachdenke … Ich habe eine Frage an dich. Wenn ich mit einer Kurator*in zusammenarbeite, ist es für mich sehr wichtig, dass wir eine gemeinsame Basis finden, dass wir miteinander kommunizieren und dass ich die Freiheit habe, vorzuschlagen und zu tun, was ich möchte. Und dass ich Vertrauen in deinen Prozess und deine Arbeitsweise habe. Erinnerst du dich, als du zu mir gesagt hast, wir sollten Bild dirt hoch oben and der Wand anbringen? Das war wirklich das Beste, was dieser Ausstellung passieren konnte. Ich wollte dich fragen – da du meinen Hintergrund und meine Haltung kennst, da du weißt, dass ich ziemlich locker sein kann, aber in bestimmten Fragen auch ziemlich stur – wie war es für dich, mit mir zusammenzuarbeiten? Wenn du all diese Ebenen in Betracht ziehst, was waren deine Erfahrungen? (Muss nicht unbedingt positiv sein.) (lacht)
Zippora Elders
© Gropius Bau, Foto: Ibrahim Wane
Elders: Ich habe es immer als großes Privileg empfunden, als Kuratorin zu arbeiten, weil man mit Künstler*innen zusammenarbeiten kann. Die Herausforderung besteht darin, die*den Künstler*in und die Institution zu verbinden und eine Brücke zu schlagen. Das ist eine ehrenvolle Aufgabe. Es ist eine große Inspiration, mit dir zusammenzuarbeiten. Das soll jetzt nicht zu dramatisch klingen, und das gilt ja auch nicht ausschließlich für dich. Es war zum Beispiel auch etwas ganz Besonderes, mit AA Bronson für die Ausstellung im Erdgeschoss zusammenzuarbeiten. Aber deine Vorstellungs- und Transformationsskraft zeigt sich auf eine ganz besondere Weise. Weil du sehr offen bist. Natürlich hat das auch damit zu tun, dass du von einem Ort kommst, an dem die Kunst eine andere Bedeutung hat oder auf eine andere Art und Weise gelehrt wird als, sagen wir, an den meisten Orten, an denen die Menschen ausgebildet werden, die sonst in Institutionen wie diesen landen.
Wenn wir über den Bereich Outreach sprechen, der ja auch Teil unserer kuratorischen Abteilung ist, über Inklusivität und darüber, verschiedene Stimmen zu Wort kommen zu lassen, dann hoffen wir, einem vielfältigen und breiten Publikum das Gefühl zu geben, hierher zu gehören und zu vermitteln, dass Menschen eingeladen sind, sich der Kunst zu nähern und Kreativität zu erleben, auch in sich selbst, und so weiter … Unter diesen Gesichtspunkten ist es so wichtig, dass du dein Wissen und deine Denkweise in diesen Raum einbringst. Deshalb halte ich es für sehr wichtig, dass du deinen klaren Bezugsrahmen, aber auch deine Kriterien und Bedingungen aufrecht erhältst, denn das schärft auch die Positionen einer Institution. Sonst entsteht eine unausgewogene Machtdynamik, die ungesund ist und sogar problematisch und ausbeuterisch sein kann. Es ist wichtig, eine gemeinsame Basis zu finden, im Austausch miteinander. Ich danke dir dafür. Die Herausforderungen sind gut. Ich bin dem Projektteam sehr dankbar, dass es uns dabei unterstützt hat, denn wir haben die Grenzen und Möglichkeiten der Institution erweitert. Es war wichtig, dass wir das tun konnten.
Ich würde jetzt gern noch über die Badewanne sprechen, denn das ist eines der Werke, die du hier in Berlin geschaffen hast, ein Selbstporträt. Du hast eine akademische Ausbildung als Malerin, hast dann aber in viele verschiedene Richtungen gearbeitet. Wie ist es für dich, hier ein Gemälde auf einer Badewanne zu präsentieren?
Selman: Ich habe in Banja Luka Malerei studiert, das war mein erster Beruf. Die Badewanne ist aber tatsächlich mein erstes Aktbild. Deshalb erlaube ich auch keine Fotos davon. Es ist ein ganz besonderes Werk für mich. Ich weiß noch, als mein Vater hierher kam, habe ich alle gebeten, es zu abzudecken. Ich fühlte mich sehr unter Druck. Für mich ist das eine Form von Freiheit, denn in der Rom*nja-Kultur sieht man nie nackte Frauen. Zugleich war ich sehr daran interessiert, wie ich Ophelia [1] wieder zum Leben erwecken kann. Die Badewanne ist das letzte Werk, das man sieht, wenn man durch her0 geht. Man sieht mich als Person, die wach ist, frei, aber auch voller Scham. Im Allgemeinen will ich mit meiner Arbeit keine Aussagen oder Botschaften senden; nichts, was man benötigt, um sie zu lesen oder zu verstehen. Ich betrachte sie als offen und frei, denn dafür ist die Kunst da, deshalb machen wir Kunst. Du kommunizierst mit meiner Arbeit und interpretierst sie auf die verschiedensten Arten. Ich bin nur hier, um Ansatzpunkte zu geben. Deshalb finde ich es auch so gut, dass du nicht zu viel Text in die Ausstellung eingebaut hast. Um ehrlich zu sein, wenn ich in Ausstellungen gehe und es diese langen Texte gibt, lese ich sie kaum. Ich mag es, mich mit dem Fluss der Werke zu bewegen.
Elders: Ich glaube, dass deine raumgreifende Herangehensweise auch etwas ist, das viele Zuschauer*innen anspricht. Du nimmst den Raum buchstäblich ein. Du machst Lärm. Du besetzt den Raum für diejenigen, die normalerweise an den Rand gedrängt werden. In der Praxis machst du das auch mit deiner Stiftung [2] – du schaffst Raum für andere Gedanken, andere Stimmen, zusätzliche Stimmen. Du hältst einen Platz am Tisch frei. Indem du deinen Platz beanspruchst, gibst du auch ein Vorbild. Ich wollte deine Präsenz – und das, wofür sie steht – gerne verstärken. Du hast selbst einmal gesagt: „Ich muss Vorbild sein, ich darf nicht versagen.“ Was hat es mit der Idee von her0 auf sich, das mit einer Null [statt einem o] geschrieben wird?
Selman: Ich habe über die Null als Potenzial nachgedacht. Wie ich das gemacht habe? Ich habe eine weiße Leinwand in den Lieferwagen meines Vaters gelegt, und wenn mein Vater Schrott abholte, legte er den direkt auf die Leinwand. So habe ich den Van [vor dem Schmutz] geschützt, aber ich habe auch ein spontanes, abstraktes Gemälde geschaffen. Das ist etwas, was ich an diesen Momenten wirklich genieße: die Tatsache, dass etwas in einem Kontext ohne Bedeutung oder Erwartungen passiert. So entsteht aus dem „Nichts“ etwas, das enorm ist. Die gleiche Art von Arbeit habe ich für die Ausstellung gemacht – sie kann „heroisch“ sein, aber auch „nichtig“. Beides steckt in mir drin – und nicht nur in mir, in uns allen.
Selma Selman, her0, Installationsansicht, Gropius Bau (2023)
© Gropius Bau, Foto: Eike Walkenhorst
Elders: Wir hatten diese Leinwand ausgebreitet und wollten, dass sie gerahmt wird. Die ganzen Restaurator*innen standen um uns herum und sagten: „Aber da sind Löcher drin. Wenn ihr sie rahmt, wird sie reißen.“ Ich sagte: „Naja, es wäre nicht das Schlimmste, wenn sie auf diese Weise reißen würde. Sie ist ja bereits aus Schmutz und Zufall entstanden, und das soll auch so sein.“ Es ging darum, eine Brücke zu schlagen zwischen dem, was Kunst angeblich ist, und was nicht! Es war zwar einerseits eine theoretische Angelegenheit, aber andererseits auch eine sehr praktische. Selma, du bringst diese riesigen Widersprüche zusammen.
Selman: Mir ist gerade etwas klar geworden. Manchmal gehen die Leute mit meiner Arbeit um, als wäre sie Müll, und treten sie mit Füßen. Aber ich bin die Einzige, die das darf, oder? Ich bin die Einzige, die ein Loch in mein Bild machen darf. Ich bin die Einzige, die sagen darf, dass das Müll ist. Aber ich erwarte, dass die Leute es als Kunst betrachten. Denn das ist es. Das Gleiche gilt für das Volk, zu dem ich gehöre. Ich bin die Einzige, die mich als „Zigeunerin“ bezeichnen darf. Niemand sonst darf das. Ich frage mich, wann die Leute endlich verstehen werden, dass das Wort „Zigeuner“ kein Slang ist, egal ob positiv oder negativ gemeint. Wann werden wir endlich als gleichwertig anerkannt? Dasselbe gilt für meine Arbeit, für meine Bilder. Ich male Bilder – es spielt keine Rolle, wie ich es tue.
Elders: Ich erinnere mich an den Moment, als wir alle hier standen und schon Schwierigkeiten hatten, die Satellitenschüssel überhaupt ins Gebäude zu bekommen. Dann kamen wir mit dieser Anfrage für das riesige Gemälde, und einige Leute sagten: „Das geht nicht.“ Ich nahm dich beiseite und sagte: „Wisst ihr, was ich durch meine jahrelange Arbeit hier (in einem deutschen institutionellen Kontext) gelernt habe? Man kann immer sagen, dass etwas unmöglich ist, dass die Dinge so sind, wie sie sind. Aber am Ende ist es sehr oft doch irgendwie möglich.“ Und vielleicht ist das ein hoffnungsvolles Schlusswort, denn am Anfang hast du gesagt, dass die derzeitige Situation ziemlich düster ist: Lass uns präsent bleiben, weiter Widerstand leisten und uns für Veränderung, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung einsetzen.
Selman: Ja. Für den Frieden. Dafür, dass der Krieg aufhört. Dass all die schlimmen Dinge aufhören. Ich will, dass das bald vorbei ist und dass die Menschen mit Macht endlich etwas tun.
Selma Selman
© Gropius Bau, Foto: Ibrahim Wane
Zippora Elders ist ehemalige Leiterin der Kuratorischen Abteilung und der Abteilung Outreach am Gropius Bau. Zuvor war sie u. a. Co-Kuratorin von Sonsbeek, Direktorin von Kunstfort bij Vijfhuizen, Gründungskuratorin von The Performance Show im Rahmen der Art Rotterdam, Kuratorin bei Foam Magazine und Museum und Curator-in-Training am Stedelijk Museum Amsterdam. Als Kunsthistorikerin und Autorin hat Elders eine Reihe von Einzel- und Gruppenausstellungen kuratiert und für mehrere Publikationen geschrieben. Sie lebt in Berlin und ist regelmäßig als Beraterin, Jurorin und Vorsitzende für internationale Organisationen und Plattformen im Bereich Kunst und Kultur tätig.
Selma Selman, geboren in Bosnien und Herzegowina, ist eine bildende Künstlerin und Aktivistin mit Romn*ja Herkunft und lebt zwischen Amsterdam, New York und Ružica, Bihać. Im Jahr 2014 erwarb sie ihren Bachelor of Fine Arts an der Fakultät für Malerei der Universität Banja Luka. Im Jahr 2018 schloss sie ihr Studium an der Syracuse University, New York, mit einem Master of Fine Arts in Transmedia, Visual and Performing Arts ab. Selman gründete die Organisation Get The Heck To School, mit dem Anliegen, junge Rom*nja auf der ganzen Welt zu bestärken, die von der Gesellschaft ausgegrenzt werden und unter Armut leiden.
Das Gespräch wurde von Christoph Jehlicka übersetzt.
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