Konzert
Mary Halvorson, Sylvie Courvoisier // Apparitions // Aki Takase, Alexander von Schlippenbach © C. Mardok, Courtesy of the Artists, Dirk Bleicker
Dieser Konzertabend steht ganz im Zeichen von Kollaboration: Die Gitarristin Mary Halvorson stellt ihre Zusammenarbeit mit der Pianistin Sylvie Courvoisier vor, gefolgt von einem deutsch-französischen Kollaborationsprojekt, bei dem sich 30 junge Sänger*innen aus Berlin mit drei avantgardistischen Ensembles aus Paris die Bühne teilen. Den fulminanten Abschluss des Konzerts bilden zwei Jazz-Granden: Aki Takase und Alexander von Schlippenbach beim vierhändigen Klavierspiel.
18:00
(CH, US)
Wie so viele Kollaborationen im Jazz geht das Duo von Pianistin Sylvie Courvoisier und der Gitarristin Mary Halvorson aus dem gemeinsamen Improvisieren hervor. Angesichts der besonderen Verbindung, die beide von Beginn an verspürten, ließ der erste gemeinsame Besuch im Aufnahmestudio nicht lange auf sich warten: 2017 vertieften sie ihr intuitives Zusammenspiel bei der Aufnahme ihres Albums „Crop Circles“ (2017) und ergänzten es um Kompositionen, die sie für andere Projekte geschrieben hatten. Es folgte das Album „Searching for the Disappeared“ (2021) mit Musik, die Courvoisier und Halvorson eigens für ihr Duo komponiert hatten. Damit hievten sie ihre energiegeladene musikalische Interaktion, die bereits ihre früheren Arbeiten ausmachte, auf ein neues Level und verwoben Melodielinien zu Harmonien, die sich durch komplexe Klanggeflechte bewegen.
Die in der Schweiz geborene Courvoisier ist seit Jahrzehnten eine feste Größe der New Yorker Jazz-Szene. Wie auch Halvorson, Stipendiatin der MacArthur Foundation und eine der profiliertesten Gitarristinnen ihrer Generation, scheint sie derzeit auf dem Höhepunkt ihres Schaffens zu stehen. Zusammen agieren die beiden geradezu traumwandlerisch, wenn sie auf die spontanen Eingebungen der anderen reagieren und faszinierende Klangwelten schaffen – ganz gleich, ob sie sich komponiertem Material oder dem freien Improvisieren zuwenden. Die beiden lassen unterschiedlichste Bezüge so selbstverständlich und beiläufig einfließen, als wären sie organisch gewachsen. Dabei steckt in ihrer Musik durchaus Spannung und Dissonanz – etwa, wenn die klassisch geprägte Grundierung von Courvoisiers Spiel auf die rockige Prägnanz von Halvorsons Gitarre trifft. Und auch wenn ihre Duette bisweilen vieldeutig und widerspenstig wirken: die bemerkenswerte Bindung zwischen ihnen ist immer herauszuhören.
Sylvie Courvoisier – Klavier
Mary Halvorson – Gitarre
19:30
(FR, DE, IT)
Das französische Quartett Novembre präsentiert beim diesjährigen Jazzfest Berlin ein ebenso außergewöhnliches wie spannendes Projekt: Unter der Einbeziehung junger Singstimmen zwischen neun und zwölf Jahren aus zwei renommierten Berliner Kinderchören realisiert das Ensemble eine einzigartige Version seines Programms „Apparitions“, während Lichteffekte und Choreografien den Raum in Szene setzen. Die Band wird dabei um ein Cello-Trio sowie eine zweite Jazzcombo namens Bribes erweitert, um ihr Album „Encore“ neu zu interpretieren. Dank der engen Zusammenarbeit der Komponisten Antonin Tri-Hoang und Romain Clerc-Renaud mit den Berliner Chorleiter*innen Gudrun Luise Gierszal und Eva Spaeth sowie zweier intensiver Probenphasen in Berlin sind die Kinder und Jugendlichen des Mädchenchors der Sing-Akademie zu Berlin und des Staats- und Domchor der Universität der Künste Berlin integraler Bestandteil der Performance und greifen mit Gesang und perkussiven Elementen aktiv in das musikalische Geschehen ein.
Zehn Jahre liegen zwischen dem Debütalbum von Novembre aus dem Jahr 2013 und seinem Nachfolger „Encore“, doch das lange Warten hat sich gelohnt. „Encore“ liefert sprunghafte, doch gleichzeitig überraschend logische Übergänge zwischen Bebop-Passagen im Stile eines Lennie Tristano und Free Jazz. Das Repertoire der Band stammt zu gleichen Teilen aus den Federn von Saxofonist Antonin Tri-Hoang und Pianist Romain Clerc-Renaud, die auch bei der spielerischen Umsetzung ihrer Kompositionen stets auf einer Wellenlänge liegen und die teils diffizilen Läufe in perfektem Unisono abliefern. Bei der Rastlosigkeit der Übergänge zwischen den einzelnen Episoden in „Miniatures“ könnte man mitunter meinen, ein Kind würde einen CD-Wechsler bedienen; es handelt sich aber um eine virtuose Live-Combo, die immer wieder abrupt stoppt, um nur kurze Zeit später dort wieder einzusetzen, wo sie einige Sequenzen zuvor aufgehört hat. Das Erstaunliche dabei ist, dass sie es selbst in den wildesten Sprüngen und Brüchen noch schaffen, die unterschiedlichen Elemente miteinander harmonieren zu lassen.
Die Band wird ergänzt von Bassist Thibault Cellier und – speziell für das Konzert beim Jazzfest Berlin – um Schlagzeuger Sylvain Darrifourcq. Zusammen bewegen sich die Musiker*innen durch hochfokussierte, minutiös ausgearbeitete Arrangements und springen mit einer Mischung aus Präzision und übersprudelnder Spielfreude hin und her zwischen auskomponiertem Material und freier Improvisation.
Novembre
Romain Clerc-Renaud – Klavier, Komposition, Tasteninstrumente
Antonin-Tri Hoang – Saxofon, Komposition
Thibault Cellier – Kontrabass
Sylvain Darrifourcq – Schlagzeug
Bribes
Linda Olah – Gesang
Geoffroy Gesser – Saxofon
Francesco Pastacaldi – Schlagzeug
Gulrim Choi – Cello
Adèle Viret – Cello
Myrtille Hetzel – Cello
Mädchenchor der Sing-Akademie zu Berlin
Kapellknaben des Staats- und Domchor Berlin
Gudrun Luise Gierszal, Eva Spaeth – Leitung
Sitali Dewan – Assistenz
Das diesjährige Online-Magazin „Story“ zum Thema „(Un-)Learning Jazz“ fragt nach den Bedingungen der musikalischen Ausbildung im Bereich Jazz. Wie können Kinder an Musik und Improvisation herangeführt werden, ohne dass ihre „natürliche“ Kompetenz auf dem Gebiet Spiel und Intuition geschmälert wird? Einblicke zum Projekt „Apparitions“ erhalten Sie in der „Story“.
Arrangement und Zusammenarbeit / Workshop mit den Berliner Kinderchören auf Initiative von Berliner Festspiele / Jazzfest Berlin in Kooperation mit der Universität der Künste Berlin
21:00
(JP, DE)
Die Pianistin Aki Takase und der Pianist Alexander von Schlippenbach sind Urgesteine der Berliner Jazz-Szene. Als Partner am Klavier und im Leben, schließlich sind die beiden auch privat ein Paar, wird ihre jahrzehntelange Erfahrung des Musikmachens, gemeinsam wie in jeweils eigenen Projekten, nicht nur beim Spiel auf der Bühne spürbar. Ihre gemeinsamen Aufnahmen, die seit den frühen 1990er Jahren entstanden sind – ob im Duo oder mit Band, wie bei ihrer Hommage an Eric Dolphy – sind geprägt von der Verbindung aus Takases eher auf Tradition beruhender Spielweise und den stürmischen, von Neuer Musik inspirierten Improvisationen ihres Mannes. Anfang dieses Jahres veröffentlichten die beiden ihr vielleicht bisher stärkstes Album, „Four Hands Piano Pieces“, das sie beim vierhändigen Klavierspiel am selben Instrument einfängt. In den Liner Notes erklärt Schlippenbach, dass es hilfreich war, sich vorab auf ein ungefähres Konzept festzulegen – wie etwa die intervallischen Sprünge, die die Bewegung des Motivs des „Jumping Jack“, des titelgebenden Hampelmanns, vorantreiben, das fokussierte Hin und Her in „Dialogue“ oder die in Klang übersetzte Vorstellung einer grotesken Tanznummer in „N. Dance“. Doch braucht es derlei Hintergrundinformationen gar nicht unbedingt, um sich von ihrem Können verzaubern zu lassen, wenn sie in Echtzeit kraftvoll klangliche Räume austarieren. Mit der Präzision eines Uhrmachers entwickeln sie zerklüftete Melodienlinien, selbst wenn noch unklar ist, wohin die musikalische Reise geht. Mittlerweile musizieren die beiden seit über vier Jahrzehnten gemeinsam. Was dies für ein enormer Gewinn ist, zeigt sich spätestens bei Auftritten zu zweit. Dann schimmern ihre geradezu telepathischen Fähigkeiten durch, die es ihnen ermöglichen, die Idee des anderen zu Ende zu führen – oder schon längst dort zu sein, wohin der andere gerade strebt.
Aki Takase – Klavier
Alexander von Schlippenbach – Klavier