Episode 1 – STATIC
Blick auf die Skyline von Johannesburg
© Tseliso Monaheng
Johannesburg. Joburg. Jozi. Welchen Namen auch immer man dieser pulsierenden afrikanischen Metropole geben möchte und von welchem Standpunkt aus man sie auch betrachtet, man gelangt immer zur gleichen Erkenntnis: Johannesburg zu erleben, kann das Leben verändern – im wahrsten Sinne des Wortes.
Schablonenkunst im Stadtviertel Maboneng
© Tseliso Monaheng
Für Musiker*innen, die in Johannesburg leben oder regelmäßig hier auftreten, ist die Stadt ein Paradies. Die Menschen kommen in Scharen zu den Konzerten und ihre Liebe zur Musik ist echt. Siya Makuzeni, die seit fast zwei Jahrzehnten in Johannesburg lebt, sagt: „Das ist wirklich etwas Schönes. Ich habe fast alle der unterschiedlichen kulturellen Bewegungen miterlebt, die in Johannesburg entstanden sind. Und das, was in meinen Augen dabei immer gleich geblieben ist [...], ist ihre völlige Authentizität.“
Sibusile Xaba, der in der 60 Kilometer entfernten Stadt Tshwane lebt, schließt sich dieser Meinung an: „Was Auftritte und die Möglichkeit, ein breites Publikum zu erreichen, angeht, ist Joburg unsere Spielwiese, unser New York eben. Wir kommen her, weil wir hier alle Möglichkeiten haben.“
Johannesburg ist Gefühl und Erfahrung zugleich, etwas das sich nur schwer in Worte fassen lässt. Es ist aber auch eine Stadt, die mit denselben Realitäten zu kämpfen hat wie Städte anderswo: Die Gentrifizierung trifft den Lebensnerv der Stadt – die Künstler*innen und Macher*innen – und verdrängt sie an die Peripherie, während die weit verbreitete Korruption es den lokalen Behörden schwermacht, die Grundversorgung aufrechtzuerhalten. Der Zustand der Straßen lässt viel zu wünschen übrig und Wasser sowie andere menschliche Grundbedürfnisse werden als zweitrangig behandelt. Hinzu kommt die COVID-19-Pandemie, die manchen Menschen das Überleben fast unmöglich macht und dazu geführt hat, dass bedeutende Veranstaltungsorte ihre Türen schließen mussten. Doch die Stadt atmet und die Stadt lebt. Und Musik ist immer dort, wo Worte fehlen, um die Lücken zu füllen.
Musikbogen-Spielerinnen
© Tseliso Monaheng
Die Posaunistin, Komponistin und Sängerin Siya Makuzeni wurde in East London geboren und lebt seit vielen Jahren in Johannesburg. Sie ist vor allem für ihre Arbeit mit Marcus Wyatt bekannt, doch sind ihre anderen Projekte nicht minder bedeutend. Sie wagt sich regelmäßig über die Grenzen des Jazz hinaus und betritt experimentelles Terrain, beispielsweise mit Projekten wie SPAZA von Mushroom Hour oder mit ihrer eigenen Rockband IppYFuzE. Im Vorfeld ihres Konzertes beim Jazzfest Berlin spricht die Musikerin über ihre Gefühle zur Johannesburger Musikszene und erzählt, was die Stadt ihr im Lauf der Jahre gegeben hat.
Siya Makuzeni wurde 2016 zur Standard Bank’s Young Artist for Jazz gekürt und veröffentlichte im selben Jahr ihr Projekt „Out Of This World“. Ihr jüngster Beitrag ist auf dem interkontinentalen Album „On Our Own Clock“ zu hören, das gemeinsam vom Johannesburger Label Mushroom Hour Half Hour und Londons Total Refreshment Centre veröffentlicht wurde.
Siya Makuzeni
© Tseliso Monaheng
Interview mit Siya Makuzeni
© Tseliso Monaheng
„Wir sind aus Zululand direkt nach Pretoria gekommen – das Land von Tshwane, eine sehr schöne Gegend“, sagt Sibusile Xaba. Als Farmer, Komponist und Sänger gehört er zu einer Generation, der es gelungen ist, ihre historischen Wurzeln anzuzapfen und darin Orientierung für die Zukunft zu finden. Sibusile Xaba ist keiner, der sich auf einen bestimmten Sound festlegen lässt. Während er in der Vergangenheit eher für gitarrenbasierten afrikanischen Folk stand, tüftelt er in letzter Zeit an einer Art Aufbruch. IzangoMa, das Ensemble, das er mit seinem musikalischen Partner AshK gegründet hat, betreibt freiheitliche Weltraumforschung in Klangform – eine seltene afrikanische Odyssee.
„Wir freuen uns sehr, das 15-köpfige Ensemble IzangoMa zu präsentieren. Es ist eine Art interkontinentale Zusammenarbeit. Meine Band aus Mosambik kommt her, um mit meiner Band vor Ort zu arbeiten. Das ist ein schöner Ausblick auf die vor uns liegende Zukunft“, sagt Sibusile Xaba.
Sibusile Xaba
© Tseliso Monaheng
Interview mit Sibusile Xaba
© Tseliso Monaheng
Was als Gespräch über indigene Wissenssysteme zwischen zwei hoch angesehenen Musiker*innen beginnt, entwickelt sich zu einem angeregten, generationsübergreifenden Austausch von Ideen und Lektionen. Unter Anleitung des Heilers und kreativen Denkers Makhosi Khnysa diskutiert Madosini, eine Ikone am Musikbogen, gemeinsam mit dem visionären Komponisten und Pianisten Nduduzo Makhathini die geschichtsträchtige Tradition ihres Instruments und dessen Funktion in der Gesellschaft.
Wandgemälde von Busi Mhlongo
© Tseliso Monaheng
Madosini taucht dabei tief in ihre Erlebnisse als junge Frau ein, während Nduduzo Makhathini darlegt, weshalb Geschichten wie ihre seiner Meinung nach für den Lernprozess junger Menschen förderlich sein können, ja sogar Freude am Lernen bereiten, weil die Schüler*innen ihnen einen historischen Sinn beimessen – wohingegen westliche Lehrmethoden für viele Afrikaner*innen keinen wirklichen Wert haben, der über das Erreichen guter Noten und das Bestehen von Kursen hinausgeht. Makhathinis Erfahrung im akademischen Bereich – er leitet das Musikprogramm an der Universität von Fort Hare – und Madosinis Leidenschaft für Wissensvermittlung sind durchweg spürbar. Ein vielschichtiger Austausch, der von Wärme und gegenseitigem Respekt zwischen allen Beteiligten geprägt ist.
Madosini, Nduduzo Makhathini und Makhosi Khnysa im Gespräch
© Tseliso Monaheng
Im Anschluss an die diesjährige Festivalausgabe ist ein weiteres Gespräch über indigenes Wissen im Jazz und in der kreativen Musik Südafrikas entstanden. Die Musikerin Lungiswa Plaatjies war gemeinsam mit Madosini und Cara Stacey beim Jazzfest Berlin 2021 zu erleben. Ihre Gedanken und Erfahrungen zu diesem Thema tauscht sie mit der Expertin für indigene Musik Nandipha Mnyani und der Journalistin und traditionellen Heilerin Vuyiswa Xekatwane aus.
Video „Indigenous Knowledge Systems in Jazz and Creative Music“
Für sein neuestes Kooperationsprojekt Happenstance erstellte der Komponist und Bassist Shane Cooper eine „vielschichtige Reihe von Klangbüchern“, die er dann im Studio neu arrangierte. Seine Idee bestand darin, eine Umgebung zu schaffen, in die er befreundete Musiker*innen einladen konnte, um „auf der Basis einiger Ideen und Skizzen eine Fülle an Musik“ zu erzeugen und musikalische Diskussionen zu verschiedenen Themen zu führen.
Dies wurde möglich dank der Unterstützung des Centre for the Less Good Idea des Künstlers William Kentridge, wo Shane Cooper so vielseitige Musiker*innen wie Bokani Dyer, ein Mitglied von seiner Band MABUTA, die Sängerin Zoë Modiga, den Perkussionisten Gontse Makhene sowie den Schlagzeuger Jonno Sweetman um sich versammelte.
„Die spezielle Live-Performance beim Jazzfest Berlin mit dem Dinaledi Chamber Ensemble stützt sich auf Erfahrungen aus dem Happenstance-Projekt; sie basiert auf Teilen dieser Erfahrung und dieser Reise, die ich in ihrer künstlerischen Energie als sehr inspirierend empfand“, erläutert Shane.
Shane Cooper
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Interview mit Shane Cooper
© Tseliso Monaheng
Tseliso Monaheng arbeitet seit 10 Jahren als freiberuflicher Schriftsteller, Fotograf, Filmemacher und Videoredakteur. Er lebt in Johannesburg, schreibt für Print- und Online-Medien und hat Beiträge für Publikationen wie The Guardian, The Fader, Red Bull, Chimurenga, Rolling Stone und Africa is a Country verfasst.