„So sind wir, Felix, Jorge und ich, im Jahr 1975. Wir porträtieren uns zum ersten Mal als eine Dreiergruppe, als drei Männer. Die fluide Familie aus sieben oder acht Kollaborateur*innen ist Vergangenheit: Mimi geht und der Rest folgt. Jetzt sind wir zu dritt. Wie Drei Blinde Mäuse, wie Tick, Trick und Track, wie Die drei Musketiere. Jetzt sind wir drei.
Hier sind wir also, drei Architekten, drei Männer, die der Zukunft entgegensehen, nein, die eine Zukunft konstruieren, ausgestattet mit dem Dada Sawing Blade von Robert Fones, mit der Hand of the Spirit, das 1984 Spirit of Miss General Idea Vehicle im Hintergrund. Felix hält den silbernen Vorarbeiterhelm aus unserer Performance Going Thru the Motions. Selbstverständlich sind wir nicht bloß Architekten; wir sind Formwandler. Wir nehmen jede mögliche Form an, welche auch immer unsere dreifache queere Männlichkeit braucht: eine Pudelgang, ein Baby-Liebesdreieck, ein Theater aus Ärzten. Drei Köpfe sind besser als einer.
Wir haben dieses Portrait 1975 für die Glamour-Ausgabe unseres FILE Megazines gemacht, in dem wir unsere Intention als Dreiergespann deklarieren: Wir sind eins.“
— AA Bronson, Februar 2023
Im März 1971 reiste AA Bronson von Toronto nach Vancouver und machte unterwegs in ver-schiedenen Museen Halt. Bei sich trug er ein mit Schlangenhaut überzogenes Fotoalbum, das Bilder der frühen Arbeiten von General Idea enthielt. Mit diesem Album spielte Bronson die Rolle eines reisenden Verkäufers, der jedoch keine kommerziellen Waren, sondern eine Ausstellung anbot. Obwohl die Ausstellung nie stattfand, gab das Album General Idea die Mög-lichkeit, ihre eigene Geschichte zu schreiben.
Die frühen Projekte von General Idea waren im Kern experimentell und bedienten sich der Strate gien von konzeptueller Kunst, Performance und Mail Art, die in den 1960ern und -70ern alle frei zirkulierten. In Form von Pamphleten, Gebrauchsanleitungen, Tonaufnahmen und Fotografien führten diese Arbeiten bereits viele der Themen ein, die die Gruppe in den darauffolgenden Jahren wieder aufgreifen würde. General Idea spannte Netzwerke über Grenzen hinweg, betrieb einen Laden aus dem eigenen Wohnhaus heraus und nutzte die eigenen Körper für ihre Performances. So setzte die Gruppe sich neu mit den verfügbaren Formaten auseinander, die sie in der Kunst und in der Gesellschaft vorfand.
Viele der Performances von General Idea in den 1970ern waren von massenmedialen Spektakeln und Tropen aus dem Fernsehen inspiriert, allen voran die des Schönheitswettbewerbs. Diese groß angelegten, kollaborativen Performances samt Juror*innen, Teilnehmer*innen, musikalischen Acts und Preisen wurden vor Live-Publikum aufgezeichnet. Das Publikum bestand aus Persönlichkeiten der lokalen Kunstszene und begriff sich als Teil der Performance.
Die Künstler*innen richteten 1970 und 1971 zwei Wettbewerbe aus und setzten das Datum für den nächsten ferner in der Zukunft an, inspiriert von George Orwells Roman 1984. Mit einer Reihe von fünf „Publikumsproben“ bereiteten sie sich auf den Anlass vor und übten die Reaktionen der Zuschauer*innen für das ultimative Event ein. Sowohl die Schönheitswettbewerbe als auch die Proben parodierten die bestehende Popkultur und bedienten sich stark an Klischees aus dem Fernsehen. Gewissermaßen haben sie das spätere Reality-TV mit seinen sowohl kompetitiven als auch seinen widersinnigen Charakteristika bereits vorweggenommen. Schließlich wollten die Künstler*innen einfach berühmt werden.
Arbeiten aus der Serie Going Thru the Notions wurden zuerst 1975 ausgestellt. Die Ausstellung wurde von Carmen Lamanna, der damals wichtigsten Galeristin von General Idea, organisiert und markiert den Durchbruch der Gruppe. Aus Going Thru the Notions entstand später The 1984 Miss General Idea Pavillion, ein imaginäres Gebäude, in dem 1984 der Schönheitswettbewerb des Kollektivs stattfinden sollte. Die Ausstellung kündigte bereits die ambitionierten Pläne der Künstler an und vermittelte dem Publikum in Toronto ihr Langzeit-Projekt.
In der Rolle von Architekten präsentierte General Idea mehrere Entwürfe für den Pavillion, der unter anderem mit 1.984 Publikumsplätzen, verspiegel ten Fenstern und einem Säulengang versehen werden sollte. Der Pavillon vermischte antike Erhabenheit mit modernistischer,
inter nationaler Architektur und sexueller Ikonografie – etwa mit Bildern eines nackten Mannes an jeder der in Leopardenmuster gehaltenen Säulen, die eine endlose Halle säumen. Der fiktive Pavillon General Ideas sollte schließlich viele weitere Räume erhalten. Im Laufe des folgenden Jahrzehnts konzipierte die Gruppe zahlreiche Arbeiten als Teile des Gebäudes.
In den 1980er Jahren florierten der Konsumismus und eine Kultur des Exzesses. General Idea schien diesen Mix aus Kunst und Kommerz bereits lange zuvor antizipiert zu haben. Diese Stimmung kanalisierten die Künstler, indem sie sich auf Editionen fokussierten: kostengünstige Kunstwerke, die in hoher Auflage existieren. Aus diesem Interesse am Kunstmarkt heraus schlüpften sie in die Rolle von Händlern, die die alltägliche Performance des Kapitalismus auf-führten.
Die verstärkte Auseinandersetzung mit Marken in diesem Jahrzehnt bewegte General Idea dazu, das Copyright-Symbol (das selbst nicht urheberrechtlich geschützt werden kann),
Firmenlogos und parodierte Fernsehreklame in ihre Arbeit aufzunehmen – ganz konform mit der kommerziellen Kultur der 1980er Jahre. Die drei schufen mehrere Versionen von Boutiquen wie die General Idea’s ¥en Boutique (1989) und Boutique Cœurs Volants (1994/2001), die als Geschäfte für ihren fiktiven Pavillon und weitere Projekte dienten.
Als der fiktive Pavillion von General Idea 1977 niederbrannte, blieb nichts davon übrig bis auf ein paar „hastig gerettete Artefakte“. Diese Überbleibsel bestimmten den nächsten Zyklus ihrer künstlerischen Arbeit. Während General Idea in den 1970ern die Rolle von Architekten angenommen hatte, wurden die drei in den 1980ern zu Archäologen. Diese Relikte sehen absichtlich falsch aus – Pastell-Pudel sind zweifelsfrei keine antiken Fragmente. Mit dem Herstellen ihrer Fake-Relikte förderte General Idea die eigene künstlerische Arbeit zutage.
Nach der ersten musealen Einzelausstellung der Gruppe im Stedelijk Museum Amsterdam im Jahr 1979 richtete sich ihre Aufmerksamkeit noch stärker auf die Rolle des Museums in der Kunstwelt. Diese Objekte nehmen ihre eigene Erforschung und Zurschaustellung in den Institutionen vorweg. Halbmonde, Cornucopias oder Füllhörner, Pudel, Cocktailgläser, Schleier, Zikkurate und Totenköpfe erscheinen als Überreste einer komplexen Gesellschaft und verweisen auf verloren gegangene Rituale.
Nach dem Aufkommen von Performance und konzeptueller Kunst in den 1970er Jahren wurde die Malerei von vielen in der Kunstwelt als ein konservatives Medium betrachtet, das sich dem Markt anbiedert: Gemälde ließen sich leicht verkaufen. General Idea beteiligte sich an diesen Debatten und verwendete die Malerei subversiv, indem sie ein traditionelles Format wählte, um provokative Inhalte vorzubringen.
Ihre Mondo Cane Malereien – die orgiastische Pudel in verschiedenen Sexstellungen zeigen – referieren auf die Protractor Gemälde von Frank Stella aus den späten 1960er Jahren. Während Stellas Arbeiten streng geometrisch waren, wandte sich General Idea der figurativen Malerei mit sexuellen Anspielungen zu. Als Wachhunde und schwule Begleiter können die Pudel auch als Avatare der Künstler selbst verstanden werden.
Im Jahr 1986 zog General Idea von Toronto nach New York. Nach ihrem Erfolg in Europa wechselten sie den Ort, um den Kontakt zu internationalen Galerist*innen, Kurator*innen und Sammler*innen aufrechtzuerhalten. Gerade zur Sternstunde ihres künstlerischen Erfolgs befand sich die queere Community in New York in einer schweren Krise. Konfrontiert mit der zerstörerischen AIDS-Epidemie in der Stadt, schufen die drei im Juni 1987 ihr erstes Gemälde, das auf der Arbeit LOVE (1964) des Pop-Künstlers Robert Indiana basiert. Die vier Buchstaben aus Indianas Arbeit ersetzten sie durch das Wort „AIDS“ – ähnlich wie sie im Jahr 1972 das LIFE zum FILE Megazine adaptiert hatten.
Das Projekt IMAGEVIRUS erreichte seine größte Sichtbarkeit und Wirkung jedoch nicht als Malerei in einer Galerie, sondern in Form von Postern und Plakatwänden auf der Straße. „Ins Herzblut der Kommunikation, Werbung und Transportsysteme injiziert“ schrieb AA Bronson später, habe es sich „wie ein Virus im öffentlichen Raum verbreitet.“ Bis heute bleibt es eines der sichtbarsten und umfangreichsten Projekte der Gruppe. Fast alle jener Werke realisierten sie noch vor Felix Partz’ und Jorge Zontals eigenen HIV-Diagnosen: Partz erfuhr im Januar 1990 von seinem positiven Status, Zontal später im selben Jahr.
Mehr als 1.000 Platten aus Polystyrolschaum verwandeln den Lichthof in eine Landschaft aus gebrochenem Eis. Wiederum greifen General Idea auf die Figur des Dreiergespanns zurück – Pudel, Babys, Architekten – und lassen drei unechte Robbenbabys in einer gefrorenen Landschaft treiben: „eine Meerlandschaft in totalem, schneeblinden Weiß. Ein gewaltiges Trugbild aus zerklüfteten Eisschollen ... ein Trio weißer Robbenbabys ... wie tiefgekühlte amphibische Schneepudel.“
Dieses Werk, das zu den komplexesten Installationen der Gruppe gehört, wurde seit seiner ersten Präsentation auf unterschiedliche Weise interpretiert. Zum Zeitpunkt der Entstehung war die internationale Kampagne der Schauspielerin und Aktivistin Brigitte Bardot zur Abschaffung der Robbenjagd noch in der öffentlichen Wahrnehmung präsent. Für Menschen, die mit HIV leben, gab es dagegen wenig Sympathie. Dieses Werk verbindet bewusst diese sehr unterschiedlichen Anliegen und stellt die Frage, welche Leben als schützenswert gelten.
Die Polystyrolplatten werden nach der Ausstellung vollständig recycelt und zu neuen Platten verarbeitet.
Diese für eine Ausstellung in New York im Jahr 1992 konzipierten Kunstwerke greifen die Praxis von zwei verschiedenen Nachkriegskünstlern aus den USA auf: Dan Flavin und Andy Warhol. In den frühen 1990er Jahren stellte General Idea häufig solche kunsthistorischen Bezüge her – Hommage und Parodie gleichermaßen. Magi© Carpet erinnert an die Kunstwerke von Dan Flavin, die vollständig aus Leuchtstoffröhren bestehen. Magi© Bullet bezieht sich auf Andy Warhols Silver Clouds (1966) und besteht aus Hunderten von mit Helium gefüllten Folien-ballons in Form von silberglänzenden Pillen. Im Laufe der Zeit entleeren sich die Ballons und sinken zu Boden, sodass sich ein einzelnes Werk in Hunderte von Multiples verwandelt.
Die auf dem Boden liegenden Ballons können mitgenommen werden.
„Unser Leben war voller Pillen,“ erinnert sich AA Bronson an die frühen 1990er Jahre, „also wurden sie Teil unserer Arbeit.“ Zuerst stellte General Idea ein Set aus drei pillenförmigen Skulpturen her und benannte sie nach den Medikamenten Amoxicillin, Bacampicillin und Carbenicillin. Gegen Ende der Tätigkeit von General Idea wiederholten sich die Pillen immer wieder in verschiedenen Werken.
One Month of AZT (1991) ist eine Referenz auf das erste antivirale HIV/AIDS-Medikament, das auch Felix Partz einnahm, und repräsentiert seine monatliche Dosis: 150 Pillen, die er seine „kleinen Helferlein“ nannte.
Die heutigen Behandlungsmöglichkeiten verändern drastisch, was es bedeutet, mit HIV zu leben – für diejenigen, die Zugang zum Gesundheitssystem haben. Die Viruslast kann medikamentös so weit gesenkt werden, dass das Virus nicht mehr im Körper nachweisbar ist und auch nicht mehr übertragen wird. U=U (nicht nach-weisbar = nicht übertragbar) ist eine wichtige Botschaft für die Entstigmatisierung von Com-munitys, die mit HIV leben. Darüber hinaus erweitern neuer entwickelte Safer-Sex-Methoden wie die Einnahme der PrEP die Maßnahmen zur Verhinderung einer HIV- Infektion.
Im Jahr 1993 zog General Idea von New York zurück nach Toronto. Als sich der Gesundheitszustand von Felix Partz und Jorge Zontal verschlecherte, machte es sich die Gruppe zur Aufgabe, die Arbeiten anderer Künstler*innen zu „infizieren“. Wenngleich General Idea schon immer mit dem Kanon der jüngeren Kunstgeschichte interagierte, wurde das Zitieren der Arbeiten anderer Künstler*innen in den letzten gemeinsamen Jahren zur vorherrschenden
Strategie. Am bekanntesten sind die Repliken von Piet Mondrians Gemälden aus den Jahren 1921 bis 1930, die auf Reproduktionen aus klassischen Kunstgeschichtsbüchern basieren. In der Zeit bewegte sich General Idea weg von großen Galerieinstallationen und öffentlichen Projekten, die ihre frühere Praxis geprägt hatten, und begann in kleineren Formaten zu arbeiten.
Während COVID-19 in den letzten Jahren das Leben radikal verändert hat, betonen diese Arbeiten die anhaltende Präsenz von HIV und AIDS. Mit dem Tod von Partz und Zontal ging General Idea 1994 zu Ende.
Das Motiv des Zikkurats findet sich über Jahrzehnte hinweg in Arbeiten von General Idea. Mit seinem Ursprung in antiker Tempelarchitektur und Webtraditionen ist die Form Teil vieler historischer Bildsprachen. Während der Nachkriegszeit zierten in Nordamerika Bilder von CEOs, die auf die stufenartigen Monumente blicken, die Titelseiten von Wirtschaftsmagazinen. Die Form symbolisiert oft den technischen Fortschritt sowie den Drang zu bauen und zu schaffen.
Felix Partz begann im Gründungsjahr von General Idea, 1968, Zikkurate zu malen. Durch die Verknüpfung der Figur des Zikkurats mit dem Körper lenken General Ideas architektonische Kostüme V.B. Gown die Aufmerksamkeit auf das konstruierte Wesen von Identität und Geschlecht. Die Gruppe setzte sich intensiv mit der Form auseinander und untersuchte ihre Funktionen als Präsentationsraum und Machtsymbol. AA Bronson erklärt: „The 1984 Miss General Idea Pageant war eine Plattform produziert auf einer Plattform von Zikkuraten.“
Selbstportraits waren ein wichtiges Tool für General Ideas Bestreben, ihre geteilte Identität zu konstruieren. Die Gruppe bildete sich stets als Trio ab. Die Zahl drei wurde zum Symbol ihrer Einheit und bildet ein wiederkehrendes Element ihrer Arbeit.
In der fotografischen Three Men Series stellen sich die Künstler als Pudel, Babys, Akademiker, Robben und Ärzte dar und demonstrieren so die Wandelbarkeit ihres Bildes. Starke Bearbeitungen und inszenierte Posen lassen die Portraits als hochgradig fabriziert erscheinen – Identität manifestiert sich nicht auf natürliche Weise, sondern wird kuratiert und produziert wie das Cover eines Magazins. Bei der Konstruktion ihrer Identität verwendet General Idea die Zeichen des Glamours als Strategie aus der Modewelt und den Schönheitswettbewerben. Das Kollektiv interpretiert Glamour als ein „Werkzeug der Invasion“, das leichten Zugang zu Ruhm und Reichtum gewährt. Glamouröse Künstler*innen, so befanden sie, brauchen kein Talent, sondern erreichen ihre Relevanz durch Mythos und Manipulation.