Ausstellung
Ausstellungsplakat „Wiederentdeckte Moderne II. Wenzel Hablik – Expressionistische Utopien. Malerei, Zeichnung, Architektur“. Motiv: Freitragende Kuppel mit fünf Bergspitzen als Basis, 1918/23/24 Motiv © Wenzel-Hablik-Stiftung, Itzehoe
Utopische Architekturentwürfe, expressionistisches Interieur, fantastische Farbwelten – all dies ist nur ein Teil des Werkes von Wenzel Hablik (1881–1934), der sich als Universalkünstler dem Gesamtkunstwerk verschrieb.
Hablik gilt als einer der wichtigen Vertreter der deutschen expressionistischen Architektur- und Gestaltungsavantgarde. Scheinen die Wege der Kunst der Moderne weitgehend erforscht, so bietet sein Werk immer noch Überraschendes. Im Fokus der Berliner Ausstellung stehen seine Architekturvisionen und sein 1923 farbig gestaltetes Meisterwerk eines Raumkonzepts als Rekonstruktion. Sie werden durch die Präsentation von Malerei und Design ergänzt, denn erst in der Kombination wird der Grundgedanke des Gesamtkunstwerkes, wie Hablik es verfolgte, nachvollziehbar. Es ist die erste umfassende Einzelausstellung seines Werkes in Berlin.
Mit Berlin ist Hablik in besonderem Maße verbunden. Hier beteiligt er sich an Ausstellungen der Berliner Secession, präsentiert 1912 in der Galerie „Der Sturm“ von Herwarth Walden seinen ersten druckgrafischen Zyklus „Schaffende Kräfte“ neben Werken von Picasso, Kandinsky, Kokoschka und Gauguin. 1919 nimmt er auf Einladung von Walter Gropius an der „Ausstellung für unbekannte Architekten“ des Arbeitsrates für Kunst teil und wird kurz darauf dessen Mitglied. Als Teil der Briefgemeinschaft „Gläserne Kette“ steht Hablik mit Walter Gropius, Bruno Taut sowie weiteren Architekten und Malern im regen Austausch über utopische Architekturideen; darunter auch Hermann Finsterlin, Hans und Wassili Luckhardt, Hans Scharoun und Max Taut. Mit ihnen nimmt Hablik im Mai 1920 auch an der der Ausstellung „Neues Bauen“ im Graphischen Kabinett Neumann in Berlin teil.
Es kam damals einer kleinen Sensation gleich, dass das farbige Raumkonzept eines von Wenzel Hablik 1923 gestalteten Esszimmers 80 Jahre weitgehend unbeschadet überstanden hat. Bunt und in streng geometrischen Formen vom Boden bis zur Decke gestaltete er damals das Speisezimmer seiner Villa in Itzehoe. 1933 ließ er es unter neutralen Tapeten verbergen. 2013 wurden die wertvollen Malereien freigelegt. Eine Rekonstruktion dieses Kunstwerks ist im Martin-Gropius-Bau zu sehen.
Beeinflusst durch seine Studienzeit an der Wiener Kunstgewerbeschule und der Kunstakademie in Prag lässt sich seine Entwicklung vom Jugendstil über den Expressionismus und die farbbegeisterten frühen 1920er-Jahre bis hin zur Neuen Sachlichkeit nachvollziehen. Seine Werke zeichnen sich durch eine bis heute überraschend zeitgemäße Formensprache aus.
1881 im böhmischen Brüx, dem heutigen Most in Tschechien, geboren, erlernt Hablik schon während der Schulzeit das Tischlerhandwerk in der väterlichen Werkstatt. In dieser Zeit bildet sich allerdings nicht nur sein grundlegendes Verständnis für handwerkliche Arbeiten aus, er legt bereits den Grundstein für eine Kristall- und Naturaliensammlung, die sein künstlerisches Schaffen zeitlebens begleitet. Auf ihr fußt sein sich über 20 Jahre entwickelndes utopisches Architekturkonzept, für das Hablik bis heute international bekannt ist. Seit 1902, mit Beginn seines Studiums der Malerei an der Wiener Kunstgewerbeschule, zeichnet Hablik Gruppen von Kristallen, die sich in seiner Fantasie zu Märchenschlössern auf steilen Berghängen ausformen. Diese „Kristallbauten“, wie er sie nennt, gehören zu den frühesten bekannten Entwürfen kristalliner Architektur in der europäischen Kunstgeschichte. Sie markieren den Anfang von Habliks späteren utopischen Architekturentwürfen.
Sicherlich auch beeinflusst durch die Kunst und Literatur der Romantik, verehrt Hablik die Natur als höchste schöpferische Kraft und sieht im Kristall das bedeutendste Symbol der Naturschöpfung – für ihn wird die Kristallarchitektur zu einer Gesellschaftsutopie auf dem Weg in eine bessere Lebenswelt. Von Schriftstellern wie H. G. Wells, Paul Scheerbart, Kurd Laßwitz und Jules Verne inspiriert, erhalten Habliks Architekturentwürfe zunehmend eine technische Komponente. Er entwirft Flugmaschinen und Luftkolonien, versieht sie mit detaillierten Kommentaren zu Konstruktion und Nutzung, wobei er nicht nur nach technischen Lösungen sucht, sondern auch neuartige Maschinen erdenkt. Es galt, mit moderner Technik die Realität zu überwinden und die Gesellschaft zu verändern. Verbunden damit sollte auch die Reise in das Weltall möglich erscheinen – ein Thema, dem er sich in großformatigen Ölbildern zuwendet. Die Beschäftigung damit beeinflusst auch Habliks Formsprache bei der Gestaltung von kunsthandwerklichen Arbeiten. Aus Messing und Silberblech gefaltete sternförmige oder prismatische Dosen und Tintenfässer erinnern an die utopischen Bauten, werden zu Kleinarchitekturen oder Himmelskörpern. Hablik leistet, als Mitglied des Deutschen Werkbundes, in fast allen Bereichen der angewandten Kunst – vom Entwurf von Webmustern, Möbeln und Tapeten, Schmuckdesign, Lampenentwürfen, Metallarbeiten bis hin zum Besteckdesign – einen grundlegenden Beitrag zur Moderne.
Ab 1907 kann sich Hablik im schleswig-holsteinischen Itzehoe mit Unterstützung von Mäzenen intensiv seinem künstlerischen Schaffen widmen. Das Naturerlebnis bleibt stets die bedeutendste Inspirationsquelle für Habliks Schaffen. Beeindruckt von der Urgewalt des Feuers und des Meeres, setzt er diese Themen in den unterschiedlichsten Techniken um. Landschaften seiner böhmischen Heimat mit ihrer Gebirgswelt sowie die Küsten- und Heidelandschaften Norddeutschlands werden immer wieder Gegenstand seiner Malerei. Daneben entstehen Porträts und Stillleben. Der Idee folgend, dass künstlerische Qualität für die Ausgestaltung aller Lebensbereiche Geltung habe, entwirft Hablik zudem extravagante Raumkonzepte für zahlreiche öffentliche und private Interieurs in Norddeutschland.
Die Wenzel-Hablik-Stiftung, als Trägerin des Wenzel-Hablik-Museums in Itzehoe, verfügt über die umfangreichste Sammlung seiner Werke und begleitet die Ausstellung.