Ausstellungstexte

YOYI! Care, Repair, Heal

Einleitung

YOYI! Care, Repair, Heal lädt 25 Künstler*innen und Kollektive dazu ein, zu untersuchen, wie kinship, Wahlverwandtschaften, zwischen Menschen und anderen Spezies in verschiedene kulturelle Ausdrucksformen eingeschrieben ist. Im Dialog mit einem internationalen kuratorischen Team befassen sich die künstlerischen Positionen mit den Themen Gesundheitsinfrastruktur, gerechte Landnutzung und -verteilung, ökologische Prekarität, Wissen über Heilung, Trauma sowie dekoloniale Praktiken. Die Relevanz dieser Themen wurde in den letzten Jahren immer deutlicher spürbar. Die Beschleunigung des Klimanotstands, globale Pandemien, politische Instabilitäten und der Aufstieg autoritärer und populistischer Regime trug maßgeblich dazu bei.

Fürsorge, Reparatur und Heilung sind stark aufgeladene Begriffe, die unterschiedliche Seinsweisen verkörpern können. Sie umfassen ein Spektrum von Trauer bis Ekstase, von alten und andauernden Indigenen bis zu neu hervorgebrachten Formen der Empathie. Der Titel YOYI ist eine Aufforderung in der Sprache der Tiwi (Indigene Menschen im Norden Australiens), die zu Zeremonien, Feiern und Trauer einlädt. Wir schlagen vor, diesem Aufruf zu folgen und somit die Präsenz unserer Vorfahr*innen sowie Heilung und Traumata generationsübergreifend anzunehmen; die Ressourcen der Erde mit nicht-menschlichen Wesen zu teilen, die den gleichen Anspruch auf mögliche Zukünfte haben; den Körper durch Tanz, Gesang, Rituale und mehrsprachige Kommunikation zu erfahren; über Zugänglichkeit und Ungleichheiten innerhalb bestehender Systeme der Fürsorge zu reflektieren; Künstler*innen zu feiern, die durch ihr Tun die vorherrschenden Strukturen verändern.

Die Werke hinterfragen, erfinden, erweitern, bewahren und bestreiten Ansätze von Fürsorge, Reparatur und Heilung. Einige Künstler*innen üben Kritik daran, wie Infrastrukturen der Pflege missbraucht wurden oder verweisen darauf, wie die Geschichte bewiesen hat, dass Heilung unmöglich ist. Andere interpretieren Reparatur aus verschiedenen außereuropäischen Perspektiven. Heilungs- und Pflegearbeit entzieht sich oft der linearen Zeit. Diese Ausstellung reflektiert, wie solche Prozesse in einem öffentlichen Raum sichtbar gemacht werden können.

Mit Werken und Beiträgen von Pierre Adler, Brook Andrew, Kader Attia, Tosh Basco, Mohamed Bourouissa, Andrea Büttner, Lavkant Chaudhary, Lygia Clark, André Eugène, Artemisia Gentileschi, Johanna Hedva, Jilamara Arts & Crafts Association, Anne Duk Hee Jordan, Eva Kot’átková, Betty Muffler & Maringka Burton, Grace Ndiritu, People’s Archive of Rural India, Outi Pieski, Paula Rego, Tabita Rezaire & Amakaba, Georgia Sagri, Yhonnie Scarce, Reginald Sénatus (Redji), SERAFINE1369 und Wu Tsang

Zentrale Begriffe der Ausstellungstexte sind im Glossar zur Ausstellung zu finden.

Jilamara Arts & Crafts Association: YOYI

Eine Frau mit bunter Kleidung und Federschmuck tanzt am Strand

Jilamara Arts & Crafts Association, YOYI (dance), 2020, 4-Kanal-Videoinstallation (Detail)

Gemeinsam von Künstler*innen geleitete Filmproduktion von Jilamara Arts & Crafts Association, Milikapiti, Melville Island, Tiwi

„Die Tiwi-Inseln sind seit Tausenden von Jahren die Heimat meiner Gemeinschaft. Wenn wir uns durch Zeremonien und durch Tanz und Gesang verbinden, verbinden wir uns auch mit dem Land. Dadurch fühlen wir uns stark.“
— Pedro Wonaeamirri für Jilamara Arts & Crafts Association

YOYI bedeutet „Tanz“ auf Tiwi und ist ein gemeinschaftlich gedrehter Film von 30 Künstler*innen, die bei der Jilamara Arts & Crafts Association auf der abgelegenen Insel Melville in Australien arbeiten. Jilamara bezeichnet eine ockerfarbene Körperbemalung und ist namensgebend für die 1989 gegründete Kunstorganisation der Tiwi, die sich aus Indigenen Künstler*innen der Milikapiti Community zusammensetzt. Ihr Angebot umfasst Kurse, Workshops, Schulungen, Karriereförderung und weitere Unterstützung. Die Gemeinschaft besteht aus rund 60 Künstler*innen, die häufig mit Ockermalerei, Schnitzerei und Siebdruck arbeiten.

YOYI (2020) ist ein kollektives Porträt und ein Archiv kultureller Praktiken für künftige Generationen. Der in Eigenregie von den Künstler*innen gedrehte Film feiert die darstellerischen Grundlagen des künstlerischen Schaffens der Tiwi. Zum gleichbleibenden Rhythmus von Klatschen und Gesang zeigt YOYI einzelne Künstler* innen in zeremoniellen Gewändern und Jilamara, während sie ihre Totemtänze aufführen. Sie beziehen sich dabei auf Country – ihr Land und ihre spirituelle Identität. YOYI ist ein zeitgenössisches Kunstwerk, ein gemeinschaftliches Archiv und eine Feier der Kultur, die durch das Medium Film verbreitet wird.

People’s Archive of Rural India (PARI): The Grindmill Songs Project

„Geht weiter auf dem Weg der Emanzipation
Trotz Armut, gebt die Bildung nicht auf
Setzt der Versklavung ein Ende, bewahrt eure Selbstachtung
Kommt zusammen, eine nach der anderen, stärkt die Gemeinschaft“
— Radhabai Borhade

The Grindmill Songs Project (2020–heute) basiert auf einem seit 1987 bestehenden Archiv mit etwa 100.000 Volksliedern von fast 3.500 Sänger*innen, die Erfahrungen aus dem täglichen Leben im ländlichen Maharashtra, Westindien, behandeln. Das aus Text, Ton und Video bestehende Archiv wird von der Schriftstellerin Namita Waikar und ihrem Team im People’s Archive of Rural India (PARI) [Archiv der Menschen im ländlichen Indien] verwaltet. Die gemeinnützige Organisation setzt sich aus Schriftsteller*innen, Filmemacher*innen und Fotograf*innen zusammen. Die Journalistin und Redakteurin Palagummi Sainath gründete sie, um Indiens ländlicher Bevölkerung von über 800 Millionen Menschen Sichtbarkeit zu verschaffen.

Grindmill ovi sind Gedichte, sie werden traditionell von Frauen gesungen, während sie Mehl an der jāte (Schleifmühle) mahlen. Sie bieten einen Einblick in die Poesie, die Traditionen und den Widerstand der ländlichen Frauen. Die Lieder enthalten Zeilen über Trauer, die Gesundheit der Frauen, matrilineare Beziehungen, tägliche Arbeit, Nahrung, Kastendiskriminierung, den Kreislauf der Jahreszeiten und die Erhaltung der Gemeinschaft. Das Archiv verkörpert gemeinschaftliches Wissen und zeigt zugleich die Beziehung zwischen dem Körper, der Stimme und den täglichen Tätigkeiten auf.

YOYI! Care, Repair, Heal, People’s Archive of Rural India (PARI): The Grindmill Songs Project, Installationsansicht, Gropius Bau (2022)

Foto: Laura Fiorio

Eva Koťátková: Confessions of a Piping System

Eva Koťátková, Confessions of a Piping System, 2019. Installationsansicht, Confessions of the Piping System, Kunsthal Charlottenborg

Eva Koťátková, Confessions of a Piping System, 2019. Installationsansicht, Confessions of the Piping System, Kunsthal Charlottenborg

Courtesy: Eva Koťátková, Meyer Riegger Berlin/Karlsruhe, Foto: David Stjernholm

Eva Koťátkovás Skulpturen, Texte und Aufführungen untersuchen, wie Individuen und Gruppen durch Staaten und Institutionen zum Schweigen gebracht, diskriminiert oder kontrolliert werden. Als Gründerin der Plattform Institute of Anxiety interessiert sich Koťátková für das Konzept von Gesundheit und Krankheit im Verhältnis zu sozialen, politischen und ökologischen Kräften.

Confessions of a Piping System (2019) zeigt eine Reihe von Protestslogans und Ausschnitten, die aus einer käfigähnlichen Umgebung herausragen. Sie erinnert an Gefangenschaft oder Machtlosigkeit. Die Slogans thematisieren psychische und physische Probleme im Zusammenhang mit Arbeit und anderen Belastungen des heutigen Lebens. Sie sind Auszüge aus Interviews, die die Künstlerin im Rahmen ihrer Recherche durchgeführt hat. Während der Ausstellung werden diese Slogans von Darsteller*innen vorgetragen, die die Stimmen von betroffenen Gruppen verstärken. Im Käfig liegend, drückt ihre Körperhaltung Hilflosigkeit und Unbehagen aus, die oft unausgesprochenen Bürden, die alltägliche Strukturen mit sich bringen. Sie beeinflussen die Gefühle, Erlebnisse und Beziehungen, die wir in und zu dieser Welt haben.

Das Werk wird regelmäßig donnerstags, 17:00–19:00, von Darsteller*innen aktiviert.

Kader Attia: Untitled

„Die Verleugnung, die durch die moderne Gewissheit der Auslöschung der Wunde verursacht wird, ist nicht unschuldig. Sie hat einen Zweck, der in der Auslöschung des kolonialen Verbrechens metaphorisch präsent ist.“
— Kader Attia

Die künstlerische Praxis von Kader Attia ist eine umfangreiche Untersuchung des Konzepts der Reparatur, insbesondere derer, die durch koloniale und imperialistische Gewalt erforderlich wurden. Er ergründet, wie Reparatur mit der Erinnerung verbunden ist, indem er Akte der Wiedergutmachung, körperliche und psychologische Traumata sowie die Immaterialität von Wunden, die in konkreten und abstrakten Objekten verkörpert sind, untersucht. Diese neu in Auftrag gegebene Installation basiert auf mehreren Interviews mit Psychoanalytiker* innen. Die Installation untersucht das Erbe des kollektiven Traumas, das über drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland weiterhin andauert. Es ist auch eine Studie über den Kolonialismus, der unter den Nachkommen der kolonisierten Algerier*innen, von denen Kader Attia abstammt, fortbesteht. Die Hegemonie des westlichen kapitalistischen Narratives hat bei Ostdeutschen das Gefühl hervorgerufen, im eigenen Land kolonialisiert zu werden. Diese historische Wunde bleibt ein unentrinnbares Trauma. In der Kombination von Video und Objekten, die verschiedene Ansätze der Reparatur verkörpern, erforscht Attia die Suche nach einer unmöglichen Reparatur – sowohl physisch als auch mental.

YOYI! Care, Repair, Heal, Kader Attia: Untitled, Installationsansicht, Gropius Bau (2022)

Foto: Laura Fiorio

Yhonnie Scarce: Missile Park

YOYI! Care, Repair, Heal, Yhonnie Scarce: Missile Park, Installationsansicht, Gropius Bau (2022)

Foto: Laura Fiorio

„Die Materialien in Missile Park, verzinktes Wellblech, Bitumenfarbe und Schellack, verweisen auf die Atomtests und die Vertuschung des Todes von Indigenen Menschen Australiens.“
— Yhonnie Scarce

Missile Park (2021) ist nach einer touristischen Stätte in Woomera, Südaustralien, benannt, die die Geschichte der Atomraketentests in der Region darstellt. Die Installation umfasst drei Schuppen. Sie sind verkleinerte Nachbildungen der temporären Unterkünfte, die das britische Militär zur Unterstützung eines umfangreichen Atomprogramms in den 1950er und 1960er Jahren errichtete. Das Programm zwang die Familienangehörigen von Yhonnie Scarce, die den Kokatha angehören, ihr Land zu verlassen. Diese Vertreibung führte nicht nur zu unmittelbaren Unruhen, sondern auch zu anhaltenden Traumata. Gesundheitsprobleme wurden aufgrund der Strahlenvergiftung über Generationen hinweg weitergegeben – das Ergebnis der andauernden Kolonialisierung und der Missachtung der Verbundenheit der Menschen mit ihrem angestammten Heimatland.

In die Schuppen wurden mithilfe von Nägeln Öffnungen geschlagen. Durch sie fällt Licht auf 20 runde Kugeln mit stielartigen Ausstülpungen. Diese Glasobjekte erinnern an Buschpflaumen – ein einheimisches Nahrungsmittel, das auf dem Land der Kokatha wächst – aber auch an Bomben oder Dynamit. Sie ähneln außerdem menschlichen Föten, was sowohl auf den Schrecken der Atomtests als auch auf deren anhaltende Folgen hinweist.

Andrea Büttner: Grid | Untitled (Painted Ceiling) | Former plant beds from the plantation and “herb gardens,” used by the Nazis for biodynamic agricultural research, at the Dachau Concentration Camp | Karmel Dachau

Andrea Büttner setzt sich in ihrer künstlerischen Praxis mit Vorstellungen von Fürsorge im Zusammenhang mit Umweltschutz und ökologischer Lebensweise auseinander. Die hier gezeigten Arbeiten greifen Verbindungen dieser Themen zu nationalsozialistischen Ideologien auf. Büttner macht darauf aufmerksam, dass ökologische Fürsorge mit Brutalität und menschlichem Leid bezahlt wurde, wovon keine Heilung möglich ist.

Die drei Fotografien zeigen überwucherte Pflanzenbeete und Kräutergärten, die von Nationalsozialist*innen im Konzentrationslager Dachau angelegt wurden. Sie dienten als Forschungsstätte für die biologisch-dynamische Landwirtschaft, wo Zwangsarbeitskräfte für die Pflege der Plantagen und die Durchführung von Experimenten eingesetzt wurden. Die gitterartige Form der Pflanzenbeete findet sich in Büttners Wandgemälde ebenso wieder wie in Untitled (Painted Ceiling) (2020). Büttner hinterfragt zeitgenössische Diskurse – von der Kunst bis zum Gärtnern. Diese Diskurse scheinen emanzipatorisch, sind es aber oft nicht. Im Rahmen ihrer Teilnahme an der Ausstellung veranstaltete sie im Juli 2022 im Gropius Bau einen Workshop mit dem Titel Against Healing. Sie lud Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Kurator*innen ein, die Verbindungen zwischen rechten Bewegungen und dem Umweltschutz zu diskutieren. Besprochen wurden auch Forschungen aus der Zeit des Nationalsozialismus – die als die „braunen [d.h. faschistischen] Wurzeln der grünen Bewegung“ bezeichnet werden.

YOYI! Care, Repair, Heal, Andrea Büttner: Grid | Untitled (Painted Ceiling) | Former plant beds from the plantation and “herb gardens,” used by the Nazis for biodynamic agricultural research, at the Dachau Concentration Camp | Karmel Dachau, Installationsansicht, Gropius Bau (2022)

Foto: Laura Fiorio, © Andrea Büttner / VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Pierre Adler: BordElle, André Eugene: Drums, Reginald Sénatus (Redji): Mur et Portes de Vertières

YOYI! Care, Repair, Heal, André Eugène: Kowona Kwonik | Drums, Installationsansicht, Gropius Bau (2022)

Foto: Laura Fiorio

„Was passiert, wenn der Müll der postkolonialen Ökonomie auf einem an Kreativität reichen Stück Land endet? Ein Friedhof aus Fässern, Autowracks und Elektronikteilen, aus dem die Kreativen ihr Material schöpfen und eine postapokalyptische Vision der Welt anbieten.“
— Giscard Bouchotte

Pierre Adler, André Eugene und Reginald Sénatus (Redji) sind drei unabhängige Künstler, die in einer Community von Kunstschaffenden in Port-au-Prince, Haiti, leben. André Eugene eröffnete im Jahr 2000 sein Studio als Musee d’art (Kunstmuseum) in der Gegend der Grand Rue, einem sozial benachteiligten Viertel voller Straßenhändler*innen und Autowerkstätten. Eine Gruppe ehemaliger Holzarbeiter*innen, Schnitzer*innen und Künstler*innen begann eine lockere Zusammenarbeit, aus der die dynamische Community Atis Rezistans (Widerstandskünstler*innen) entstand.

Die Künstler*innen verbindet der gemeinsame Einsatz für die Gesellschaft und Politik. Sie untersuchen das Erbe der haitianischen Revolution, Voodoo-Praktiken und die Sprache Kreol. Ihre Werke sind aus den Praktiken des Recyclings und der Reparatur hervorgegangen. Sie zeichnen sich durch ihre Verbindung von Material, Stil, Glauben sowie durch den Einsatz von Humor aus. In einigen Werken werden alltägliche Materialien wiederverwendet und aufgewertet – darunter Fahrzeugrahmen von Autos und LKWs, Metallabfälle, Nägel, alte Schuhe und auch Schädel. Sie schöpfen aus dem Industriegebiet der Grand Rue und experimentieren mit einfallsreichen Neukombinationen. Die Werke in diesem Raum zeigen vorläufige Assemblagetechniken und vermitteln die Energie der Neuerfindung, die die Community der Atis Rezistans antreibt.

Tabita Rezaire & Amakaba: Farmers’ Wisdom | Singing Bee Garden | Cacao d’Amazonie | Jardin Bois de Rose | Terre Rouge

„Lasst uns den Boden nähren, damit unsere Nachkommen seine Fruchtbarkeit feiern können.“ #SaveSoil
— Tabita Rezaire

Wie können wir das durch Kunst gewonnene Wissen auf andere Tätigkeitsbereiche übertragen? Im Jahr 2020 wurde die Künstlerin und spirituell Suchende Tabita Rezaire Landwirtin und gründete Amakaba – ein Zentrum für die Weisheit des Amazonas in Französisch-Guayana.

Farmers’ Wisdom (2022) erforscht wie Land, Gesellschaften und Menschen sich von den Hinterlassenschaften des Kolonialismus heilen können. Die Künstlerin schöpft aus afro-diasporischen und Indigenen Wissenssystemen und Praktiken der Fürsorge, des Wachstums und der Veränderung. Hier lädt eine aus Lehmziegeln errichtete Hütte die Besucher*innen ein, im Schoß der Erde zu ruhen. Die Hütte wurde in Zusammenarbeit mit dem Natural Building Lab, Teil des Instituts für Architektur der Technischen Universität Berlin, und Studierenden der Universität gebaut.

Im Inneren werden vier Videos gezeigt, in denen Rezaire Landwirt*innen interviewt, um sich von ihnen beraten zu lassen, während sie ihren eigenen Weg in der Landwirtschaft beginnt. Singing Bee Garden (2021) dokumentiert die Beziehung zwischen Imker*innen und ihren Bienen, die sich gegenseitig ernähren. Cacao d’Amazonie (2021) verfolgt die Verbundenheit – oder kinship – der Landwirt*innen mit dem Wald und untersucht, wie sich dies in deren Arbeit niederschlägt. Die Videos gehen der Frage nach, wie lokales, wissenschaftliches und spirituelles Wissen über Generationen hinweg weitergegeben wird.

Tabita Rezaire, Farmers’ Wisdom, 2022

Tabita Rezaire, Farmers’ Wisdom, 2022. Installationsansicht, YOYI! Care, Repair, Heal, 2022/23

© Gropius Bau, Foto: Laura Fiorio

Brook Andrew: GABAN | Anatomy of a Body Record: Beyond Tasmania

Das Foto zeigt den Ausstellungsraum, in dem eine Glasvitrine gefüllt mit unterschiedlichen Objekten steht, von dem ein großer Grammophon-Trichter wegführt.

YOYI! Care, Repair, Heal, Brook Andrew: GABAN | Anatomy of a Body Record: Beyond Tasmania, Installationsansicht, Gropius Bau (2022)

Foto: Laura Fiorio

„Die Entwicklung von GABAN in Zusammenarbeit mit Berliner Kreativschaffenden ermächtigt einen Raum, der dem komplexen und traumatisierenden museologischen ethnografischen Blick entgegentritt. Es ist dringend notwendig, dass wir mit radikaler Selbstliebe Kontrolle darüber ausüben, wie wir uns powerful objects (machtvolle Objekte) neu vorstellen, die in diesem System gefangen sind.“
— Brook Andrew

Brook Andrew ist ein australischer Künstler, Kurator und Autor in matrilinearer kinship zu der Indigenen Wiradjuri Nation. Seine Arbeit ist darauf ausgerichtet, Indigene Lebensweisen durch die Vorstellung anderer Zukunftsvisionen wieder in den Vordergrund zu rücken. GABAN (2022) ist ein posttraumatisches Stück, das in einem anthropologischen Museum spielt und eine Reihe miteinander verbundener Geschichten erzählt. Das Stück entfaltet sich ausgehend von einem Indigenen Verständnis von Zeit. Sein Titel bedeutet auf Wiradjuri „fremd“. GABAN will einen Raum für murungidyal (Heilung) und eine Welt jenseits des kolonialen Traumas schaffen.

Das Stück folgt einer Reihe von powerful objects, die sich auf museale Sammlungsobjekte beziehen – mit traumatischen und ermächtigenden Geschichten. So basiert die Figur MASSAKER auf einem Brief, den ein weißer Mann namens James Dixon im Jahr 1854 geschrieben hat. Darin berichtet er von dem Massaker an Indigenen Menschen im westlichen Gebiet des australischen Bundesstaats Victoria. GABAN wurde in verschiedenen Berliner Institutionen gedreht. Die Videoinstallation wird im September 2022 durch Live-Performances ergänzt. Das Werk möchte neue Wege sich überschneidender Geschichten aufzeigen, die vorherrschende Erzählungen in Frage stellen.

Paschal Daantos Berry: Dramaturgie
Gary Stewart: Schnitt
Mouna Assali: Videografie
Brook Andrew: Videografie
Cammack Lindsey: Sound
Layana Flachs: Make-Up und Kostüm
Cherie Schweitzer: Produktionsleitung
Magnus Elias Rosengarten: Bühnenleitung
Dr. Jessica Neath and Cheralyn Lim: Recherche (Brook Andrew Studio, Melbourne)

Cast
Aaron Reeder: GEDÄCHTNIS
Budi Miller: BAUM
Dena Abay: BEWEIS
Kameron Locke: FOTO
Savanna Morgan: RICHTER
Joni Barnard: MASSAKER
Oumou Aidara: SCHULD
Astan Meyer: GUIDE
Mohamed Boujarra: ÖFFENTLICHKEIT
Céline Rodrigues Monteiro: ÖFFENTLICHKEIT
Jota Ramos: ÖFFENTLICHKEIT
Black Pearl: ÖFFENTLICHKEIT
Marque-Lin: ÖFFENTLICHKEIT
Mmakgosi Kgabi: ZEUG*IN
Kevin Bonono: MUSEUM

Johanna Hedva: The Clock Is Always Wrong

„Aber – Fürsorge, Reparatur und Heilung gibt es nicht.“
— Johanna Hedva

Was tun mit der Aussage „Zeit heilt alle Wunden“, wenn sowohl Zeit als auch Heilung nicht existieren? Wie erkennt der Körper – von Menschen, Tieren, Nichtmenschen, der Erde und dem Übernatürlichen – Zeit?

The Clock Is Always Wrong (2022) kommuniziert mit einer Auswahl historischer Objekte und Manuskripte aus der Wellcome Collection, die mit Hexerei, Geburt, Sexualität, Astrologie und Pflanzenkunde in Verbindung stehen. Unter Ablehnung der quantitativen Akkumulation der kapitalistischen Zeit werden Johanna Hedvas Arbeiten als kontinuierlich mit und nicht getrennt von den historischen Artefakten inszeniert. Alle Objekte in diesem Raum sind eine Art Uhr, die verschiedene Zeitmaßstäbe einhalten – historisch, kulturell, persönlich, metaphysisch. Es ist eine zyklische Zeit, verwunschen, schicksalhaft.

YOYI! Care, Repair, Heal, Johanna Hedva: The Clock Is Always Wrong, Installationsansicht, Gropius Bau (2022)

Foto: Laura Fiorio

Lygia Clark: Camisa de força (Straightjacket) | Rede de elásticos (Elastic Net) | Estruturação do Self (Structuring of the Self)

YOYI! Care, Repair, Heal, Paula Rego: Misericordia, Lygia Clark: Rede de elásticos (Elastic Net) | Estruturaçao do Self (Structuring of the Self), Installationsansicht, Gropius Bau (2022) Foto: Laura Fiorio

In den 1960er und 1970er Jahren interessierte sich die Künstlerin Lygia Clark zunehmend dafür, wie Kunst als eine Form der Heilung und Psychotherapie eingesetzt werden kann. Mit Relational Objects aus den 1960er Jahren versuchte sie in individuellen therapeutischen Sitzungen Teilnehmende, die sie als ihre „Klient*innen“ bezeichnete, zu behandeln. Clark verwendete Alltagsgegenstände wie Plastiktüten, Muscheln oder Steine in Netzen direkt am Körper der Klient*innen. Ihr Objekt Camisa de forca (Straightjacket) (1969) wird von einer Reihe von Fotografien begleitet, die eine Aktivierung des Werks zeigen. Die Frau auf den Bildern versucht, die mit Steinen beschwerte Jacke an beiden Enden auseinander zu drücken, als ob sie gefangen wäre. Für Rede de elasticos (Elastic Net) (1974) wandte sich Clark partizipativen Gruppenformen zu und lud die Teilnehmenden ein, sich mit Strukturen aus Gummibändern zu beschäftigen. Sie konnten sich körperlich verbinden und sich so als ein einziger, kollektiver Körper fühlen.

Paula Rego: Untitled 1–8, Abortion Series | Untitled 2000/2020, Abortion Series | Untitled 2000/2020, Abortion Series | Misericordia I (Pedro Galdos), Misericordia V, Misericordia IV

Zwischen 1998 und 2000 schuf die Malerin Paula Rego eine Reihe von Gemälden und Radierungen, die jeweils eine Frau vor, während oder nach einer Abtreibung zeigen. Der Anlass für die Serie war ein Volksentscheid, der sich gegen ein neues Gesetz zur Abtreibung in Portugal richtete. Das Gesetz sollte Abtreibung entkriminalisieren. Die Werke entstanden in Reaktion darauf und aus einem Gefühl der Empörung, denn Rego wusste, dass diese politische Entscheidung insbesondere die ärmsten Schichten der portugiesischen Bevölkerung treffen würde.

Einige der Bilder zeigen Schulmädchen, einige junge Frauen. Sie stehen der betrachtenden Person gegenüber und starren entschlossen zurück. In den Bildern geht es um die Frauen, nicht das medizinische Verfahren: Rego wollte nicht, dass groteske Darstellungen Menschen davon abbringen, sich der Wahrheit zu stellen. Deshalb hat sie bewusst auf Blut oder drastische Inhalte verzichtet. Dennoch zeigen die Werke in ihrer Unmittelbarkeit weibliches Empowerment angesichts der immer noch anhaltenden Angriffe auf körperliche Selbstbestimmung und die Politisierung dieser. Im Jahr 2007, neun Jahre nach der Entstehung der Werke, wurde Abtreibung in Portugal legalisiert. Diese Werke zeigen, wie Kunst dazu beitragen kann, ein soziales und politisches Ziel zu erreichen.

Die Serie Misericordia (2001), was auf Portugiesisch „Barmherzigkeit“ bedeutet, basiert lose auf dem gleichnamigen Roman von Benito Pérez Galdós aus dem Jahr 1897. Sie entstand während Regos Mutter in einem Pflegeheim war. Die Künstlerin zeigt generationsübergreifende Handlungen der Fürsorge, wie das Ankleiden und Verpflegen – alltägliche Beispiele für Verwandtschaftsbeziehungen und Leid. Das Nebeneinander mehrerer Szenen in einem Bild scheint die Handlungsstränge umzulenken, es erinnert an Zyklen. Die Umsorgte wird zur Sorgetragenden, bevor sie selbst wieder der Fürsorge bedarf.

Paula Rego, Untitled 2, 1999. Radierung, 19,6 x 29,7 cm, Papier: 38 x 48 cm

© Paula Rego, Courtesy: Paula Rego und Cristea Roberts Gallery, London

Outi Pieski: Rematriation of a Ládjogahpir – Return to Máttaráhkká

Im Ausstellungsraum stehen mehrere Vitrinen, in denen sich traditionelle Kopfbedeckungen der Sámi befinden. An den Wänden befinden sich großformatige Abbildungen dieser Kopfbedeckungen.

YOYI! Care, Repair, Heal, Outi Pieski: Rematriation of a Ládjogahpir – Return to Máttaráhkká, Installationsansicht, Gropius Bau (2022)

Foto: Laura Fiorio

„Die Ládjogahpir kann heute als Symbol eines neuen dekolonialen Feminismus betrachtet werden. Sie gibt eine Botschaft unserer Vormütter weiter, die an unserer Seite leben. Es hat etwas vollkommen Einzigartiges und Kraftvolles, wenn Sámi Frauen heute diesen Hut tragen.“
— Outi Pieski und Eeva-Kristiina Nylander

Die Installation von Outi Pieski ist Teil des Archivprojekts The Ladjogahpir – The Foremothers Hat of Pride (2017–2021), welches die Künstlerin mit der Wissenschaftlerin Eeva-Kristiina Nylander bearbeitet. Es widmet sich einer traditionellen Kopfbedeckung der Sámi Frauen, der Ladjogahpir. Mit dem Ziel, die Sámi Kultur zu bewahren und wiederzubeleben, konzentriert sich das Projekt auf die Geschichte dieses Huts, der ursprünglich von den Indigenen Bewohnerinnen des heutigen Nordnorwegens und Finnlands getragen wurde. Der ursprünglich als Sinnbild für Fruchtbarkeit geltende Hut wurde im 19. Jahrhundert von den laestadischen Priestern verboten, da sie die hervorstehenden Elemente und die rituellen Funktionen der Kopfbedeckung als dämonisch ansahen. Eine große Anzahl von Hüten wurde daraufhin zerstört. Infolge dieser kolonialen Auslöschung gibt es heute nur noch sehr wenige traditionelle Ladjogahpir in den Sámi Gebieten. Pieski und Nylander begannen, Sámi Frauen einzuladen, die Hüte in Workshops nachzubilden. Auf diesem Wege arbeiten sie daran, diesen wichtigen Teil der Sámi Kultur zu reparieren und wiederzubeleben. Mit ihrem Projekt erstellen sie auch eine Bestandsaufnahme der Ladjogahpirs, wie sie in Sammlungen und Archiven vorhanden sind. Es schlägt so eine Brücke zwischen Handwerk, archäologischer Forschung und sozialem Aktivismus. Die hier gezeigten seltenen Artefakte sind Leihgaben des Museums Europäischer Kulturen in Berlin.

Lavkant Chaudhary: Maasinya Dastoor Series III

„Wie haben wir uns gegen Ungerechtigkeit gewehrt? Wie halten wir unsere Ansprüche auf unsere traditionellen Gebiete und Territorien aufrecht, die uns im Namen der Entwicklung und des Naturschutzes gestohlen wurden? Welche Position wird die Indigenität der Tharu in einer sich ständig verändernden Welt einnehmen?“
— Lavkant Chaudhary

Lavkant Chaudhary ist ein Künstler der Tharu Community. Die Indigene Gruppe lebt im Terai, einer alten Siedlung im Süden Nepals, an der Grenze zu Nordindien. In seiner Arbeit untersucht er die Zusammenhänge zwischen historischer Unterdrückung, ökologischer Fragilität und der Zerstörung Indigener Lebensgrundlagen.

Die Arbeit Maasinya Dastoor (2015–heute) ist mit Tusche und Feder auf Lokta-Papier gezeichnet. Lokta ist ein haltbares, handgeschöpftes Handwerkspapier. Die Schriftrollen bilden ein Archiv, das die inoffizielle Geschichte von Chaudharys Community erzählt. Das Wort maasinya bedeutet „versklavbar“ und bezieht sich auf einen Beschluss (dastoor) aus dem Jahr 1854, in dem die Indigene Bevölkerung abwertend als „versklavbare Alkohol trinkende Gruppe“ bezeichnet wurde. Der Künstler legt Bilder aus dem Leben der Tharu über Drucke von kolonialen Beschlüssen aus der nepalesischen Geschichte. Dies zeigt, wie seine Community unterdrückt wurde. Die Herrschenden töteten die von den Tharu als heilig verehrten Tiere – was durch die Skulpturen versinnbildlicht wird. Die Beschlüsse wurden erlassen, um Kontrolle über Indigene Bevölkerungsgruppen auszuüben. Tharu wurden unter anderem übermäßig besteuert, es wurden Nationalparks auf ihrem Land gegründet und sie wurden gezwungen, Elefanten zu jagen und zu zähmen.

YOYI! Care, Repair, Heal, Lavkant Chaudhary: Maasinya Dastoor Series III, Installationsansicht, Gropius Bau (2022). In Auftrag gegeben von Colomboscope, Experimenter und Artree Nepal

Foto: Laura Fiorio

Betty Muffler & Maringka Burton: Ngangkari Ngura (Healing Country)

Betty Muffler und Maringka Burton, Ngangkari Ngura - Healing Country, 2022

© Die Künstler*innen, Courtesy: Betty Muffler, Maringka Burton und Iwantja Arts, Foto: Andrew Curtis

„Uwa ngangkari kutjara ngali tjunguringkula palyanu. Wangka! ‚Pula ngangkari kutjarangku palyanu!‘ Ngalimpa waakanguru-li ngali tjunguringkula palyanu ngalimpa walka.“

„Ja, wir zwei Ngangkari haben diese zusammen gemalt. Sagt ‚diese beiden Ngangkari haben das gemacht!‘ Unsere Bilder sind aus unserer geteilten Erfahrung durch unsere Zusammenarbeit als Ngangkari entstanden.“
— Maringka Burton

Ngangkari Ngura (Healing Country) (2021) ist ein gemeinsames Gemälde von zwei respektierten Pitjantjatjara Künstlerinnen. Betty Muffler und Maringka Burton arbeiten bei Iwantja Arts in der kleinen Anangu Community in Indulkana, Anangu Pitjantjatjara Yankunytjatjara (APY Gebiet) in Südaustralien und sind Ngangkari, traditionelle Heilerinnen. Ngangkari sind hoch angesehen und kümmern sich seit Tausenden von Jahren um die körperliche und emotionale Gesundheit der Menschen.

Ngangkari Ngura (Healing Country) zeigt die Landschaft und die Wasserwege des Country als einen Ort der Heilung. Country – oder Ngura – ist ein Begriff, der sich nicht nur auf einen bestimmten Ort bezieht, sondern auch Ideen von angestammter Heimat, Spiritualität, Sprache, Identität und Verwandtschaftsbeziehungen umfasst. Der Kolonialismus, einschließlich der Geschichte britischer Atomwaffentests, hat diese Gebiete beschädigt. Muffler und Burton malen Tjukurpa – die Schöpfungsgeschichten und zeremoniellen Motive, die der Reparatur von Country gewidmet sind. Muffler malt den Emu Tjukurpa, einen Vogel, und die Bewegung des Wassers. Sie stellt außerdem den Geist des Adlers dar, der zu ihrem Vater gehört. Wie das Wasser hilft auch der Adler dabei, die Geister wieder gesund werden zu lassen. Burton malt Anamara Piti, die Schöpfungsgeschichte aus ihrem Geburtsort. Diese handelt von der Raupe, die dem Land und seinen Menschen Leben einhaucht.

Grace Ndiritu: The Twin Tapestries: Repair (1915) & Restitution (1973)

„Museen sterben aus. Mein Projekt Healing The Museum ist ein Versuch, sich wieder gegenseitig zu verstehen und die Welt dabei zu einem sichereren und großzügigeren Ort zu machen.“
— Grace Ndiritu

Grace Ndiritu konzentriert sich in ihrer neuen Auftragsarbeit auf Restitution und Reparatur, welche sie als „zwei Seiten derselben Medaille“ versteht. Sie untersucht verborgene westliche Museumspraktiken des 20. Jahrhunderts und deren heutiges Erbe.

Die Tapisserien basieren auf zwei Fotografien, von denen eine 1915 in der Wellcome Collection in London und die andere 1973 im Ethnologischen Museum in Berlin aufgenommen wurde. Beide Bilder zeigen Museumsmitarbeitende, die triumphierend mit Objekten posieren. Die Fotografien sind durchdrungen von einer gewaltvollen Vergangenheit, auf der viele Sammlungen aufgebaut sind. Die Personen auf der Fotografie von 1915 sind verstorben und das Bild ist öffentlich verfügbar. Die 1973 fotografierten Personen wurden digital verfremdet, um die Aufmerksamkeit bewusst von den noch lebenden Personen abzuwenden. Stattdessen verweist Ndiritu auf eine umfassendere Debatte über die Geschichte des europäischen Ausstellungswesens und die Institutionsformen, in denen Künstler*innen und Kurator*innen heute arbeiten müssen.

Die Technik der Tapisserie basiert auf miteinander verwobenen Fäden, die in der Regel ein Muster oder Motiv ergeben. Ndiritu verbindet im wahrsten Sinne des Wortes Konzepte der Vergangenheit mit den Anliegen der Gegenwart und legt so den Grundstein für die nächste Generation von Institutionen. Sie hinterfragt dabei die Zugänglichkeit von Archiven, die Ethik der Repräsentation und ob Sammlungen, die von Grund auf kolonial sind, jemals geheilt werden können.

YOYI! Care, Repair, Heal, Grace Ndiritu: The Twin Tapestries: Repair (1915) & Restitution (1973), Installation view, Gropius Bau (2022)

Foto: Laura Fiorio

Anne Duk Hee Jordan: Worlds Away | Clam Extravaganza

Eine Installationsansicht, auf welcher Menschen zu sehen sind, die in einer Art dunkelblauem Zelt sitzen. An der Decke hängt ein fluoreszierendes Meereswesen. Zudem ist der Stoff des Zeltes mit bunten, fluoreszierenden Meerestieren bedruckt.

YOYI! Care, Repair, Heal, Anne Duk Hee Jordan: Worlds Away, Clam Extravaganza, Installationsansicht, Gropius Bau (2022)

Foto: Laura Fiorio

„Unter Wasser ist die Welt und Wahrnehmung anders, wir spüren den Druck auf die Organe und sind zugleich schwerelos – es ist so, als würden wir zum ersten Mal wirklich mehrdimensional wahrnehmen.“
— Anne Duk Hee Jordan

Anne Duk Hee Jordans Arbeit erforscht posthumane Perspektiven auf Ökologie, Technologie und Beziehungen zwischen den Arten. Neuerdings erforscht Jordan die Tiefsee als einen Ort jenseits der menschlichen Vorstellungskraft. Obwohl sie durch das Austreten von Chemikalien, Plastikmüll und Materialverschiebungen untrennbar mit menschlichen Aktivitäten verbunden ist, bleibt sie ein Ort, den der Mensch nicht vollständig sehen oder begreifen kann.

Worlds Away (2022) simuliert eine Tiefseeumgebung, in der jenseitige Kreaturen mit Photolumineszenz leuchten. Die raumfüllende Installation wirkt immersiv und löst ein Schwindelgefühl aus, das an das Schweben im Wasser erinnert. Als Inspiration diente das Phytoplankton – eine sich selbst ernährende mikroskopisch kleine Meeresalge, die in Salz- und Süßwasser-Ökosystemen vorkommt. Jordan untersucht, wie neue Formen der Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Arten weit jenseits der zerstörerischen Aspekte menschlicher Aktivitäten entstehen können.

Kader Attia: On Silence

„Durch Schweigen entsteht Abwesenheit. Es ist die wichtigste Strategie aller Formen von Dominanz, die seit dem Aufkommen der modernen Vernunft von einem Volk zum anderen angewandt werden. Denn die Abwesenheit eines Berichts über ein Verbrechen bedeutet, dass es nicht stattgefunden hat.“
— Kader Attia

Kader Attias On Silence (2021) richtet sich gegen die Zurückhaltung und Verdrängung politischer Gewalt, indem es sichtbar macht, was oft ungesagt übergangen wird. Diese prothetischen Gliedmaßen zeigen ihre individuellen Narben, Nähte und Säume. Abgetrennt von den Körpern, die sie stützten, spiegeln die Prothesen das Gedächtnis der Menschen wider, von denen sie ein Teil waren. Sie sind zu symbolischen, nicht-organischen Überresten geworden. Sie erinnern an die Wunden, die sie einst wieder gutgemacht haben, und an den Schmerz, den sie linderten. Die Installation verkörpert physische und psychische Traumata in einem Verständnis von Reparatur als Prozess des Erinnerns statt des Auslöschens.

YOYI! Care, Repair, Heal, Kader Attia: On Silence, Installationsansicht, Gropius Bau (2022)

Foto: Laura Fiorio

Mohamed Bourouissa: Oiseaux du Paradis

YOYI! Care, Repair, Heal, Mohamed Bourouissa: Oiseaux du Paradis, Installationsansicht, Gropius Bau (2022)

Foto: Laura Fiorio, Courtesy: kamel mannour, Blum & Poe

„Beim Betreten des alten Krankenhausgebäudes wird das Gefühl der Segregation aus der Kolonialzeit deutlich, das sich auch in der Architektur widerspiegelt.“
— Mohamed Bourouissa

In dieser Videoinstallation untersucht Mohamed Bourouissa den Garten einer psychiatrischen Klinik in Blida, Algerien. Von Patient*innen gepflegt, ist dies ein Ort der Zusammenarbeit und der Gemeinschaft. Hier werden Traumata zerstreut, keimen auf und werden geheilt. Der Psychiater und Schriftsteller Frantz Fanon arbeitete von 1953 bis 1956 in diesem Krankenhaus. Er wurde Zeuge der strukturellen Probleme, die dort herrschten. Fanon glaubte nicht daran, Patient*innen, die unter kolonialer Entfremdung leiden, mit Methoden zu behandeln, die von denselben Kolonialist*innen eingeführt wurden.

In Gesprächen mit Bourouissa beschreibt der Patient Bourlem Mohamed seine Traumata, die Folter durch französische Offiziere und die Geister, die ihm zuflüstern. Als er in den 1960er Jahren in das Krankenhaus eingewiesen wurde, profitierte er von Fanons Reformen. Bourlem Mohamed wandte sich der Gärtnerei als einer Form der Beschäftigungstherapie zu, die Pflanzenkunde, Widerstandsfähigkeit und Heilung miteinander verbindet. In dieser Installation stellt Bourouissa präzise visuelle Bezüge her, die das Video reflektieren. Der gelbe Teppich steht für das Blühen der Akazien im algerischen Winter, die im Zuge der kolonialen Expeditionen aus Australien eingeführt wurden. Die Strelitzia – auch als Paradiesvogelblume bekannt – stammt ursprünglich aus Südafrika und verkörpert ein weiteres Muster von Vertreibung und Widerstandsfähigkeit.

Artemisia Gentileschi: Susanna und die beiden Alten

Die Barockmalerin Artemisia Gentileschi stellt in ihrem Gemälde Susanna und die beiden Alten (um 1610) eine biblische Geschichte aus dem Buch Daniel dar. Susanna war eine verheiratete Frau, die von zwei älteren Männern beim Baden in ihrem Garten angegriffen wurde. Die Männer versuchten, sie zu sexuellen Handlungen zu zwingen. Dabei drohten sie ihr, sie zu verleumden, wenn sie nicht einwilligte. Nachdem sie sich weigerte, wurde sie von den Männern angezeigt. Susanna musste vor Gericht erscheinen und wurde zum Tode verurteilt. Schließlich bat der Prophet Daniel das Gericht, den Fall zu überdenken, und die Männer wurden später für schuldig befunden und hingerichtet.

Die Thematik spiegelt eine eigene Erfahrung der Künstlerin wider. Ein Freund der Familie, der ihr Kunstunterricht gab, vergewaltigte sie, als sie 17 war. Ihr Vater bestand darauf, den Missbrauch zu melden, um den Ruf der Familie wiederherzustellen. Während des Prozesses wurde Gentileschi gefoltert, was ihr Trauma noch verstärkte. Ihr Leben und ihr Werk zeigen, welche Verfehlungen im Namen der Fürsorglichkeit ausgeübt wurden, sowohl von Einzelpersonen als auch von Institutionen. Es ist ein historischer Meilenstein, dass eine Frau die Bedingungen ihrer komplexen Erfahrungen und ihres Körpers aus ihrer eigenen Perspektive darstellt.

Georgia Sagri: Inhale and Exhale with the mouth turned arms, Treatment 28 September, 2020 | Breathing (7_1_7) | Treatment, May 18th, 2020 Συνεδρία | Windface

 

„Schmerz muss anerkannt werden, um befolgt zu werden: nicht als ein vernachlässigter Code, der jahrhundertelang dämonisiert wurde, sondern als eine Glocke und ein Kompass für die einzigartigen Bedingungen unserer gegenwärtigen inneren Zustände, Verhaltensweisen und Angelegenheiten. Wenn wir auf den Schmerz hören, besteht die Aussicht auf Veränderung.“
— Georgia Sagri

Die Erkundung von Performance steht im Mittelpunkt von Georgia Sagris Arbeit. Die Künstlerin hat eine Methode der Fürsorge entwickelt, die sie IASI nennt, in Anlehnung an ίαση, das griechische Wort für Erholung und Heilung. Dies entstand aus dem Bedürfnis, sich auf herausfordernde Aufführungen vorzubereiten und sich von ihnen zu erholen. Seitdem hat sich IASI auf die Erforschung verschiedener Krankheiten, wie Schlaflosigkeit oder Müdigkeit, verlagert. Sagri bezeichnet diese als „Leistungspathologien“. Bei IASI lädt die Künstlerin die Teilnehmenden zu Einzelsitzungen auf ihre Stage of Recovery ein – eine bettähnliche Bühne der Erholung, deren Gestell mit weichen Kissen gepolstert ist. Auf dieser Bühne führt sie die Teilnehmenden durch Zeit-, Atem-, Stimm- und Bewegungstechniken, die sie entwickelt hat und bei denen die Luft das Hauptelement ist. Sagri hält diese Sitzungen methodisch durch Zeichnungen mit Kohle und farbiger Kreide auf Papier fest, die sie als „affektive Anatomien“ bezeichnet. Punkte, Formen und Linien weisen auf die Zonen der Anspannung, der Entspannung und des allgemeinen Gefühls einer Sitzung auf dem Weg zur Erholung hin.

YOYI, Care, Repair, Heal, Inhale and Exhale with the mouth turned arms, Treatment 28 September, 2020, Breathing (7_1_7), Treatment, May 18th, 2020 Συνεδρία, Windface, Installationsansicht, Gropius Bau, 2022

Foto: Laura Fiorio

SERAFINE1369: Venus is strong in the sky and I have no time for lack of heart nor lack of conviction

Kann Tanz unsere physischen und spirituellen Körper in Einklang bringen, um ein tieferes Bewusstsein zu erreichen? Diese raumgreifende Installation ist die Fortsetzung von SERAFINE1369s Live- Arbeit When we speak I feel myself, Opening (2022). Im Duett mit Fernanda Muñoz-Newsome besteht die Choreografie aus improvisatorischen Bewegungen, die spontan aus ihren Körpern entspringen. In ihnen wechseln sich Wellen von Stille und Bewegung ab. SERAFINE1369 verleiht der Installation durch Licht, Größe und Requisiten sowie durch Live- und aufgezeichneten Ton ein Gefühl von Unmittelbarkeit und schafft so eine immersive Erfahrung.

In den Aufführungen stützt sich SERAFINE1369 auf eigene Erfahrungen mit Craniosacral-Therapie und anderen somatischen Körperarbeitstechniken, die auf der Idee beruhen, dass der Körper die Fähigkeit hat, sich selbst zu heilen. SERAFINE1369 erforscht den Raum des Zuhörens zwischen Klang und Stille, Tun und Nicht- Tun und Vorstellungskraft. Diese körperliche Arbeit oder Aufmerksamkeit erweitert den gegenwärtigen Moment hin zu einem veränderten Zustand, in dem die Zeit nicht linear ist und Erinnerungen und Visionen an die Oberfläche kommen.

Resonanzraum

Der Resonanzraum sammelt lokales Wissen und Erfahrungen zum Thema mentale Gesundheit in Berlin. Seit September 2021 sind eine Reihe von Projekten entstanden, die das Verständnis von und den Umgang mit mentaler Gesundheit in der Stadt befragen: Wie bedingen sich individuelle Gesundheit und Gesellschaft? Wie wirkt sich Geschichte auf unsere Zeit aus? Welche Formen von Fürsorge, Solidarität und Gemeinschaft werden in der Stadtgesellschaft entworfen und ausgeübt? Die Resonanz von unterschiedlichen Stimmen aus der Nachbarschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft wird hier erfahrbar. Als Ort der Begegnung versammelt der Resonanzraum diese Stimmen und bringt sie in Dialog.

Der Resonanzraum wurde von Margareta von Oswald, Mindscapes Curatorial Research Fellow und Diana Mammana, Projektleitung Nachbarschaftsaustausch am Gropius Bau, entwickelt. Mindscapes ist das internationale Kulturprogramm zum Thema mentale Gesundheit von Wellcome. Weitere Projektpartner sind die Berlin University Alliance, Cashmere Radio e.V., Yeşil Çember und die Zentral- und Landesbibliothek Berlin.

Ein Raum mit einer Sitzbank und einem Bücherregal

YOYI! Care, Repair, Heal, Resonanzraum, Installationsansicht, Gropius Bau (2022)

Foto: Laura Fiorio