Terrible Sounds, Film still

© Philip Rizk

Inside the Scene: Kairo

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Kairo und Jazz

Traditionslinien Improvisierter Musik

Betrachtet man die reichhaltige globale Geschichte des Jazz, so sagt die Art und Weise, wie sie sich in Komposition, Improvisation, Interpretation und Darbietung entfaltet, vielleicht mehr aus, als wir gemeinhin annehmen. Unabhängig davon, ob dieser Geschichte ein explizites Narrativ zugrunde liegt oder nicht, eignet sich die Musik als Instrument zur kritischen Reflexion und Geschichtsschreibung, ähnlich wie Walter Benjamin einst über das Erzählen von Geschichten schrieb: "An der Erzählung [haftet] die Spur des Erzählenden wie die Spur der Töpferhand an der Tonschale."

Indem wir im Medium der Musik durch die Zeit reisen, können wir nicht nur ägyptischen Jazz, sondern auch die vielfältigen Geschichten der Künstler*innen erleben, die im diesjährigen, von Maurice Louca co-kuratierten Kairo-Fokus des Jazzfest Berlin vertreten sind. Auch wenn man im Zusammenhang mit Musik und Ägypten nicht unbedingt als erstes an Jazz denkt, so reicht die Geschichte der improvisierten Musik dort bis zu den frühesten Werken des Taarab zurück: von Mounira El Mahdeya, Abdel-Latif El-Banna und Fatma Serry bis zu den eindeutiger dem Genre zuzuordnenden Free-Jazz-Sessions von Salah Ragab und seiner Zusammenarbeit mit Hartmut Geerken und später Sun Ra.

Sun Ra spielt in Hartmut Geerkens Wohnzimmer in Kairo

© Hartmut Geerken, Foto: Philip Rizk

Wie wir im Kairo-Fokus des Jazzfest Berlin sehen, ist die Tradition der Improvisation ein Schlüsselelement, das viele der präsentierten Werke sowie das Spektrum der elektroakustischen und zeitgenössischen Instrumentalmusik aus der SWANA-Region bestimmt. Und obwohl etwa das umfangreiche musikalische Portfolio, das Maurice Louca in den letzten zwei Jahrzehnten hervorgebracht hat, nicht immer in den Jazz-Kontext passt, hat seine Fähigkeit, musikalische Form herauszufordern und gleichzeitig die Improvisation als kompositorisches Element zu nutzen, zu einigen seiner besten Werke geführt. Sein jüngstes Projekt Elephantine, das er beim Jazzfest Berlin präsentiert, lässt sich dabei auch im engeren Sinne dem Jazz zuordnen.

Maurice Louca

© Christer Nexmark

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Stimmen der Vergangenheit

Nancy Mounir: „Nozhet El Nofous (Those who were not invited)“

Trailer „Nozhet El Nofous“

Jazzfest Berlin – Kairo

© Berliner Festspiele / Jazzfest Berlin

„Wenn wir uns davon lösen, Jazz als Genre zu beschreiben, und uns stattdessen auf den Kern dessen fokussieren, was Jazz war und sein könnte, finden wir etliche Gemeinsamkeiten zu arabischen Musiktraditionen“, schreibt Maurice Louca in seinem kuratorischen Statement. Dieser Gedanke wird beim Hören von Nancy Mounirs Forschungsprojekt und Album „Nozhet El Nofous“ verständlicher, dessen Veröffentlichung für Ende des Jahres geplant ist.

In ihrem Beitrag zum Jazzfest Berlin gipfeln das Album und die weiterführenden Recherchen Nancy Mounirs in einer filmischen Auseinandersetzung mit dem Leben und der Musik mehrerer ägyptischer Sängerinnen aus den 1920er Jahren, die oft mit Stimmungssystemen und mikrotonalen Skalen arbeiteten, welche vom damaligen, 1932 im Ersten Kongress für Arabische Musik sanktionierten Standard abwichen. Im Zuge dieser kontroversen Konferenz, so behaupten einige, wurde die arabische Musik ihrer Zukunft beraubt, indem sie unter Ausschluss vieler der damals führenden Künstler*innen dem westlichen Prinzip einer einheitlichen Standardstimmung unterworfen wurde. Nancy Mournir hat sechs Jahre lang mit den Geistern einiger der ausgeschlossenen Künstler*innen gejammt, darunter Mounira El Mahdeya, Fatma Serry und Hayat Sabri, und nicht nur ihre Geschichten und ihr musikalisches Genie zum Vorschein gebracht, sondern auch erforscht, was die Überführung ihrer Musik in die Gegenwart für unsere Zukunft bedeuten könnte.

Interview Nancy Mounir

Jazzfest Berlin – Cairo

© Berliner Festspiele / Jazzfest Berlin

Poster für die Veranstaltung „Grand Opening for the Queen of Tarab“

© Nancy Mounir

Ausschnitt aus dem Teatro Magazin mit einer Darstellung Lady Mounira El Mahdeyas in der Rolle der Quaintrelle Dandizette

© Nancy Mounir

Mounira El Mahdeya im Anzug

© Nancy Mounir

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Die Suche nach einer nationalen Identität

Philip Rizk & Nadah El Shazly: Terrible Sounds

Auch die Videoarbeit „Terrible Sounds“ von Philip Rizk experimentiert mit Zeitlichkeit und Improvisation und setzt sich mit der Suche nach einer nationalen Identität auseinander. So sagt Filmemacher Philip Rizk: „Musik ist äußerst wichtig bei der Schaffung einer Art nationaler Vorstellung davon, was die Kultur eines Ortes ausmacht.“ Der Film erforscht dieses Thema anhand originaler Filmaufnahmen von der wiederholten Öffnung des Grabs von König Tutanchamun in den 1920er-Jahren vor und nach der Unabhängigkeit, unterlegt von zwei klassischen Kompositionen, die in imperialistischen bzw. postkolonialen Kontexten entstanden sind. Diesen werden in einer Zusammenabeit von Nadah El Shazly und weiteren Musiker*innen aktuelle Aufnahmen gegenübergestellt, die von „Muharram 1392“ inspiriert sind, einem gemeinsamen Free-Jazz-Album von Salah Ragab und Hartmut Geerken, das 1972 aufgenommen wurde.

Für ihr Auftragswerk beim Jazzfest Berlin haben Nadah El Shazly und Philip Rizk dieses vergriffene Album wieder auferstehen lassen und mehrere Musiker*innen gebeten, musikalisch darauf zu reagieren und so die Musik zum Video zu kreieren. Neben Nadah El Shazly sind auf den Aufnahmen der kürzlich tragisch verstorbene Künstler Hartmut Geerken zu hören, der als einziger der Mitwirkenden auch an dem historischen „Muharram“-Album maßgeblich beteiligt war, sowie Maurice Louca, Ayman Asfour und Sharif Sehnaoui. Ihre Kunst ermöglicht es uns, den schlummernden Geschichten zu lauschen, die in der kolonial geprägten Geschichte der Region und ihre Suche nach einer nationalen Identität überhört worden sind.

Terrible Sounds – A Triptych

Jazzfest Berlin – Cairo

© Berliner Festspiele / Jazzfest Berlin

Raum zum Abdriften

Philip Rizk und Nadah El Shazly im Gespräch mit Maha ElNawabi

Maha ElNawabi: Erzählt uns ein bisschen was über die Ursprünge dieses Projekts: Woher kam die Idee und welche Art von Geschichte versucht ihr zu erzählen?

Philip Rizk: Meine Projekte sind in der Regel prozessorientiert, das heißt, es wird viel improvisiert. Oft gibt es nur Puzzleteile, die sich erst ganz am Ende zusammenfügen. Das Projekt begann mit einem Gespräch über Mohamed El Bayoumi, den wahrscheinlich ersten ägyptischen Filmemacher. In einem seiner wichtigsten Werke dokumentiert er die zweite Öffnung des Grabs von Tutanchamun. Dieser Film ist eine der historischen Erzählungen, die unserem Projekt „Terrible Sounds“ zugrunde liegen. Die erste Öffnung des Grabs erfolgte durch einen britischen Forscher und wurde von einem amerikanischen Kameramann dokumentiert. Nachdem Ägypten aber eine Pseudo-Unabhängigkeit von der britischen Besatzung erlangt hatte, schlossen die Ägypter*innen das Grab und öffneten es dann wieder in einer Art zweiten, offiziellen Öffnung. In meinen Projekten treffen oft solche verschiedenen Ebenen und Erzählungen aufeinander. Die Musik ist dabei eine Art Begleitung der historischen Erzählung. Das übergreifende Thema, mit dem ich mich beschäftige, ist die Erfindung und Schaffung des Nationalstaats – und hierbei ist Musik von entscheidender Bedeutung. Im Falle Ägyptens spielen die Pharaonen eine wesentliche Rolle in der Erzählung, aber auch die Musik ist äußerst wichtig bei der Schaffung einer Art nationaler Vorstellung davon, was die Kultur eines Ortes ausmacht. In diesem Projekt treffen also zwei scheinbar unverbundene Themen zusammen.

Maha ElNawabi: Könnt ihr uns den Prozess eurer Zusammenarbeit etwas genauer beschreiben? Und wann kam „Muharram 1392“ ins Spiel, die Zusammenarbeit zwischen Salah Ragab und Hartmut Geerken?

Philip Rizk: Der letzte Film, bei dem wir zusammen gearbeitet haben, „Mapping Lessons“, sieht ganz anders aus: Es ist ein fiktionaler Reisefilm in Spielfilmlänge, aber auch hier geht es um die Schaffung eines Nationalstaats. In diesem Fall handelt er von Syrien und dem Vorderen Orient in der Zeit vor der Grenzziehung zwischen den Staaten in der Region. Bei den Dreharbeiten zu diesem Film habe ich unter anderem versucht herauszufinden, welche Klänge die Bilder begleiten könnten. Für mich sind das keine getrennten Elemente. Ich arbeite nicht an einem Film und erstelle dann erst den Soundtrack oder beauftrage jemanden damit. Andere müssen hierfür unbedingt mit mir im Gespräch bleiben.

Nadah El Shazly: Mich hat an „Mapping Lessons“ vor allem Philips Umgang mit dem Archivmaterial interessiert. Und seine Offenheit dafür, den Ton dieses Materials zu verwenden oder zu verwerfen und dann einige Klänge aus dem Archiv neu zu interpretieren. Am Ende von „Mapping Lessons“ gibt es eine Erzählung, die sich selbst reimaginiert, und es war sehr klar, dass Philip Salah Ragabs und Hartmut Geerkens „Muharram 1392“, eine experimentelle Free-Jazz-Aufnahme von 1972, verwenden wollte, die dann zum Kern unserer gemeinsamen Arbeit wurde. Daraus entstand die Idee für „Terrible Sounds“: Wir wollten „Muharram 1392“ neu erfinden und dabei imaginieren, wie es heute klingen würde – angesichts des breiten Interesses vieler Musiker*innen an improvisierter Musik und der Art und Weise, wie sie heute Bezüge zur improvisierten Musik der 1920er- bis 1970er-Jahre herstellen.

Maha ElNawabi: Wie habt ihr mit dem Originalalbum „Muharram 1392“ gearbeitet? Habt ihr die Aufnahme gemeinsam neu interpretiert – und wie kam Hartmuts Input dazu?

Nadah El Shazly: Durch Philips Verbindung zu Hartmut und nachdem wir einen Weg gefunden hatten, mit ihm zu kommunizieren, war uns klar, dass wir verstehen wollten, wie sie dieses Album aufgenommen haben. Das war sehr interessant: Hartmut hatte Mikrofone in seiner Wohnung aufgestellt, die die ganze Zeit liefen. Er lud Leute ein, vorbeizukommen und Musik zu machen – ich weiß nicht mehr genau, wie lange …

Philip Rizk: Er hat gesagt, dass sie 14 Stunden am Stück gespielt hätten, wovon er etwa 2,5 Stunden als Aufnahme archivierte.

Nadah: Wir wollten möglichst viel von Hartmut darüber erfahren, wie diese Platte gemacht wurde, und wir wollten den Geist dieses Albums verstehen – um ihn als etwas zu verwenden, zu dem man als Musiker*in spielen oder improvisieren kann. Aber wir haben die Musik in verschiedenen Städten aufgenommen, also haben wir sukzessiv aufeinander reagiert. Maurice und ich begannen, weil wir beide in Kairo waren. Wir nahmen zwei komplette Takes zusammen auf und schickten sie an die anderen beteiligten Musiker, Sharif Sehnaoui und Ayman Asfour. Dann nahmen diese sich selbst auf, während sie zu „Muharram 1392“ spielten, und als ich die Dateien bekam, fügte sich alles zusammen. Von da an konnte ich sehen, wie alles zusammenpasste und zusammenwirken konnten. Wir haben den Geist des Albums als Referenz verwendet. Es war aber auch ganz klar, dass die Inspiration von der eigenen Bandbreite stammen konnte – sie musste nicht unbedingt auf jemanden reagieren. Die Art und Weise, wie Hartmut aufnahm, bot uns zum Beispiel die ganze Palette seiner Instrumente. Er nahm etwa 45 Minuten auf, in denen er auf seine eigene Arbeit reagierte und wir reagierten dann wiederum auf ihn. Das war ein sehr offener Prozess, bei dem wir nach einer dynamischen Interaktion miteinander gesucht haben und der uns allen Raum gegeben hat, um auch abzudriften.

Philip Rizk: Ich denke, es ist auch erwähnenswert, dass Hartmut der einzige noch lebende, aktive Musiker aus dieser Session von 1972 ist. Ich war an dem Tag bei ihm, als er die Musik für „Terrible Sounds“ aufnahm, und er hatte sich an diesem Morgen das gesamte Originalalbum angehört. Er fungiert als eine Art Brücke zwischen der historischen Session und unserer neuen Aufnahme. Die Aufnahme von 1972 war eine wichtige Entdeckung für mich. In gewisser Weise hat der Staat versucht, eine bestimmte Art von Improvisation in der Musik auszurotten – oder sagen wir zumindest, dass sie nicht zur Agenda des Staats gehört. Es gibt ein Bestreben, die Musik nach europäischen Vorstellungen zu ordnen und zu organisieren. Das war schon vor 1932 so, wurde aber auf dem Kongress für arabische Musik in Kairo und in den folgenden Jahren nochmals verfestigt. Für mich war die Session von 1972, ob beabsichtigt oder nicht, ein Kontrapunkt zu diesem Staatsprojekt. Sehr ungewöhnlich war, dass Salah Ragab – der oft als Schlüsselfigur in der Geschichte des ägyptischen Jazz genannt wird – selbst ein Militärgeneral war und damals die Militärkapelle in Ägypten leitete. Die Zusammenarbeit von Salah und Geerken mit dieser äußerst zentralen staatlichen Institution untergräbt und unterminiert die Energie dieses Projekts in gewisser Weise – ob nun beabsichtigt oder nicht.

Maha ElNawabi: Manche sind der Meinung, dass der Kongress für arabische Musik in Kairo im Jahr 1932 die Zukunft der arabischen Musik durch die Standardisierung ihrer Tonsysteme auslöschte. Könntet ihr etwas über diese zeitlichen Elemente erzählen und die Idee erläutern, sich von der fernen statt der nahen Vergangenheit inspirieren zu lassen, um verlorene Narrative zurückzugewinnen?

Nadah El Shazly: Zuerst muss ich sagen, dass mein persönliches Interesse an dieser Zeit begann, als ich zum ersten Mal Abdel-Latif El-Banna und Mounira El Mahdeya hörte. Ich dachte, dies sei Musik aus der Zukunft. Ich konnte nicht glauben, dass sie aus der Vergangenheit stammte. Das Niveau, auf dem sie zusammenspielten, ohne all diese einschränkenden Regeln, machte ihr Spiel viel offener. Ich denke, die Kraft der Improvisation und die Erweiterung der Vorstellung davon, was musikalisch möglich ist, und das Ausmaß, in dem man viele Dinge ändern kann, die in der arabischen Welt als falsch angesehen werden – zum Beispiel werden Mahraganat-Musiker*innen angegriffen, weil sie keine Musiktheorie kennen – ist unglaublich wichtig. Man kann sich von diesen Vorstellungen befreien und zugleich auf Musiker*innen berufen, die es tatsächlich gab und die in der ägyptischen Geschichte auch wichtig und geachtet waren. Ich denke, diese Situation spricht uns als Musiker*innen oder Künstler*innen an, die alternative Ansätze gegenüber den Routinen des institutionellen Gefängnisses suchen und imaginieren.

Philip Rizk: Ich denke, das ist sehr schön formuliert. Und es fasst zusammen, warum ich mit dir arbeiten wollte als einer Person, die auf diese Weise über Musik denkt. Ich denke, dass wir in Ägypten, wie an so vielen Orten, gerade an einem Punkt sind, wo behauptet wird, dass es keinen Raum dafür gibt, sich die Dinge anders vorzustellen als sie sind. Für mich ist es sehr wichtig, dass wir genau das tun: Allein um am Leben zu bleiben, müssen wir uns vorstellen, dass die Dinge anders sein können als sie sind. In vielerlei Hinsicht befinden wir uns in einer sehr bedrückenden und dunklen Zeit – und um über diese hinauszublicken, müssen wir unsere Vorstellungskraft aktivieren. Deshalb spielt die Musik eine so wichtige Rolle in einem Projekt wie „Terrible Sounds“ – sie leitet diesen Film als unausgesprochene Erzählung.

Goodbye, Hartmut Geerken

Ein Nachruf von Philip Rizk

Im Sommer 2017, als ich für meinen Film „Mapping Lessons“ nach Musik suchte, stieß ich auf das längst vergriffene Album „Muharram 1392“. Darauf zu hören war eine freie Impro-Session, aufgenommen 1972 in Hartmut Geerkens Wohnzimmer in Kairo. Ich fand heraus, dass er immer noch Musik machte, und rief ihn an. Er freute sich über meinen Anruf aus Kairo und erzählte begeistert von seiner Arbeit dort vor fast fünfzig Jahren. So war es wenig überraschend, dass er die Einladung annahm, ein Album mit zeitgenössischen Musiker*innen aus der Region aufzunehmen.

 

Hartmut glaubte an eine spirituelle Welt, die ohne Erklärungen oder ein logisches System auskam. Er war stets offen für neue Begegnungen, Zufälle gab es für ihn nicht. Als er 1967, kurz nach seiner Ankunft in Kairo, plötzlich mit zwei Musikern an einem Tisch saß, der eine Jazzmusiker, der andere auf dem Weg dahin, dauerte es nicht lang, bevor die drei eine Band gründeten. Dabei half, dass Salah Ragab Armeegeneral war und das ägyptische Militärorchester leitete.

Hartmut war mehrere Jahre lang für das Goethe-Institut in Kairo tätig und bestach durch seine Vielfältigkeit. Gelegentlich spielte er mit exilierten Black-Panther-Musiker*innen – sein „Music for Angelas Davis“ wird noch vor Jahresende erscheinen. Einen großen Teil seiner Zeit widmete er jedoch der Aufgabe, Ragabs Militärmusiker ihre auf das Aufführen europäischer Nationalhymnen ausgerichtete Ausbildung vergessen zu machen und ihnen stattdessen die freie Improvisation näherzubringen – eine Kunst, die der revolutionären Bewegung nahestand, die 2011 durch Ägypten rollte. In jenem Jahr veröffentlichte Hartmut auch „Muharram 1392“.

Ich konnte Hartmut nur in den letzten vier Jahren seines Lebens kennenlernen. Seine Leidenschaft und Energie ließen ihn auch in dieser Zeit ewig jung wirken. Er sprach gerne von seinen Begegnungen mit Sun Ra und dem Arkestra in Ägypten und seinen Abenteuern als Jazzmusiker unter der Militärherrschaft. Eine befreiende Lebensweise, eine schöne Seele.

Du warst eine Brücke, Hartmut. Ich vermisse dich sehr.

Maha ElNabawi

— Text & Interviews

Die in Kairo lebende Schriftstellerin, Musikjournalistin und Content-Producerin Maha ElNabawi ist Mitbegründerin der Online-Zeitschrift Mada Masr. Ihre Musikbeiträge wurden in The Wire UK, The Guardian, Spex, The National UAE und Norient veröffentlicht. Sie ist Mitautorin des Buches „Ten Cities“, einer soziopolitischen Kritik durch die Brille der Clubkultur, sowie Mitbegründerin von „Katalog“, einem arabischen Podcast, der Musiker*innen aus der SWANA-Region vorstellt. Maha ElNabawi arbeitet derzeit an einem Buch über zeitgenössische Musik in der arabischen Welt.