Konzert
Nancy Mounir // Fred Frith, Mariá Portugal, Susana Santos Silva // Paal Nilssen-Love’s Circus © Eslam Abd El Salam, Heike Liss, Joana Linda, Florian Dürrkopp, Petra Cvelbar
Der Abend auf der Großen Bühne wird mit einer audiovisuellen Konzert-Performance der ägyptischen Multiinstrumentalistin Nancy Mounir eröffnet, die die mikrotonale Musik ägyptischer Sängerinnen aus den 1920er-Jahren wiederbelebt. Im Anschluss trifft in freigeistigen Trioimprovisationen der Gitarrist Fred Frith, eine Ikone der improvisierten Musik, auf die Trompeterin Susana Santos Silva und Schlagzeugerin Mariá Portugal, bevor sich Paal Nilssen-Love die Manege mit seinen Mitmusiker*innen von Circus teilt.
17:30 / Deutschlandpremiere
(EG, DE, UK, DK)
Beim Jazzfest Berlin 2021 zeigte die ägyptische Musikerin und künstlerische Forscherin Nancy Mounir eine filmische Version ihres außergewöhnlichen Albums „Nozhet El Nofous“ (2022). Die Videoarbeit war Teil eines digitalen Programmschwerpunkts zu Künstler*innen aus Kairo, São Paulo und Johannesburg, die pandemiebedingt nicht nach Berlin reisen konnten.
Dieses Jahr ist Mounir mit ihrem Projekt endlich live in Berlin zu erleben. Gemeinsam mit ihrem Quintett aus Ägypten sowie einem Streichquartett aus Berlin präsentiert sie Arrangements von ausgewählten Stücken ägyptischer Sängerinnen, deren Stimmen im Zuge des Kongresses für Arabische Musik in Kairo 1932 zum Verklingen gebracht wurden, als die regionale Variabilität der Stimmungssysteme standardisiert und damit eine Vielzahl mikrotonaler Ansätze ausgeschlossen wurde. Mounir hat die Stimmen dieser Sängerinnen wieder zum Leben erweckt, indem sie ihren Gesang von alten 78-RPM-Aufnahmen übertragen und in schillernde neue Arrangements eingebettet hat, womit sie das Ausmaß der Verdrängung von damals eindrücklich zum Vorschein bringt. Mounirs Videoarbeit von 2021 fand ihren Höhepunkt in einer performativen Intervention im Institut für Arabische Musik, wo der Kongress vor 91 Jahren stattfand. Ihr diesjähriges Berlin-Debüt bewegt sich weiterhin zwischen arabischer Tradition und zeitgenössischen Elementen und wird von neuem Archivmaterial begleitet. Mounir macht diese alten Aufnahmen für eine neue Generation zugänglich – umso mehr, da die alten Originaltexte Ideen und Emotionen thematisieren, die von nachfolgenden Generationen in Ägypten für weiblich gelesene Personen zum Tabu gemacht wurden. In diesem Sinne ist Nancy Mounir nicht nur Archivarin, sondern auch Visionärin.
Nancy Mounir – Violine, Theremin, verschiedene Instrumente
Youssra El Hawary – Akkordeon
Nadia Safwat – Trompete
Thodoris Ziarkas – Kontrabass
Mounir Maher – Klavier
Lokale Musiker*innen
Meike-Lu Schneider – Violine
Julia Brüssel – Violine
Maria Reich – Viola
Anil Eraslan – Cello
Ebaa Eltamami, Haitham El Wardany – Sprecher*innen
Katia Halls – Untertitel
18:45
(UK, PT, BR)
Der britische Gitarrist Fred Frith zählt als passionierter Improvisationskünstler zu den großen Namen in der experimentellen Musik. Als Gründungsmitglied von Henry Cow brachte er in den 1960er-Jahren den Experimental Rock mit ins Rollen. Ein gutes Jahrzehnt später löste sich die Band auf. In der Zwischenzeit hatte Frith eine eigene Improvisationssprache für E-Gitarre entwickelt, mit der er jegliche stilistische Konvention unterlief, und parallel dazu neue Extended Techniques eingeführt hatte. Seine Handschrift: freigeistige Erzählungen, fernab jedweder Formelhaftigkeit. Doch auch in verschiedenen anderen Konstellationen war Frith an einer Reihe von musikalisch prägenden Projekten beteiligt – vom Jump-Cut-Ethos von John Zorns Naked City über den knirschenden Art Rock der Experimentalband Massacre mit Bill Laswell bis hin zum fesselnden Sound, den er als Skeleton Crew zusammen mit dem Cellisten Tom Cora kreierte.
Bereits seit einigen Jahren kollaboriert Frith mit der gebürtigen Portugiesin Susana Santos Silva. War die virtuose Trompeterin zunächst Gastspielerin in seinem Trio, so haben die beiden unlängst als musikalisch ideenreiches Duo zusammengefunden. Auch Santos Silva, die beim Jazzfest Berlin 2021 gemeinsam mit der Pianistin Kaja Draksler im Pierre Boulez Saal ein unvergessliches Set spielte, zeichnet sich durch eine außergewöhnliche Offenheit für verschiedene Stile aus. Ursprünglich in der klassischen Jazz-Tradition verortet, stößt ihre musikalische Praxis immer wieder in neue Terrains vor. So scheuen die beiden auch auf ihrem kürzlich erschienenen Debütalbum „Laying Demons to Rest“ keine Experimente, um musikalische Geschichten von emotionalem Gewicht zu erzählen, geprägt von verspielten Abschweifungen, überraschenden Wendungen und einem nur schwer zu fassenden Timbre.
Bei ihrem diesjährigen Auftritt beim Jazzfest Berlin werden sie von der vielseitigen Schlagzeugerin und Komponistin Mariá Portugal begleitet, die beim Jazzfest Berlin vergangenes Jahr mit ihrer Band Quartabê begeisterte. Begegnungen sowohl zwischen Frith und der in São Paulo geborenen Portugal als auch zwischen Santos Silva und Portugal gab es bereits im letzten Jahr – höchste Zeit, dass sie nun in diesem vielversprechenden Trio aufeinandertreffen.
Fred Frith – E-Gitarre
Susana Santos Silva – Trompete
Mariá Portugal – Schlagzeug
Das diesjährige Online-Magazin „Story“ zum Thema „(Un-)Learning Jazz“ bietet interessante Einblicke in das Leben und Werk von Fred Frith und fragt nach den Bedingungen einer Jazz-Ausbildung. Welche Kritik am akademischen System ist berechtigt und wie findet man seinen eigenen Weg im weit verzweigten Jazz-Biotop? Die „Story“ wirft u. a. Schlaglichter auf das Schaffen von Fred Frith.
20:00
(NO, DK, SA)
In den letzten Jahrzehnten waren wenige Musiker*innen so viel auf Tour unterwegs wie der norwegische Schlagzeuger Paal Nilssen-Love. Als die Pandemie das Reisen mit einem Schlag unmöglich machte, nutzte er die ungewohnte freie Zeit, um eine neue Band ins Leben zu rufen. Mit diesem fantastischen Ensemble erkundet Nilssen-Love neues Terrain abseits des wilden Free Jazz, dem er sich als Mitglied von The Thing, als Leader der Large Unity Big Band und in unzähligen anderen Kontexten verschrieben hat.
Eine treibende Kraft bleibt er auch im neuen Septett mit dem programmatischen Namen Circus – nur teilt er sich die Manege freigiebiger als zuvor mit seinen neuen Mitmusiker*innen, von denen unter anderem die südafrikanische Schauspielerin und Sängerin Juliana Venter besonders heraussticht. Auf dem sensationellen Album „Pairs for Three“ von 2022 ist sie nicht nur als Sängerin präsent, sondern auch als Performerin: Sie beschwört Stimmen herauf, erzählt Geschichten und überführt die Mischung aus Originalstücken des Schlagzeugers und traditionellen brasilianischen Themen in ein fragmentarisches Narrativ. Die Gruppe manövriert dabei bemerkenswert anmutig zwischen Chaos und Groove, durch tanzbare Rhythmen, schweißtreibende Improvisationen und wilden Tumult. Die meisten der Musiker*innen verbindet eine langjährige Zusammenarbeit mit Nilssen-Love: Trompeter Thomas Johansson, Saxofonistin Signe Emmeluth, Akkordeonist Kalle Moberg und Bassist Christian Meaas Svendsen haben allesamt in Large Unit gespielt – und Newcomerin Oddrun Lilja Jonsdottir an der Gitarre fügt dem Ganzen eine melodische Note hinzu.
Juliana Venter – Gesang
Thomas Johansson – Trompete
Signe Emmeluth – Altsaxofon
Oddrun Lilja Jonsdottir – Gitarre
Kalle Moberg – Akkordeon
Christian Meaas Svendsen – Kontrabass
Paal Nilssen-Love – Schlagzeug