Die Reihe „The New Infinity“ bespielt eine außergewöhnliche Form von Architektur, die als Kuppel vor gut 100 Jahren für Planetarien entwickelt wurde, um eine möglichst realistische Erfahrung des Sternensystems und der Entgrenzung zu vermitteln, die den Blick ins Dunkle des Weltalls begleitet. Zugleich sind Planetarien von Anbeginn Orte der Hochtechnologie gewesen, einer raffinierten Simulation künstlicher Welten, die zunächst analog und seit mehr als dreißig Jahren auch digital erzeugt wurden. Warum also diese Institutionen nicht für künstlerische Projekte nutzen? Denn was heute in einem Planetarium funktioniert, funktioniert weltweit in allen.
Bislang waren Planetarien hauptsächlich Orte der Wissenschaft und Bildung, nur selten fand in ihnen zeitgenössische Kunst statt. Dabei zeigen Planetarien die größten und imposantesten Bilder unserer Zeit – verbunden mit dem brillanten Sound einer hochentwickelten 360-Grad-Klangtechnik. Im Rahmen der Programmreihe „The New Infinity“ und in Koproduktion mit dem Planetarium Hamburg stellen die Berliner Festspiele/Immersion seit zwei Jahren Künstler*innen diese Hochtechnologie samt der damit verbundenen Expertise zur Verfügung und fördern so das Entstehen neuer künstlerischer Welten. Ermöglicht wird dieses Vorhaben durch eine speziell entwickelte Testkuppel am Planetarium Hamburg, die den Künstler*innen und Techniker*innen der Projektreihe ebenso wie die dafür notwendige Software kostenlos zur Verfügung steht.
Mit diesem neuen Projekt soll nicht nur die Spitzentechnologie dieser Orte demokratisiert werden, sondern alternativ zu den Arbeiten des üblichen Programms Einladungen an zeitgenössische Künstler*innen ausgesprochen werden, für dieses „neue“ und in der digitalen Zeit immer leichter zugängliche Medium spezifische Kunstwerke zu entwickeln. Ein weiteres Ziel dieser Projektreihe besteht in der weltweiten Präsentation dieser neuen Arbeiten auf Festivals und in einer Reihe von Partnerinstitutionen, sodass es langfristig zu einem neuen Nutzerprofil dieser besonderen Orte kommt: Planetarien sind die Galerien der Zukunft, sind Orte einer neuen Realitätserfahrung im Feld der zeitgenössischen Kunst und der Schnittpunkt einer Entwicklung an Universitäten, in Museen und High-Tech-Forschungszentren weltweit. Dafür arbeiten die Berliner Festspiele in ihrer Programmreihe Immersion Hand in Hand mit dem Planetarium Hamburg, das zu den führenden und besucherstärksten Häusern seiner Art im deutschsprachigen Raum zählt und ein wegweisender Akteur der International Planetarium Society ist. Als Koproduzent der Reihe „The New Infinity“ setzt es dabei seinen Weg fort, die eigene Einrichtung für künstlerische Inhalte zu öffnen und sie durch sein Netzwerk zu verbreiten. Seit 2018 wird das Planetarium Hamburg somit zum Labor und Übungsort für Bildende Künstler*innen, Klangkünstler*innen, Filmemacher*innen und Game-Entwickler*innen, um hier mithilfe von digitaler audio-visueller Technologie neue Kunstproduktionen für den Kuppelraum zu erarbeiten, die uns bisweilen über die gewohnte Grenze von Raum und Zeit weit hinausführen – bis an die Erfahrung einer technologisch vermittelten und spürbar gemachten Unendlichkeit.
Da das Publikum neue Kunst nicht automatisch in Planetarien sucht, gehen die Berliner Festspiele von Anfang an auch aktiv zum Publikum: Eine eigens für die Projektreihe von der Firma tat aiRstructures entwickelte mobile Kuppel brachte 2018 erstmals die neu beauftragten Arbeiten in den öffentlichen Stadtraum, was von mehr als 20.000 Besucher*innen auf dem Kreuzberger Mariannenplatz begeistert aufgenommen wurde. Zeitgenössische Kunst in Planetarien, so zeigt sich hier, wirkt weder hermetisch noch abstrakt, sondern schlägt Gäste jeder Generation in ihren Bann und schafft mitten in der Stadt einen Ort der Ruhe und Freude.
Der Auftakt der Programmreihe fand am 26. September 2018 mit der Präsentation einer ersten Serie mit neuen Arbeiten von David OReilly, Holly Herndon & Mathew Dryhurst und Fatima Al Qadiri & Transforma sowie einem Konzert mit William Basinski, Evelina Domnitch & Dmitry Gelfand im Rahmen der Berlin Art Week in unserem mobilen Dome vor dem Künstlerhaus Bethanien statt.
Anschließend wurden die Arbeiten im Planetarium Hamburg sowie auf zahlreichen internationalen Festivals präsentiert. Der irische Künstler und Game Designer David OReilly erforscht in seiner interaktiven Fulldome-Arbeit „Eye of the Dream“ die Ursprünge und Evolution des Universums und setzt damit die Bildsprache und Logik seines preisgekrönten Videospiels „Everything“ fort. Gemeinsam mit Mathew Dryhurst erschuf die amerikanische Komponistin Holly Herndon eine „Chain Opera“, die eine lineare Erzählung mithilfe von Realfilm und chorischem Gesang entwickelt hat. In ihrer Arbeit „Extraordinary Alien“ beziehen sich die Komponistin und Konzeptkünstlerin Fatima Al Qadiri und das Videokünstlerkollektiv Transforma auf die Kategorie „alien with extraordinary ability (Ausländer mit außergewöhnlichen Fähigkeiten)“ in der Klassifizierung von Künstler*innen-Visa für die USA und spielen mit der Doppelbedeutung des englischen Worts „alien“, nämlich einerseits Außerirdische und gleichzeitig außergewöhnliche Wesen, die sich konstant jeglicher Repräsentation widersetzen.
Der zweite Werkzyklus von „The New Infinity“ präsentiert im Sommer und Herbst 2019 neue Fulldome-Positionen von Agnieszka Polska, Metahaven und Robert Lippok & Lucas Gutierrez. Agnieszka Polska erweckt für ihren hypnotischen visuellen Essay „The Happiest Thought“ prähistorische irdische Landschaften wieder zum Leben und spürt einer Naturkatastrophe vor 240 Millionen Jahren nach, deren Folgen bis heute sichtbar sind. Das Kollektiv Metahaven interpretiert den antiken Mythos der Elektra und ihr Heranwachsen in einer einzigartigen Verbindung von Animation und Realfilm, während Robert Lippok & Lucas Gutierrez in „Non-face“ die Geometrien von Objekten erforschen, die zwar digital darstellbar sind, aber in der physischen Welt nicht existieren können. Die sinnliche Erfahrung dieser künstlerischen und künstlichen Realitäten ermöglicht neue Wege des Verstehens, die das Planetarium auch zum Erfahrungsort einer konzeptionell anderen Art von Wissen zeigt und somit als Verständnisort in die Zukunft führen.
Seine Weltpremiere wird dieser zweite Werkzyklus am 13. August 2019 in Kooperation mit dem Internationalen Sommerfestival Kampnagel im Planetarium Hamburg erleben. Neben der Premiere der Neuproduktionen wird der Frontmann von Arcade Fire, Richard Reed Parry, die Europapremiere seines Soloalbums „The Quiet River of Dust“ als audiovisuelles Gesamterlebnis im Sternensaal des Planetarium Hamburg realisieren. Im September werden die neuen Produktionen, ergänzt durch ein umfangreiches Rahmenprogramm u.a. mit der Weltpremiere eines neuen Fulldome-Konzertes der Klang- und Medienkünstlerin Dasha Rush, dann im Rahmen der Berlin Art Week bei freiem Eintritt in unserem Mobile Dome gezeigt, der wieder auf dem Berliner Mariannenplatz seine Türen für das Berliner Publikum öffnet.