Ausstellungstexte

Indigo Waves and Other Stories: Re-Navigating the Afrasian Sea and Notions of Diaspora

Einleitung

Die Ausstellung Indigo Waves and Other Stories beleuchtet in mehreren Kapiteln die historischen, kulturellen und sprachlichen Verbindungen zwischen dem afrikanischen und dem asiatischen Kontinent, die durch die Arbeiten zeitgenössischer Künstler*innen, Filmemacher*innen, Musiker*innen, Schriftsteller*innen und Denker*innen zum Ausdruck kommen. Die Ausstellungskapitel im Gropius Bau und bei SAVVY Contemporary sind in Resonanz miteinander komponiert worden. Während die Besucher*innen sich zwischen diesen Orten bewegen, sind sie eingeladen, Assoziationen zu erleben, die wie das Kommen und Gehen der Gezeiten fließen.

Indigo Waves and Other Stories greift das Bedürfnis auf, die Geschichten und die Prozesse der Dispersion zu überdenken und die Vorstellungen von Diaspora und kultureller Zugehörigkeit zu reflektieren. Hier dient der Indische Ozean als gemeinsamer Horizont, von dem aus afroasiatische Geschichten der erzwungenen und freiwilligen Wanderungen gelesen werden können, deren historische Entwicklung von den Strömungen der Küstengesellschaften, der Verwandtschaft aus dem Wasser und vom Handelsimperialismus geprägt sind. Die Perspektive des Projekts ist die einer fortwährenden Hybridität. Sie befasst sich mit dem, was Françoise Vergès „die Politik der Vergesslichkeit“ nennt, anstatt erneut den kolonialen Blick ins Zentrum zu rücken und Asymmetrien der Macht wiederherzustellen, welche aus den Annalen der vergangenen Taten widerhallen.

Ziwa KuuSwahili-MeerAfrasian SeaIndischer OzeanRatnakaraÖstlicher Ozean oder Bahari Hindi sind nur einige der zahlreichen Bezeichnungen für dieses Gewässer, das ein Fünftel der Weltmeere ausmacht und als das älteste Kontinuum der Menschheitsgeschichte bezeichnet wird. Es erstreckt sich zwischen der ostafrikanischen Küste, grenzt im Norden an Asien, umschließt im Osten Australien und erstreckt sich im Süden bis zum Südlichen Ozean.

Yvonne Adhiambo Owuor

In dem Roman The Dragonfly Sea von Yvonne Adhiambo Owuor geben die kenianischen und indonesischen Protagonist*innen, Ari und Ayanna, diesem Ozean viele Namen. In einem Namen mag viel stecken, aber kein einziger Name kann all das umfassen, beinhalten oder ausdrücken, wofür dieses Gewässer steht, was es erzählt, singt und beschwört. Der Ozean ist zu komplex, zu tief, zu weitläufig und zu reich an Geschichten, um nur einen Namen zu tragen. Sicher ist, dass er Geografien, Kulturen, Bevölkerungsgruppen, Sprachen, Nahrungsmittel, Klänge, Winde, Gewässer, Ökonomien, Philosophien und vieles mehr miteinander verbindet, statt sie zu trennen. Der Ozean ist eine fließende Verbindung: ein Knotenpunkt von und für Affinitäten und Neuausrichtungen, die den nationalstaatlichen Zugehörigkeiten zeitlich weit vorausgehen.

Nikhil Chopra

Indem wir die frei fließende Natur der afroasiatischen Gewässer aufzeichnen, erkennen wir an, dass die Navigation und die Besiedlung des Indischen Ozeans seit jeher von saisonalen Zyklen und Windsystemen abhängen. In One Water, Many Lands (2023) zeigt Nikhil Chopra die Konturen der Wasserkreisläufe auf, die den Indischen Ozean mit den Ländern verbinden, entlang derer Küsten er sich erstreckt. In einem Großteil seiner Arbeiten sind Chopras darstellerische Handlungen eng mit dem Verlassen und der Landschaft verbunden. Dies geschieht als Mittel zur Kanalisierung einer persönlichen Metamorphose, aber auch mit dem Ziel, physische und mentale Räume zu transformieren. In diesem Fall ist die Reise durch eine weitläufige Meereslandschaft eine Möglichkeit für Chopra, die Stabilität des Landes gegen einen flüssigen Horizont in ständiger Bewegung einzutauschen – von Gletschern zu Wasserfällen, Flussmündungen zu Wolken. In seiner bescheidenen Gestalt, gekleidet in Schlamm und Baumwolle, verweilt er auf einer treibenden Plattform und malt mit tiefblauen Pigmenten und aus Schlamm und Ton gewonnenen Ockern Wasserlandschaften auf Leinwände. In einer zwölfstündigen Performance und einer raumgreifenden Installation wirkt Chopras Körper wie ein Katalysator, der die Architektur des Gropius Bau mit Darstellungen des Meeres verklärt und die Einheit des Wassers, die Verbundenheit seiner Ökologien und seine schwankenden Zyklen zelebriert.

The Black Pearl: Aspenwall House, Kochi-Muziris Biennale, 2014, Kostüm: Loise Braganza

The Black Pearl: Aspenwall House, Kochi-Muziris Biennale, 2014, Kostüm: Loise Braganza

Courtesy: der Künstler, Foto: Shivani Gupta

Shiraz Bayjoo

Indigo Waves and Other Stories: Re-Navigating the Afrasian Sea and Notions of Diaspora, Shiraz Bayjoo, Installationsansicht, Gropius Bau (2023)

Indigo Waves and Other Stories: Re-Navigating the Afrasian Sea and Notions of Diaspora, Shiraz Bayjoo, Installationsansicht, Gropius Bau (2023)

Foto: Luca Girardini

Shiraz Bayjoo kreiert Talismane, die das Gewicht der Trauer und des Überlebens in sich tragen und an die Vormütter und ihre Kämpfe in der Welt des Indischen Ozeans erinnern – insbesondere an den Küsten von Mauritius, Madagaskar und seit kurzem auch bei Forschungen in Südafrika. Bayjoo ist auf der Suche nach vergrabenen Archiven, die oft weit jenseits der Museen liegen, und durchstreift Friedhöfe, Ruinen, literarische Texte, Gerichtsakten und botanische Gärten. Wie der Dichter und Denker Kamau Brathwaite es ausdrückt, führt seine Suche die „Tidalectics“ des Gedenkens fort und bezeugt kreolische Formationen und Notationen von Marronage – in Erinnerung an die Menschen auf den Inseln des Indischen Ozeans und in den Amerikas, die den versklavten Gesellschaften entkamen und ihre eigenen, unabhängigen Gemeinschaften und Siedlungen gründeten. Zu seinen Skulpturen gehören sowohl Fotografien als auch Textilfahnen aus Shewshew-Batik und Kanga-Stoff. Unter den Bildern befinden sich Archivporträts madagassischer Königinnen, Küstenlinien der frühen niederländischen Ankunft auf Mauritius sowie Indigene und transplantierte Fauna. Die als hölzerne Displaysysteme konzipierten Arbeiten untersuchen museologische Ansätze, sind aber auch eine Anlehnung an Schreine und Altarwerke. Bayjoo erläutert: „Diese Arbeiten bilden Linien der Untersuchung zwischen ‚Landauslöschung‘ und Matriarchat und einer Art des Überlebens innerhalb der Plantagenlandschaft.“ Die Installation Lamer Vide, Later Ruz (2022) verknüpft ebenfalls Traumata der Ahnen und widerständige Wegfindung im Dialog mit der Geschichtenerzählerin Traci Kwaai, die ihre familiären Erzählungen in Kalk Bay, einem historischen Fischerdorf im Großraum Kapstadt, erforscht und die Traditionen von Generationen von Fischereigemeinschaften am Kap aufzeichnet.

Clara Jo

Auf den Inseln und Archipelen dieses Ozeans wurden einige der frühesten Architekturen von Quarantäne- und Kolonialkrankenhäusern errichtet, die traumatisches Leid verursachten. Die Wanderung von Menschen wurde von Tieren und Pflanzen entlang der antiken Seerouten begleitet. Die Geschichte der Epidemien wird oft durch eine koloniale Perspektive erzählt, wodurch problematische Begriffe wie „Ausgesetztsein“ und „Erstkontakt“ für die Ansteckung geprägt wurden, die auch heute noch die gesellschaftlichen Vorstellungen von einem gesunden Subjekt prägen. Clara Jo konzipiert einen Film mit Animationssequenzen, die uns dazu einladen, die nautische Imagination und das Andocken an Land durch Prozesse des Verfalls, der Verbreitung ansteckender Krankheiten, der Inhaftierung und der Regeneration kritisch zu hinterfragen. Die Künstlerin reflektiert über historische Vorläufer der Inhaftierung in Albion und Flat Island auf Mauritius und stellt allegorische Protagonist*innen vor, um zu untersuchen, wie die Angst in unsere Lebenssysteme eingepflanzt wird: wie sich Viren und durch Wasser übertragene Krankheiten mit merkantilem Ehrgeiz ausgebreitet haben und zu guter Letzt, welche Körper als „fremde Akteur*innen“ abgestempelt und somit als Bedrohung für den bürgerlichen Körper stigmatisiert werden.

Indigo Waves and Other Stories: Re-Navigating the Afrasian Sea and Notions of Diaspora, Clara Jo, Installationsansicht, Gropius Bau (2023)

Indigo Waves and Other Stories: Re-Navigating the Afrasian Sea and Notions of Diaspora, Clara Jo, Installationsansicht, Gropius Bau (2023)

Foto: Luca Girardini

Kudzanai-Violet Hwami und Belinda Zhawi, Buktu, Anna, Nehanda, 2021

Kudzanai-Violet Hwami und Belinda Zhawi, Buktu, Anna, Nehanda, 2021

© Kudzanai-Violet Hwami und Belinda Zhawi, Courtesy: die Künstler*innen und Victoria Miro

Kudzanai-Violet Hwami und Belinda Zhawi

Die Malerei- und Klanginstallation Black Anna (2021) von Kudzanai-Violet Hwami und Belinda Zhawi befasst sich mit der Frage der häuslichen Arbeit. Versklavungsarbeit, Zwangsarbeit, unterbezahlte Arbeit und Care-Arbeit unterschiedlichster Art sind ein wesentlicher Bestandteil der Geschichte der Zwangsmigration über das Afrasische Meer und den Atlantischen Ozean. Oftmals sind es Frauen, die diesen besonders ausbeuterischen Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind. Die Installation basiert auf der Geschichte von Zwarte Anna (Schwarze Anna), einer Schwarzen [versklavten] Frau aus Suriname, die 1727 in Arnheim ankam und die Familie begleitete, für die sie arbeitete. Das Werk imaginiert Erzählungen um Black Anna, die über die Rolle der Dienerin hinausreichen und sich von der/den privaten Welt(en), die sie für sich selbst und ihre Person geschaffen haben könnte, entfernen. Genauso wird sie aber auch in Momenten der Ruhe, der Reflexion und des Alleinseins abgebildet. Auf diese Weise wird für Anna eine Präsenz jenseits ihrer Arbeit geschaffen. Gleichzeitig führt Hwami mit der Figur der Paula eine Black Anna der Gegenwart ein, die aus ihrem Herkunftsland entwurzelt wurde und als Bedienstete in einer europäischen Familie arbeitet. Die Künstlerin fragt sich nun, wer Paula für diese Familie außerhalb ihrer Arbeit, außerhalb ihres Daseins als „die Hilfskraft“ ist. Hwami lädt die Betrachtenden dazu ein, das Menschsein Schwarzer Frauen als das zu sehen, was es ist: eine reichhaltige Existenz jenseits der Skripte des Lebens, die ihnen auferlegt wurden und immer noch werden.

Jennifer Tee

Handelstextilien wie ostafrikanisches Kanga, Pelangi in Südsumatra und indischer Chintz enthüllen verkörperte Vermächtnisse und jahrhundertealte Kreisläufe des ozeanischen Austauschs. Jennifer Tee stellt Verbindungen zu ihren chinesisch-indonesischen Vorfahr*innen wieder her, indem sie nach Sumatra reist und Textilsammlungen in Europa untersucht. Ihre Begegnung mit Tampan- und Palepai-Textilien, die von den Europäer*innen als Schiffstücher bezeichnet werden, hat zu einer länger andauernden Untersuchung geführt. Die Künstlerin erweckt sinnbildliche Muster durch ein Collage-Verfahren mit gepressten Tulpenblättern zu neuem Leben. Damit würdigt sie eine Querverbindung zwischen ihrem Vater, der nach dem Zweiten Weltkrieg mit seiner Schwester und seinen Eltern per Schiff in die Niederlande reiste, und ihrem Großvater, einem Exporteur von Tulpenzwiebeln, der häufig in die Vereinigten Staaten segelte. In Tees künstlerischem Werk Tampan Tulip, das sie seit 2010 entwickelt hat, wird das Schiff zu einem Ort der Transfiguration, der als kulturelles Leitmotiv und strukturierendes Prinzip widerhallt und seine Rolle in Küstengesellschaften über die maritime Macht hinaus neu gestaltet. Wie die Tampans zeigen, besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Schiffsladung und dem Haushalt als soziale Einheiten, die sowohl für den Container als auch für das darin Enthaltene stehen. Um das Schiff und sein Inneres herum sind häufig Amphibien, Vögel (wie Nashornvögel), Schlangen und der Baum des Lebens dargestellt. Als zeremonielle Textilien stellen die darin enthaltenen Illustrationen auch eine Verbindung zur göttlichen Sphäre her.

Ein quadratisches Bild mit einem abstrakten, mehrfarbigen Muster auf beigem Hintergrund

Jennifer Tee, Tampan Sessile Beings, Sacred Shrine, 2022

courtesy: die Künstlerin und Galerie Fons Welters, Amsterdam

Jeewi Lee, Encounter (Future Past Tense), 2023

Jeewi Lee, Encounter (Future Past Tense), 2023

© Studio Jeewi Lee

Jeewi Lee

In Encounter (Future Past Tense) (2023) von Jeewi Lee stehen Sepiaschalen als Metapher für Zerbrechlichkeit und Tapferkeit. Sie sind federleicht und lassen sich leicht eindrücken und zerkratzen, sind aber gleichzeitig robust genug, um der Rauheit des Meeres zu trotzen. Die Mikrostruktur des Knochengewebes verleiht den Sepiaschalen Festigkeit und Widerstandsfähigkeit gegen Beschädigungen. Diese Knochengewebe bestehen aus winzigen vertikalen Säulen, die es dem Tintenfisch ermöglichen, sie als Kammern zur Auftriebskontrolle zu nutzen: ein Organ, das im Wasser atmet. Jeder Knochen, der nach einer langen Reise durch den Ozean an Land gespült wird, ist ein Träger verkörperter Erinnerungen, die in Rillen und Spuren auf seiner spröden und filigranen Oberfläche eingeschrieben sind. In Lees spekulativer Untersuchung rührt der symbolische Wert dieser Objekte von Begegnungen her, die während einer Recherche im Senegal am Strand stattfanden, einer porösen aquatischen Grenze, die ozeanische Erinnerungen bündelt. Von dort aus zeichnet Lee, wie beim Aufbau eines Archivs, den Abdruck der Knochen auf Hanji-Papier auf und versiegelt jeden einzelnen mit einer schützenden metallischen Glasur. Die mit Kupfer überzogene Sammlung von Spuren auf über fünfhundert Sepiaschalen bildet eine Anthologie von Geschichten, die zwischen der irdischen und der ozeanischen Welt schweben.

M'barek Bouhchichi

Die skulpturale Arbeit von M’barek Bouhchichi verknüpft die Konzepte einer Braille-Tafel und eines Tribulums miteinander. Ein Tribulum ist ein historischer Dreschschlitten, der in vielen Teilen des afrikanischen Kontinents noch immer verwendet wird, um Samen und Spreu von der Ernte zu trennen. Dieses breite, schwere, meist hölzerne Brett ist mit Zähnen aus Stein oder Eisen ausgestattet und erinnert visuell an Schriftsysteme auf Steinen in verschiedenen Zivilisationen der Welt. Diese Verbindung zur Schrift inspirierte Bouhchichi dazu, über die vielen Schriften zu sinnieren, die Nordafrika im Allgemeinen und Marokko im Besonderen mit dem Indischen Ozean und den Gebieten jenseits des Ostufers dieses Gewässers verbinden. Selbst wenn einige dieser Schriften und Spuren aus dem Blickfeld einiger Menschen gelöscht werden, existieren sie in anderer Form weiter und können anders gelesen werden. Bouhchichi macht sich das System der Brailleschrift als Metapher für das anders Geschriebene zu eigen. Die Texte in Brailleschrift sind Auszüge aus Reiseberichten des berühmten Amazighmarokkanischen Reisenden Abū ʿAbdallāh Muhammad ibn Battūta (1304–1368/1377), der einen Großteil Südeuropas bereist und das Afrasische Meer nach Asien durchquert haben soll. Diese Reisen sind in seinem Reisebericht A Gift to Those Who Contemplate the Wonders of Cities and the Marvels of Travelling (The Rihla) niedergeschrieben. Hinzu kommen Textauszüge eines anderen Amazigh-marokkanischen muslimischen Gelehrten, Abu Al-Barakat Yusuf Al-Barbari, der den Islam auf die Malediven gebracht haben soll.

M'barek Bouhchichi, Essential words I, 2022

M'barek Bouhchichi, Essential words I, 2022

Courtesy: der Künstler

Jasmine Nilani Joseph

Jasmine Nilani Josephs Reihe von Zeichnungen beginnt oft mit Feldforschungen auf der Jaffna-Halbinsel sowie mit Gesprächen mit Nachbar*innen und lokalen Gruppen und widmet sich dem privaten und dem öffentlichen Gedächtnis. Sie konzentriert sich auf Sicherheitsstrukturen und die allgegenwärtige Militarisierung der häuslichen Sphäre und der natürlichen Welt. Die Biografie der Künstlerin spielt in mehreren ihrer Werke eine Rolle, die unter anderem von der Flucht vor Gewalt und Vertreibung in der Kindheit bis hin zu den Jahren des Bürgerkriegs berichten. Indem sie architektonische Motive und die gebaute Umwelt aufzeichnet, die ländliche Küstenzonen miteinander verknüpfen, vermittelt die Künstlerin die eingebettete Komplexität von Auswanderung und Umsiedlung, Sprachbarrieren und kulturellem Verlust. Unveiled Barriers (2019) spiegelt die Rolle des Meeres als Vermittler von Wegen innerhalb und außerhalb Sri Lankas wider. Joseph zeigt kleinste Details von Unterkünften, die von Fischereigemeinschaften gebaut wurden, von der indischen Küstenwache, die kleine Boote abfängt, und von durch die australische Regierung errichteten Internierungslagern, die weiterhin das Leben derjenigen bedrohen, die von dieser Küstenlinie fliehen. In ihren neuen Werken The Cursed Journey (2023) und In the Shades of Builders (2023) verknüpft sie entlang ihrer Reisen die Hafenstädte Old Goa und Fort Kochi miteinander. Sie zeichnet Gassen, die in der Vergangenheit den Gewürzhandel in Mattancherry beherbergten, Kappiri-Schreine, die verstorbenen Afrikaner*innen gewidmet sind, die Korallenmauern des Forts von Jaffna und ein ehemaliges niederländisches Krankenhaus in Neduntheevu (Delfter Insel) in der Palk Strait. Josephs Zeichnungen spiegeln wider, auf welche Art und Weise natürliche Grenzen und Küstengrenzen als Räume der Zugehörigkeit fungieren, während sie gleichzeitig inmitten der repressiven Umklammerung ethnischer Trennungen in einer begrenzten Inselgeografie eine Gefahr darstellen.

Kelani Abass

Kelani Abass entwirft eine Installation bestehend aus Casing History, The Root Across the Walking Path, 1,2,3 (2022) und The root across the walking path (2022). Erstere ist eine Fortsetzung seines langfristigen Forschungsprojekts, bei dem er Archive durchsucht. Abass’ Mixed-Media-Assemblagen bestehen aus Buchdruck-Schriftkästen, historischen Fotografien und handschriftlichen Notizen aus Familienarchiven, die bis in die 1920er Jahre zurückreichen. Einer seiner vielen Ausgangspunkte ist die Druckpresse seiner Familie und die Art und Weise, wie dieses Medium, das Informationen, Geschichten, Wissen und Geschichte festhält, das Familiäre (das Mikro) mit dem Gesellschaftlichen (dem Makro) zusammenbringt. Abass’ Installation The root across the walking path sieht Wasser als Träger gemeinsamer und individueller Geschichten und als Akteur im Ökosystem der Dinge, Kulturen, Umgebungen, Körper, Reisen, Nahrung und Medizin. Es ist eine Reflektion des Wassers als fester Bestandteil der menschlichen Identität, der kulturellen Wahrnehmungen, des religiösen Glaubens und der Weltanschauungen. Wasser ist eine relevante und signifikante Komponente, die auch für das Verständnis der Identität, Kultur und Religion der Yoruba von Bedeutung ist. Abass erklärt: „Durch Bilder, Texte und eine komplexe Beziehung zur Erinnerung, nimmt mein Projekt seine Anfänge in einem in Yoruba geschriebenen Familienjournal, das bis zu 70 Jahre zurückreicht und Aufzeichnungen von Ereignissen, Geburten, Todesfällen, traditionellen Anrufungen, Beschwörungen von Kräften, orthodoxen Verschreibungen, Liebestrankrezepten und Autobiografien enthält.“

Indigo Waves and Other Stories: Re-Navigating the Afrasian Sea and Notions of Diaspora, Kelani Abass, Jasmine Nilani Joseph, Installationsansicht, Gropius Bau (2023)

Indigo Waves and Other Stories: Re-Navigating the Afrasian Sea and Notions of Diaspora, Kelani Abass, Jasmine Nilani Joseph, Installationsansicht, Gropius Bau (2023)

Foto: Luca Girardini

Dhow Countries Music Academy

Die Dhow Countries Music Academy ist eingeladen, eine Klanglandschaft des Afrasischen Meeres zu komponieren und zu beschwören. Vielleicht ist es am angemessensten, die Musik im Besonderen und den Klang im Allgemeinen als Kompass zu verwenden, um dieses Gewässer zu navigieren. Als Musikschule in Sansibar, die das musikalische Erbe der „Dhow-Region“ (zu der Länder an den Küsten des Indischen Ozeans und des Arabischen Golfs wie Sansibar, Komoren, Oman, Kuwait, Iran, Vereinigte Arabische Emirate und Indien gehören) bewahrt und fördert, haben die Mitglieder der Dhow Countries Music Academy ihre Ohren sozusagen nicht nur auf dem Boden, sondern auch unter Wasser. Als Institution hat die Dhow Countries Music Academy auch den Auftrag, traditionelle Musik aus der „Dhow-Region“ wie TaarabKidumbak und Ngoma zu unterrichten und damit ein lebendiges Kulturerbe zu bewahren. Der Name der Akademie ist angelehnt an die traditionellen Segelschiffe, die Dhow, die über Jahrhunderte hinweg zur Überquerung des Meeres von der ostafrikanischen Küste zur arabischen Halbinsel und zur Westküste Asiens eingesetzt wurden.

John Njenga Karugia

Der Gelehrte Engseng Ho befasst sich in seinen Schriften über die Diaspora der Hadrami mit kreolischer Kinship und der Verteilung des Erbes als etwas Nicht-Lineares. Diese Aspekte gewinnen auch in den Langzeitforschungsreisen von John Njenga Karugia an Sichtbarkeit. Sie legen den Schwerpunkt auf die Nebenflüsse der Erinnerungskulturen, das klangliche Erbe und die materiellen Hinterlassenschaften der Seefahrtsgemeinschaften, die seit Jahrhunderten zwischen Kenia, Oman und Indonesien verkehren. Sein anekdotisches Archiv von Fotografien und der Dokumentarfilm Afrasian Memories in East Africa (2018) bieten Einblicke hinter die Kulissen der Wissenschaft, in private Auseinandersetzungen und Küstenvorstellungen, die die Randnotizen dessen ausmachen, was die akademische Welt als Teil der „Ocean Studies“ (wieder-)entdeckt oder ablehnt.

Indigo Waves and Other Stories: Re-Navigating the Afrasian Sea and Notions of Diaspora, John Njenga Karugia, Installationsansicht, Gropius Bau (2023)

Indigo Waves and Other Stories: Re-Navigating the Afrasian Sea and Notions of Diaspora, John Njenga Karugia, Installationsansicht, Gropius Bau (2023)

Foto: Luca Girardini

Indigo Waves and Other Stories: Re-Navigating the Afrasian Sea and Notions of Diaspora, Adama Delphine Fawundu, Installationsansicht, Gropius Bau (2023)

Indigo Waves and Other Stories: Re-Navigating the Afrasian Sea and Notions of Diaspora, Adama Delphine Fawundu, Installationsansicht, Gropius Bau (2023)

Foto: Luca Girardini

Adama Delphine Fawundu

Meeresgottheiten, Dschinns und Wassergeister wie Mami Wata sind immer wiederkehrende, lebhafte und mächtige Wesen in den Wasservorstellungen von Afrika und dem afrikanischen Atlantik. Adama Delphine Fawundu taucht in ihren Video- und Skulpturarbeiten in diese Sphäre der Ahnen und der heiligen Zeitmessung ein. Dabei verwebt sie die schützenden und furchteinflößenden Qualitäten der von vielen Geistern beseelten und kreolisierten Gewässer. In Hymns and Parables (2022) erkundet die Künstlerin ihre Familiengeschichten aus Sierra Leone, ihre Mende-Ahnen, und lässt sich von der senegale-sischen Baye-Fall-Kultur inspirieren. Sie verwendet indigo-gefärbte und gebatikte Stoffe, Baumwollpapier aus Indien und brasilianisches Bananenpapier, Weihrauch und Kaurimuscheln. Sie beschreibt diese Reihen als „Codes“, für die sie Textilien ihrer Großmutter und neue Muster verwendet, die als Cyanotypien und mit UV-aktivierten Tinten gedruckt wurden. Auf diese Weise fungieren die audiovisuellen Aufnahmen und die übereinander geschichteten Stücke im menschlichen Maßstab als mosaikartige Reiche der kosmologischen Beziehungsherstellung, der Maskerade und größerer Diaspora-Chroniken. In Fawundus Arbeiten ist die elementare Rolle des Wassers in Reinigungs- und Opferzeremonien, die den Lebenszyklus von der Geburt bis zum Tod markieren, seit langem anerkannt.

Rossella Biscotti

Transnationale Mobilitäten und Immobilitäten in der ozeanischen Sphäre sind zu einem großen Teil durch Arbeitsnetzwerke und Plantagengesellschaften geprägt. Arunima Datta befasst sich mit den Migrationserfahrungen von Frauen im kolonialen Malaya, die ein differenziertes Verständnis des Lebens der per Vertrag zur Arbeit verpflichteten indischen „Coolie“-Frauen ermöglichen und die Stigmata und Moralvorstellungen problematisieren, die mit imperialen Erzählungen einhergingen. Dabei wird ein subjektiver Blick darauf geworfen, wie die geschlechtsspezifischen Geschichten des südostasiatischen Archipels zum Kautschukimperium beigetragen haben. Rossella Biscotti widmet sich in ihrer künstlerischen Arbeit der Verbreitung biografischer, botanischer und literarischer Begegnungen mit verbotenen und vergessenen Geschichten. In ihren „Gummiarbeiten“ – Annalies, Mei, Princess of Kasiruta, Sanikem - Nyai Ontosoroh - Madame Le Boucq, Surati (2019) konzentriert sie sich auf den vierbändigen Roman The Buru Quartet (veröffentlicht schrittweise zwischen 1980–1988) des gefeierten indonesischen Autors Pramoedya Ananta Toer, der zuerst mündlich tradiert wurde, als der Autor in einem Lager auf der Insel Buru inhaftiert war. Biscottis Installation ist von fünf Figuren inspiriert, von denen eine auf dem Leben von Surati basiert. Sie infiziert sich freiwillig mit Pocken, um der Unterwerfung als Konkubine unter den niederländischen Kolonialismus zu entkommen. Indem sie die Subjektivität aus fragmentarischen Aufzeichnungen zusammenträgt, webt Biscotti eine Linie feministischer Handlungsfähigkeit, ökologischer Verstrickungen und möglicher Zugehörigkeit. Die Verwendung von Batik-Textilmustern auf durchscheinendem Naturharz wirkt wie ein körperlicher Abdruck, der sowohl gemeinsame Erinnerungen als auch rebellische, vergängliche und verschwindende Stimmen hervorruft.

Indigo Waves and Other Stories: Re-Navigating the Afrasian Sea and Notions of Diaspora, Rossella Biscotti, Installationsansicht, Gropius Bau (2023)

Indigo Waves and Other Stories: Re-Navigating the Afrasian Sea and Notions of Diaspora, Rossella Biscotti, Installationsansicht, Gropius Bau (2023)

Foto: Luca Girardini

Indigo Waves and Other Stories: Re-Navigating the Afrasian Sea and Notions of Diaspora, Rossella Biscotti, Jack Beng-Thi, Sim Chi Yin, Installationsansicht, Gropius Bau (2023)

Indigo Waves and Other Stories: Re-Navigating the Afrasian Sea and Notions of Diaspora, Rossella Biscotti, Jack Beng-Thi, Sim Chi Yin, Installationsansicht, Gropius Bau (2023)

Foto: Luca Girardini

Jack Beng-Thi

Von La Réunion aus hat Jack Beng-Thi die vielen Inseln und Archipele der Welt des Indischen Ozeans bereist. Diese kreativen Reisen haben zu öffentlichen Kunstwerken und zur Verbreitung von Poesie, Performance und experimenteller Pädagogik geführt. Es war auch ein Bemühen, seine verschiedenen Herkünfte, einschließlich seiner indischen, chinesisch-vietnamesischen, afrikanischen und europäischen, zu bezeugen und weiterzutragen. Beng-Thi gedenkt des versklavten Körpers, der Erzählungen von Vertreibung und erzwungener Migration durch den maritimen Imperialismus. Er zelebriert auch die Verwandtschaft mit dem Wasser inmitten von Communitys von Inselbewohner*innen, indem er Materialien wie Terrakotta, Pflanzenfasern und Vulkansteine verwendet, um auf organische Geschichten und heilige Geografie zu verweisen. In seiner jahrzehntelangen Arbeit wird das Meer als gemeinsamer Vorfahre betrachtet. Es löst Zentrum und Peripherie auf und bringt stattdessen afroasiatische und austronesische Literaturkulturen und Sedimente menschlicher Gewalt näher zusammen. Seine Installation versammelt Buchskulpturen, die die Afrikanität auf Madagaskar, Mauritius, den Komoren, Réunion und Mosambik erkennen lassen.

Malala Andrialavidrazana

Malala Andrialavidrazanas Serie von Fotomontagen mit dem Titel Figures (2015–fortlaufend) ist eine tiefgreifende Reflektion über die Problematiken der Kartografie und die Gewalt und Endlichkeit von Karten. Wie Lee Maracle es in ihrem Gedicht Maps treffend formuliert: „Karten sind anmaßend und geben in arroganter Weise vor, zu wissen, wo alles ist. Sie geben Macht vor, wo keine ist. Karten sind endlich. Karten sind immer alt.“ Figures liest sich wie eine Exhumierung und Neuzusammensetzung von bildlichen, symbolischen und repräsentativen Vermächtnissen. Die Serie vereint historische Persönlichkeiten mit den Gesichtern gewöhnlicher Männer und Frauen, deren Rollen, Lebensumstände und Schicksale zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten übersehen wurden. Sowohl wegen ihrer historischen Bedeutung als auch wegen ihrer Absurdität sind sie faszinierend. Sie informieren über politische Abweichungen, intellektuelle Manipulationen, Systeme von Privilegien und Vormachtstellungen zwischen Geschlechtern, Hautfarben, Klassen oder Nationen. Sie überlagern die grafischen Reliefs von Telegrafenkabeln, Flusssystemen und Reisen der heiligen Philosophie mit zivilisatorischen Bildern von Widersprüchen und Nähe. In Andrialavidrazanas Bestreben zeigt sich ein Weg zur Erkundung kollektiver Wahrheit und souveräner Formen der Ortsgestaltung, die an Kei Millers Überlegungen in The Cartographer Tries to Map a Way to Zion erinnern:
Vorwegnahme der ironischen
Frage: Wie haben wir uns hier wiedergefunden? Meine Aufgabe ist es
das Verhedderte zu entwirren,
die Besorgten zu beruhigen,
dich aus den Sackgassen herauszuführen
in die du vielleicht fälschlicherweise
abgebogen bist.

Malala Andrialavidrazana, Figures, 1853

Malala Andrialavidrazana, Figures, 1853

© Malala Andrialavidrazana

Indigo Waves and Other Stories: Re-Navigating the Afrasian Sea and Notions of Diaspora, Köken Ergun, Installationsansicht, Gropius Bau (2023)

Foto: Luca Girardini

Köken Ergun

„Investiert in Indonesien / stellt sicher, dass ihr es nicht verpasst“, lautet der Refrain eines Liedes, das in Köken ErgunChina, Beijing, I Love You! (2023) erklingt. Bei dem neu in Auftrag gegebenen Film handelt es sich um eine Animation, die mit dokumentarischer Strenge das als Maritime Seidenstraße bekannte Netz von Seerouten nachzeichnet, welches den Abbau von seltenen Erden zwischen Indonesien, China und der Demokratischen Republik Kongo ermöglicht. Für die Produktion von Elektroauto-Batterien, Mobiltelefonen und Raketentechnologie sind Nickel und Kobalt unverzichtbar. In dem Film werden Nickel und Kobalt zu Charakteren, die durch afroasiatische Netzwerke von Profit und Konsum mit Extraktion und Exil konfrontiert sind. Während eine Gruppe von Männern in Anzügen Investitionen als den Weg zu nationalem Wohlstand anpreisen, hallen die Klagen von Nickel in den politischen Unruhen der Arbeitenden in den Aufbereitungswerken wider, die für bessere Arbeitsbedingungen, Umwelt- und Gesundheitsschutz protestieren. Zusammen mit der Bitte von Nickel, in den Boden zurückzukehren, wo sie hingehört, erinnern der ökologische Raubbau und die Gesundheitsgefährdung daran, dass in der Welt des Indischen Ozeans andere Formen des planetarischen Zusammenhalts erforderlich sind.

Sim Chi Yin

„Der Welt geht der Sand aus. Es scheint kontraintuitiv, aber Sand ist neben Luft und Wasser unser meistgenutztes Gut“, erklärt Sim Chi Yin. Im benachbarten Raum zeigt ihre Fotoinstallation und VR-Erzählung die Verlagerung und den Abbau dieser nicht erneuerbaren Ressource aus dem vietnamesischen Mekong-Delta und in ganz Asien (insbesondere China, Malaysia und Singapur). Dabei werden das Verlangen nach einer rasanten Urbanisierung, die Entwicklung neuer Metropolen und ein ständiger Drang zur Landgewinnung deutlich, der die Küstenlinien verändert. Der Transport von Sandhaufen über Flüsse, zu Container-schiffen und Lagerplätzen in Baugebieten wird von Sim häufig mit Hilfe von Luftaufnahmen festgehalten. Dieser Ansatz schafft eine andere skalare und räumliche Perspektive, aus der heraus Bergbau- und Handelsprozesse verstanden werden können. Das neu produzierte Werk Garden of No Return (2023) verbindet Wiegenlieder und Klagelieder sowie Gedichte der vietnamesischen Schriftstellerin Khải Đơn. Es setzt sich mit den schädlichen Auswirkungen von Erdrutschen und großflächiger Erosion auseinander, die Häuser, Nutztiere und Ahnenschreine vernichten. Zusammen mit Dan Archer schafft Sim ein erfahrbares Terrain. Sie verwenden fotogrammetrische Bilder und gefilmte Sequenzen, wobei sie auch Sprünge ins Poetische und Unheimliche zulassen, um auf die kommunalen Verluste und die extreme Prekarität in den globalen Geschäftsströmen des Sandabbaus zu verweisen.

Indigo Waves and Other Stories: Re-Navigating the Afrasian Sea and Notions of Diaspora, Sim Chi Yin, Dominic Sansoni, Installationsansicht, Gropius Bau (2023)

Indigo Waves and Other Stories: Re-Navigating the Afrasian Sea and Notions of Diaspora, Sim Chi Yin, Dominic Sansoni, Installationsansicht, Gropius Bau (2023)

Foto: Luca Girardini

Dominic Sansoni

Dominic Sansoni fotografiert seit den 1980er Jahren auf dem Archipel der Malediven. Seine Reisen haben ihn bis zu den kleinsten Atollen geführt, wo er aussterbende Lebensweisen, ländliche Arbeit und traditionelle Architektur dokumentiert, die in starkem Kontrast zur luxuriösen Resortkultur steht. Die bei Indigo Waves ausgestellte Reihe beleuchtet jahrhundertealte Moscheen aus Korallenstein, die das transozeanische Vermächtnis des Islams vermitteln. In diesen monochromen Bildern wird die für die Malediven als einzigartig geltende Zimmerei aus Korallenstein deutlich sichtbar. Dies gilt insbesondere für Nahaufnahmen von Fassaden, erhöhten Plattformen mit kalligrafischen Verzierungen und Grabsteinen auf Moscheegeländen. Angesichts der Umweltauswirkungen des Korallenabbaus ist die Verwendung von Korallen in der tropischen Architektur in der Region des Indischen Ozeans zum Stillstand gekommen. Allerdings zeigen die noch erhaltenen Bauwerke eine enge Verbindung zur Korallenarchitektur an der Swahili-Küste und auf Sri Lanka. Die Verbreitung der Verwendung von Korallenstein in Bauwerken reicht vom Arabischen Meer über das Rote Meer bis zum Zentralpazifik. Wie diese Moscheen spiegeln auch die historischen Bootsbautechniken auf den Malediven, bei denen Kokosnussholz verwendet wird, gängige Techniken des Bootsbaus in Ostafrika wider.

Oscar Murillo

Oscar Murillos Reihe surge (social cataracts) (2019–fortlaufend) greift auf die Ästhetik von Claude Monets Seerosenbildern zurück, um über die Fülle von Referenzen zu sinnieren, die unterschiedliche Gewässer konnotieren. Wie sanft manche Gewässer auch sein mögen, ihre Unterströmungen erzählen von etwas anderem. Murillos social cataracts scheinen diese von den Unterströmungen erzählten Geschichten zu entschlüsseln. Es ist schwierig, an die Gewässer zu denken, die den afrikanischen Kontinent mit dem Rest der Welt verbinden, ohne Zeugnis von den Traumata abzulegen, die unter den wirbelnden Wellen liegen. Wie Amiri Baraka es ausdrückte: „Auf dem Grund des Atlantischen Ozeans gibt es einen Schienenweg aus menschlichen Knochen.“ Murillo verwendet zusammengenähte Leinwandstücke und breite, unruhige Striche aus blauer, grüner, roter und gelber Farbe, um die Stimmen der Unterströmungen auszudrücken. Diese Suite erinnert uns auch an den Wasserkreislauf und die Verwitterungsprozesse, die die Regenwolken mit dem Meeresgrund verbinden. Auch wenn Murillo sich bei dieser Reihe auf die Geschichte von Monet beruft, der an Grauem Star litt, als er die Seerosen malte, lädt uns das Werk selbst dazu ein, das koloniale Unternehmen als eine Beeinträchtigung des Sehvermögens zu begreifen, die noch immer eine dichte Wolke über die Menschheit legt — Kolonialität ist demnach ein gesellschaftlicher Grauer Star. Die bezaubernde Schönheit dieser Bilder zeigt auf, dass Wasser trotz aller Widrigkeiten immer noch verbindet, Grenzen überschreitet, Landkarten missachtet und den Planeten mit Leben erfüllt. Wie Fela Kuti es ausdrückte: „Wasser wird nicht zum Feind.“

„als gäbe es einen Weg, auf dem sich die Wesen wahrhaftig begegnen, als würde ich die menschlichen Ecken umrunden“ — Linda Hogan, The Turtle Watchers (2008)

Indigo Waves and Other Stories: Re-Navigating the Afrasian Sea and Notions of Diaspora, Oscar Murillo, Installationsansicht, Gropius Bau (2023)

Indigo Waves and Other Stories: Re-Navigating the Afrasian Sea and Notions of Diaspora, Oscar Murillo, Installationsansicht, Gropius Bau (2023)

Foto: Luca Girardini

Lavanya Mani, Spectral Objects (From the Book of Wonders), 2019

Lavanya Mani, Spectral Objects (From the Book of Wonders), 2019

Foto: Anil Rane, courtesy: die Künstlerin und Chemould Prescott

Lavanya Mani

Die Textilbilder von Lavanya Mani vermitteln Beziehungen zum Ozean durch reale und chimärische Kreaturen, in denen sich ihre Forderungen nach einem besseren Umgang mit dem planetarischen Gemein-gut manifestieren. Spectral Objects (2018–2019) beschwört Figuren der Tiefsee und des Himmels herauf und taucht in obskure Gewässer ein, um die Idee anzufechten, der Mensch könne durch wissenschaftliche Navigationswerkzeuge die Vorherrschaft über die Meere übernehmen. Die Konstruktion der „Dunkelheit“ als Raum des Rückschritts oder der Antimoderne wird widerlegt. Aus den Tiefen des Meeres ertönt der Aufruf, unseren Platz im Kosmos neu zu überdenken. Manis artenreiche Gemeinschaft enthüllt Schichten der kolonialen und vorkolonialen Vergangenheit, die auf persischen Miniaturen und deutschen Holzschnitten des 16. Jahrhunderts beruhen, um unsere symbiotische Verbundenheit mit der ozeanischen Sphäre aufzuzeigen. In ähnlicher Weise erinnert uns The Ark (2018–2019) daran, dass der Ozean nicht von der Modernisierung träumt, sondern vielmehr danach verlangt, umsorgt zu werden. Die Kreaturen des Landes, des Himmels und des Meeres werden vergrößert und versammeln sich auf zwei Seiten einer pyramidenartigen Anordnung. Sie parodieren anthropozentrische Kulturen der ökologischen Ausbeutung und des apokalyptischen Extraktivismus durch Tierfabeln und allegorische Bilder. Die Ikonographie, die sich an Miskins Miniaturmalereien aus der Mogulzeit und an der biblischen Erzählung von der göttlichen Bestrafung orientiert, eröffnet Wege, sich hybride Begegnungen vorzustellen und zu erkennen, dass Gewässer die Heimat von Netzwerken der Solidarität zwischen „mehr-als-menschlichen“ Versammlungen sind.

Wie sieht die ozeanische „Wiedererinnerung“ aus? Wie können wir diesem Terrain, das gleichermaßen von Verbundenheit wie von Zwang und Trauma geprägt ist, begegnen und ihm gedenken? Der Ozean ist eine beständige Form, auch wenn er ewig im Wandel ist. Er bietet somit ein monumentales Archiv des vorkolonialen Gedächtnisses. Während wir das Wissen weitergeben, das viele von uns als Wasserwesen in sich tragen, versucht Indigo Waves and Other Stories, wechselseitige Bewegungen in Gang zu setzen. Dadurch werden etablierte geopolitische Festsetzungen und die Dominanz in der akademischen Welt rund um den Nordatlantik erschüttert. Vor diesem Hintergrund widmen wir uns den offenen Gezeiten der Akkulturation, den afroasiatischen Imaginationen, einer Atmosphäre der Vielsprachigkeit und den Monsunzyklen des Systems des Indischen Ozeans.