Jazzfest Berlin – Cairo

Maurice Louca’s Elephantine – Nancy Mounir – Philip Rizk & Nadah El Shazly: „Terrible Sounds“

Das Jazzfest Berlin 2021 fand vom 4. bis 7. November statt.

 

Wie dringt man aus der pandemischen Abgeschiedenheit zum Kern einer Szene vor, die in ihrem geografischen Zentrum offiziell keine Spielorte hat? Eine Möglichkeit besteht darin, ihren Protagonist*innen zu folgen. Im aktuellen politischen Klima Kairos führt deren Spur oft ins Ausland und – nicht selten über Berlin – auf das transnationale Terrain digital vernetzter Musiker*innen.

Maurice Louca, selbst Pendler zwischen Städten und Genres, hat dem Festivalteam tiefe Einblicke in sein reichhaltiges Netzwerk an Künstler*innen aus der ägyptischen Hauptstadt gewährt und als Co-Kurator das Programm des Jazzfest Berlin – Cairo mitgestaltet.

In zahlreichen Gesprächen über und vor allem mit zeitgenössischen Vertreter*innen der Experimentalszene vor Ort hat sich immer wieder bestätigt: Selbstbestimmte musikalische Praxis birgt immer auch ein subversives Moment – ganz gleich, ob dabei der mikrotonale Feinsinn ägyptischer Sänger*innen in Kairo um 1930, der anarchische Geist ägyptisch-deutscher Free Jazz-Sessions in den 1970er-Jahren oder digitale und improvisatorische Ansätze in städteübergreifenden Kooperationen zu Zeiten der Pandemie im Vordergrund stehen.

Neben einem Live-Konzert von Maurice Louca mit seinem Projekt Elephantine befassen sich zwei künstlerische Videoarbeiten und ein Digital Guide mit der zeitgenössischen kreativen Musikszene Kairos und der postkolonialen (Musik-)Geschichte Ägyptens und deuten im Horizont aktueller und historischer Hegemonien die Möglichkeit eines alternativen Kanons ägyptischer Musik an.

„Der Vorschlag, Musiker*innen aus Kairo als Programm-Fokus eines Jazzfestivals zu featuren, kam für mich im ersten Moment etwas überraschend, da selbst enthusiastische Kenner*innen der ägyptischen Musik Kairo keine florierende Jazz-Szene zuschreiben würden. Warum sich Jazz in Kairo zumindest als eng gefasster Genrebegriff nie so recht etablieren konnte, war Gegenstand vieler Mutmaßungen.
Geht man jedoch weniger von dem Genrebegriff aus als vielmehr davon, was Jazz im Kern ausmacht, so lassen sich zahlreiche Verbindungen und Parallelen zur arabischen Musik finden: Improvisation als zentrales Element, die musikalische Erkundung von Form oder das Wechselspiel von individueller Aktion und kollektivem Geist. Im Spiegel dieser Querverbindungen erscheint es also mehr als passend, der einzigartigen Experimental-Szene Kairos einen Fokus beim Jazzfest Berlin zu widmen.“

Maurice Louca (Kairo)