Ausstellungstexte

Einleitung

„Ein Traum, den man allein träumt, ist nur ein Traum.
Ein Traum, den man gemeinsam träumt, ist Wirklichkeit.“

— Yoko Ono, 1971

Yoko Ono war ihrer Zeit weit voraus – und hat mit ihrer künstlerischen Arbeit seit den 1950er Jahren Kunst, Musik und politischen Aktivismus entscheidend geprägt.

YOKO ONO: MUSIC OF THE MIND beleuchtet in weitgehend chronologischer Reihenfolge Onos Schaffen in den USA, Japan, Großbritannien und darüber hinaus. Ihre Arbeiten nehmen dabei viele verschiedene Formen an: von Handlungsanleitungen und Performances über Objekte, Film und Musik, bis hin zu Installationen und Events. Das Besondere an ihrem Werk ist, dass es das Publikum von Anfang an miteinbezieht.

1964 veröffentlichte Yoko Ono Grapefruit, ihr wegweisendes Buch mit Handlungsanleitungen. Die kurzen, poetischen Texte öffnen das Denken und die Wahrnehmung. Sie tauchen in der Ausstellung an verschiedenen Stellen auf und laden euch dazu ein, Werke allein oder gemeinsam mit anderen zu erschaffen oder zu vollenden.

Onos Arbeiten regen unsere Vorstellungskraft an und lenken unsere Aufmerksamkeit – wie es der Ausstellungstitel bereits ankündigt – auf den Klang des Geistes. Ihre Kunst ist ein Aufruf zu handeln, um gemeinsam die Welt zu verändern.

Wish Tree for Berlin

Seit 1996 zeigt Yoko Ono auf der ganzen Welt Varianten ihres Werks Wish Tree. Die Arbeit ist eine offene Einladung an Besucher*innen, ihre Friedenswünsche auf kleine Zettel zu schreiben und an die Zweige der Bäume zu binden. Damit nimmt die Künstlerin Bezug auf ihre Tempelbesuche als Kind in Japan: „Die Bäume in den Innenhöfen der Tempel waren übersät mit solchen Wunschknoten, die von weitem wie weiße Blüten aussahen.“

Im Lichthof des Gropius Bau spiegeln die Bäume auch die Geschichte des Hauses wider: Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude bei den Luftangriffen auf Berlin 1944 stark beschädigt. Die Kriegsruine blieb bis zum Wiederaufbau 1978 sich selbst überlassen und es wucherten hier verschiedene Laubbäume. Wish Tree for Berlin gibt so nicht nur den aktuellen Wünschen der Besucher*innen Raum, sondern bezieht sich auch auf die Vergangenheit dieses Gebäudes.

In fast 30 Jahren hat Ono bereits über zwei Millionen Wünsche gesammelt. Sie werden für den IMAGINE PEACE TOWER in Island aufbewahrt, den die Künstlerin 2007 zum Gedenken an ihren verstorbenen Ehemann John Lennon entworfen hat.

Yoko Onos Weg zur Kunst

Yoko Ono wurde 1933 in Tokio geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie überwiegend dort, zeitweise aber auch in den USA. Musik und Konzerte spielten in ihrer Erziehung eine große Rolle. Sie erhielt Musikunterricht und lernte, auch Alltagsgeräusche in Notenschrift festzuhalten.

Japan war zu dieser Zeit unter anderem durch sein militärisches Bündnis mit dem nationalsozialistischen Deutschland tief in die Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs verwickelt. Im Frühling 1945 bombardierten US-Luftstreifkräfte Tokio. Ono war zu dieser Zeit gerade zwölf Jahre alt und wurde aufs Land evakuiert, wo Nahrungsmittel und andere lebensnotwendige Dinge knapp waren. Sie und ihr jüngerer Bruder Keisuke flüchteten sich immer wieder in ihre eigenen Fantasiewelten: „In der Luft malten wir uns unsere Lieblingsspeisen aus, wir nutzten unsere Vorstellungskraft zum Überleben.“ Rückblickend bezeichnete Ono diese Gedankenspiele als ihr vielleicht erstes Kunstwerk.

1952 schrieb sich Ono als erste weibliche Philosophiestudentin an der Gakushūin Universität in Tokio ein. Ein Jahr später zog sie zu ihren Eltern nach Scarsdale, New York, und studierte dort am Sarah Lawrence College Lyrik und Komposition. In dieser Zeit entstanden einige ihrer ersten Anleitungen, darunter Lighting Piece. Das Werk wird in der Ausstellung im Gropius Bau in drei Varianten gezeigt: als Handlungsanleitung, Performance und Film.

Frühe Anleitungen und Fluxus

1956 zog Yoko Ono im Alter von 23 Jahren mit dem Komponisten und Pianisten Toshi Ichiyanagi nach New York City. 1960 mietete sie ein Loft in der Chambers Street 122 in Manhattan. Gemeinsam mit dem Komponisten La Monte Young veranstaltete sie dort Konzerte und Events, die ihnen und anderen Künstler*innen, Musiker*innen, Tänzer*innen und Dichter*innen eine Plattform boten. Sie präsentierte dort auch ihre ersten Instruction Paintings.

Im Juli 1961 eröffnete Onos erste Einzelausstellung in der AG Gallery in Manhattan. Paintings & Drawings by Yoko Ono zeigte über 15 Instruction Paintings. Die Gemälde wurden von kurzen Handlungsanleitungen begleitet und erst durch die Beteiligung der Künstlerin, des Publikums oder der Umgebung vollendet. Zu manchen der Werke gab es schriftliche Anleitungen, meist wurden sie von Ono jedoch vor Ort mündlich an Besucher*innen weitergegeben.

Die AG Gallery gehörte George Maciunas, einem Architekten und Designer, der später die Kunstbewegung Fluxus gründete. Diese lose, internationale Gruppe von Künstler*innen und Komponist*innen setzte sich für einen fließenden Übergang von Kunst und Leben ein und dafür, eine „lebendige Kunst“ für alle Menschen erfahrbar zu machen. Ono spielte bei der Entstehung dieser Bewegung eine wichtige Rolle und war Teil vieler Fluxus-Events.

Rückkehr nach Japan

Im März 1962 kehrte Yoko Ono für zweieinhalb Jahre nach Tokio zurück. Es war eine intensive und produktive Zeit, die sie mit der Vorbereitung von Ausstellungen, Events und Konzerten sowie der Planung ihres Künstlerinnenbuchs Grapefruit verbrachte. In dieser Phase entstanden zahlreiche Konzepte für neue Kunstwerke und einige ihrer wichtigsten Performances.

1962 zeigte sie im Rahmen ihres abendfüllenden Performanceprogramms Sogetsu Contemporary Series 15: Works of Yoko Ono im Sogetsu Art Center in Tokio über 30 Instructions for Paintings. Als Weiterentwicklung ihrer früheren Instruction Paintings wurden die Anleitungen diesmal lediglich als Abschrift auf Papier, ohne begleitende Leinwände gezeigt. Diese Veränderung in Onos Schaffen spiegelt sich auch in der Geschichte der Konzeptkunst wider: Leinwand wurde durch Sprache ersetzt und die Betrachter*innen selbst vervollständigten das Werk, sei es physisch oder rein in der Vorstellung. Die Idee an sich wurde zum Kunstwerk.

Gegen Ende ihrer Zeit in Japan entwickelte Ono verschiedene Performances. Im Rahmen von Contemporary American Avant-Garde Music Concert: Insound and Instructure in Kyoto führte sie 1964 erstmals Cut Piece auf, eine ihrer bekanntesten Performances. In der Ausstellung werden Dokumentationen davon gezeigt.

Strip Tease Show

Bevor Yoko Ono im September 1964 nach New York zurückkehrte, gab sie im Sogetsu Art Center in Tokio ein Abschiedskonzert mit dem Titel Strip Tease Show. Drei der Performances, die sie dort zeigte, thematisieren die Beziehung zwischen Betrachter*innen und Performer*innen: Während sich Ono in Cut Piece dem Publikum scheinbar schutzlos ausliefert, basieren Bag Piece und Strip Tease for Three auf der Verhüllung oder vollständigen Abwesenheit des Körpers. Durch diese Umkehrung spielte Ono bewusst mit der Schaulust der Zuschauer*innen, die nicht zuletzt durch den Titel des Events provoziert wurde. Gleichzeitig verschob sich der Fokus von der Bühne auf das Publikum.

In Bag Piece steigen die Performer*innen gemeinsam oder allein in einen schwarzen Sack. Durch die Bewegungen und Handlungen der Performer*innen – die sich etwa aus- und wieder anziehen oder auch einfach ein Nickerchen machen – entsteht eine sich verändernde Skulptur. Die Personen im Sack können durch den Stoff ins Publikum gucken, während die Zuschauer*innen nur erahnen können, was sich im Inneren abspielt. Auch Strip Tease for Three spielt mit den Erwartungen der Betrachter*innen: Die drei Stühle auf der Bühne blieben während der Performance leer.

Sich entblößen (englisch: „to strip“) bedeutet Ono zufolge nicht, sich anderen preiszugeben, sondern dass man etwas im Inneren Verborgenes entdeckt und „den Geist entblößt“. Diese Idee der Auseinandersetzung mit dem Selbst kennzeichnet viele Werke, die Ono bei ihren Konzerten in Japan aufführte.

Grapefruit und Kooperationen in Japan

In Japan arbeitete Yoko Ono an neuen Anleitungen und führte einige von ihnen öffentlich auf. 1964 brachte sie im Eigenverlag das Buch Grapefruit heraus. Es enthält über 200 Anleitungen, die zwischen 1953 und 1964 entstanden und in fünf Kapitel unterteilt sind: Musik, Malerei, Event, Lyrik und Objekt.

Onos Anleitungen können von jeder*m umgesetzt werden, sei es physisch oder in der Vorstellung. Sie wurden international viele Male aufgeführt, sowohl von Ono selbst als auch von anderen.

Zwischen 1962 und 1964 knüpfte Ono enge Beziehungen zu Künstler*innen in Japan, wie dem Filmemacher Yōji Kuri oder dem Künstlerkollektiv Hi Red Center, an deren Performance Shelter Plan sie teilnahm. Sie war Teil einer Gruppe von Künstler*innen, die die Massenkultur und die politischen Einstellungen der Nachkriegsgesellschaft kritisch hinterfragten.

Diese Kritik floss häufig auf unterschwellige oder spielerische Weise in Onos Werke ein. Beim Event Morning Piece verkaufte sie beispielsweise Glasscherben, auf denen jeweils ein zukünftiges Datum stand. In Ono’s Sales List, die sie nach ihrer Rückkehr aus Japan fertigstellte, bot sie sowohl materielle als auch rein konzeptuelle Werke zum Verkauf an und lenkte somit den Fokus auf die allgegenwärtige Konsumkultur.

Londoner Jahre

Im September 1966 wurde Yoko Ono eingeladen, am Destruction in Art Symposium in London teilzunehmen. Im Rahmen dieser Veranstaltung präsentierte sie verschiedene Werke und zeigte Shadow Piece erstmals als Performance. In einem Vortrag sprach sie außerdem über die wesentlichen Merkmale ihrer partizipativen Kunst: das Performative, das Alltägliche, das Persönliche, das Bruchstückhafte und das Unfertige. Dabei beschrieb sie Kunst als Motor für Veränderung und betonte die Rolle der Vorstellungskraft.

Im November 1966 eröffnete in der Londoner Indica Gallery eine Einzelausstellung von Ono. Dort wurden hauptsächlich weiße und durchsichtige Objekte gezeigt, die sie als „unvollendet“ bezeichnete. Die Besucher*innen waren dazu eingeladen, sich zu beteiligen und die Werke entweder physisch oder in der Vorstellung zu vervollständigen. Bei dieser Ausstellung lernte sie John Lennon kennen – ihren späteren Ehemann und langjährigen künstlerischen Partner. Als er sie fragte, ob er einen imaginären Nagel in ihr Painting to Hammer a Nail schlagen dürfe, dachte sie: „Da habe ich wohl einen Typ kennengelernt, der dasselbe Spiel spielt wie ich.“

Onos enge Verbindung zu anderen Künstler*innen, Musiker*innen und Schriftsteller*innen in London werden in ihrem FILM NO. 4 („BOTTOMS“) deutlich. Er zeigt Aufnahmen von rund 200 Hintern, die Ono zufolge die „gegenwärtige Londoner Szene“ abbildeten. Ihre Anleitung für dieses Werk lautete: „Reihe als Friedenspetition Hintern statt Unterschriften aneinander.“

Aktivismus und Musik

Die 1960er Jahre waren eine Zeit des Aufruhrs in den USA: Die Kämpfe der Bürger*innenrechtsbewegung, feministischer Aktivismus und zunehmende Proteste gegen den Vietnamkrieg prägten die öffentliche Diskussion im Land und weltweit. Vor diesem Hintergrund erregten Yoko Onos Arbeiten ein breites Interesse. Gemeinsam mit John Lennon nutzte Ono ihre künstlerische Arbeit und ihre globale Medienprominenz, um sich für den Weltfrieden einzusetzen. Ende der 1960er Jahre entwickelten sie die Plakatkampagne WAR IS OVER! IF YOU WANT IT und veranstalteten Bed-Ins für den Frieden. Ihre Botschaft gegen Gewalt klingt auch in ihrem Song Give Peace a Chance an, der zu einer Hymne der internationalen Friedensbewegung wurde.

Bereits Anfang der 1960er Jahre begann Ono, Filmmusik zu komponieren und ihre Stimme in Performances als Instrument einzusetzen. Ab der Veröffentlichung ihres ersten Albums im Jahr 1968 war sie musikalisch besonders produktiv.

In ihrer Musik behandelt Ono gesellschaftliche und politische Themen ebenso wie persönliche Erlebnisse. Viele der Stücke, die in diesem Raum zu hören sind, haben einen direkten Bezug zu Onos Kunstwerken und unterstreichen ihre aktivistischen Anliegen. Feministische Lieder wie Sisters, O Sisters, Woman Power und Rising, die Ono ab den frühen 1970er Jahren veröffentlichte, sollen Frauen ermächtigen, mutig und wütend zu sein und „eine neue Welt zu erschaffen“. Auch die Filme Freedom und FLY stehen für ihre Forderung, dass sich Frauen aus gesellschaftlichen Zwängen befreien.

Gewalt und Hoffnung

Yoko Onos Werk ist von einer starken Antikriegshaltung geprägt. Die Künstlerin ist davon überzeugt, dass die Welt eine bessere werden kann, wenn wir Gewalt gemeinsam entgegentreten. Viele ihrer Arbeiten fordern uns dazu auf, unsere Gegenwart aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

White Chess Set lädt dazu ein, mit ausschließlich weißen Schachfiguren auf weißen Schachbrettern zu spielen. Dabei verliert man schnell den Überblick, wer auf welcher Seite steht. Das Werk A HOLE macht diesen Perspektivwechsel noch deutlicher. Auf einer Glasscheibe mit Einschussloch steht: „Geh auf die andere Seite der Scheibe und schau durch das Loch.“ Bei Helmets (Pieces of Sky) können aus deutschen Wehrmachtshelmen blaue Puzzleteile entnommen werden. Erst in ihrer Gesamtheit ergeben die Teile ein vollständiges Bild des Himmels – für Ono ein Symbol grenzenloser Vorstellungskraft.

Ono war selbst von den Auswirkungen von Kriegen betroffen und ihre Werke nehmen häufig Bezug auf den Verlust und die Gewalt, die mit Flucht und Vertreibung einhergehen. Der Logik des kriegerischen Gegeneinanders setzt Ono die Kraft des gemeinschaftlichen Handelns entgegen: Ihr partizipatives Werk Add Colour (Refugee Boat) lädt euch dazu ein, eure Gedanken dort zu hinterlassen. Die Arbeit entstand 2016 als unmittelbare Reaktion auf die weltweiten Medienberichte über Hunderttausende Menschen, die bei der Flucht über das Mittelmeer ihr Leben riskierten. Sie steht für Onos Überzeugung, dass „wir uns diese Welt teilen“ und somit auch die Verantwortung für sie.

Das Private ist politisch

Die letzten Räume der Ausstellung zeigen eine Auswahl aus Yoko Onos Spätwerk. Diese Arbeiten setzen sich verstärkt mit Themen wie Mutterschaft und Vergänglichkeit auseinander. Geprägt von Onos Erinnerungen und persönlichen Erfahrungen thematisieren sie sowohl das Vergangene als auch das, was vor uns liegt. Beginnend mit ihrer Performance von Cut Piece im Jahr 2003 – fast 40 Jahre nach der ersten Aufführung der Arbeit – nimmt Ono hier auch Bezug auf die Verletzlichkeit des alternden Körpers.

In diesem Raum stellt das Werk My Mommy is Beautiful die persönliche Beziehung zur eigenen Mutter in den Mittelpunkt. Ono lädt euch ein, Erinnerungen an eure Mutter oder Fotografien von ihr hier an der Wand zu hinterlassen. Die Rolle der Mutter kann dabei im biologischen Sinne aber auch weit darüber hinaus verstanden werden. Eine zweite Arbeit mit demselben Titel befindet sich am Ausstellungsausgang an der Decke und zeigt Fotografien von Brüsten und Vulven. Die Platzierung wählte Ono sehr bewusst: „Man muss nach oben schauen, um die Vagina und die Brüste an der Decke zu sehen – so wie man als Baby auf den Körper der Mutter schaut.“

Die Ausstellung schließt mit der Soundarbeit Will I. Begleitet von einem Metronom, das den Takt schlägt, stellt Ono existentielle Fragen. Sie richtet den Blick dabei gleichzeitig in die Zukunft und in die Vergangenheit: „Werde ich den Himmel vermissen? Werde ich den Ozean vermissen? Werde ich Berührung vermissen? Werde ich Liebe vermissen? Werde ich?”