Die aktuellen Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) lassen kaum einen Bereich des Lebens unberührt. Sie eröffnen neue Möglichkeiten und Verbindungen, kreieren und reproduzieren dabei aber auch Ausschlüsse. In rasanter Geschwindigkeit entstehen immer mehr selbstlernende Maschinen. Anstatt Fragen aufzuwerfen, neigen die neuen KI-Modelle dazu, zu halluzinieren und vermeintlich universelle Antworten vorzugeben. Das Programm Ether’s Bloom möchte einen spekulativen Raum eröffnen, in dem den Erwartungen, Befürchtungen und der Kritik an diesen Technologien in ihren experimentellen, ethischen und poetischen Dimensionen begegnet werden kann.
Die Künstler*innen und Denker*innen in Ether’s Bloom laden uns ein, die Beziehungen zueinander, zu menschlichen und nicht-menschlichen Lebensformen und zu Maschinen zu überdenken. Aus unterschiedlichen Perspektiven und Ansätzen heraus nutzen sie selbstlernende Technologien als Werkzeug oder Thema, um bisher unbeachtete Geschichten zu beleuchten. Wie verändert KI unser Zusammenleben? Und wie können wir verantwortungsvoll die Rolle von KI in unserer vernetzten Zukunft verhandeln?
Zu den verschiedenen Formaten von Ether’s Bloom gehören künstlerische Auseinandersetzungen, ein neues Writer in Residence-Format mit K Allado-McDowell, der Podcast Beyond and Within: AI Talks, sowie Gespräche und Workshops. Zentraler Bestandteil ist die Entwicklung einer App, in welche die Ideen und kritischen Fragestellungen von Ether’s Bloom einfließen. Sie arbeitet mit neuen Technologien, um mehr Zugänge zu ermöglichen. Die App wird ab Frühjahr 2024 verfügbar sein.
Ether’s Bloom: Ein Programm zu Künstlicher Intelligenz, Elisa Giardina Papa, Installationsansicht, Gropius Bau (2023)
Foto: Luca Girardini
Elisa Giardina Papas Video-Trilogie wird im Rahmen von Ether’s Bloom zum ersten Mal zusammen gezeigt. Sie untersucht, wie Kl und digitale Ökonomien Praktiken von Arbeit und Fürsorge verändern.
Die Videoinstallation Technologies of Care (2016) versammelt Geschichten von Freiberufler*innen, die online Care-Arbeit leisten. Sie befragt die komplexen Beziehungen zwischen Arbeit, Gender und den ethischen Herausforderungen, mit denen Online Arbeiter*innen oft konfrontiert sind. Mithilfe anonymisierter digitaler Bilder gewahrt das Video einen Einblick in das Leben derer, die die Wirtschaft der On-Demand Pflege aufrechterhalten.
Cleaning Emotional Data (2020) vertieft diese Beschaftigung und nimmt neu entstehende Formen der KI-Mikroarbeit in den Blick. Für diese Videoinstallation „putzte“ Giardina Papa für mehrere Unternehmen Daten, die später zum Trainieren von Algorithmen zur Erkennung von Gefühlen verwendet wurden. Zu Giardina Papas Aufgaben gehörte die Kategorisierung menschlicher Emotionen, die Kennzeichnung von Gesichtsausdrücken und die Aufnahme ihres eigenen Gesichts fur die Animation dreidimensionaler Avatare. Die Videoinstallation dokumentiert ihre Tätigkeit und zeigt gleichzeitig die Vorurteile auf, die sowohl in historischen als auch in aktuellen Technologien zur Kategorisierung menschlicher Ausdrucksformen bestehen.
Was bleibt radikal unberechenbar? — Elisa Giardina Papa
Elisa Giardina Papa, Labor of Sleep, Have you been able to change your habits??, 2017
Courtesy: die Künstlerin und Galerie Tanja Wagner, Berlin; im Auftrag des Whitney Museum of American Art
Elisa Giardina Papas Labor of Sleep, Have you been able to change your habits?? (2017) ist eine Serie von sechzehn kurzen Videofragmenten, die auf skurrile Weise auf Tutorials zur Selbstoptimierung verweisen. Das internetbasierte Kunstwerk thematisiert, wie Fitness-, Wellness- und Schlaf-Apps zunehmend als Heilmittel für die Krisen des öffentlichen Gesundheitssystems verwendet werden. Die Videoclips erscheinen täglich bei Sonnenaufgang und Sonnenuntergang auf der Website des Gropius Bau.
Was müssen wir jetzt begraben, damit die, die nach uns kommen, ernten können? — Mimi Ọnụọha
Mimi Ọnụọhas Arbeiten thematisieren, wie das kulturelle Verständnis von Wissen und Unterschieden, die von historischen und kolonialen Begegnungen geprägt wurden, in Technologien gespeichert sind. Die Künstlerin verweist auf die Widersprüche, die in der Vorstellung vom technologischen „Fortschritt“ liegen und fragt nach einem umfassenderen Verständnis von Technologie, das die Traditionen und Werte derjenigen mit einbezieht, deren Geschichten im Namen des Fortschritts ausgelöscht wurden.
Der Kurzfilm These Networks in Our Skin (2021) zeigt Menschen, die die Kabel und Geräte des Internets benutzen, um ihre eigenen traditionellen Erzählungen zurückzufordern. Das Werk arbeitet mit suggestiven Bildern und Klängen und ist von der Kosmologie der Igbo inspiriert. In einigen Igbo-Traditionen greift Ala, die Göttin der Erde und der Unterwelt, in menschliche Aktivitäten ein und wird mit Kunstwerken und Geschenken beschworen. Die Frauen in Ọnụọhas Film adaptieren Igbo- und andere Kosmologien für die digitalen Infrastrukturen, die uns umgeben. Indem sie die materiellen Realitäten des Internets neu verbinden und verweben, gestalten sie das Netzwerk so um, dass es ihre eigene Präsenz und kulturellen Überzeugungen und Werte widerspiegelt.
Für die Installation The Cloth in the Cable (2022) füllt Ọnụọha Kabel mit Gewürzen, Stoffen, Staub, Yellow-Madras-Curry-Pfeffer, geräuchertem Paprika, gemahlener Kalebassenmuskatnuss und anderen Materialien und lädt sie so mit neuen Bedeutungen auf. Die Arbeit erweitert die Geschichte des Internets und versinnbildlicht seine Macht über Räume und Geschichten. Für die hier ausgestellte Version lud Ọnụọha hn. lyonga ein, ein in Berlin lebender Schriftsteller, Dichter und Community-Organisator und aktuell Neighbour in Residence am Gropius Bau, um die Arbeit mit einer ortsspezifischen Beigabe aus Besenfasern zu erweitern.
Ọnụọha verweist auf die Auslassungen und Leerstellen, die durch Computer- und Dateninfrastrukturen entstehen – auf das, was ausgeblendet und unsichtbar wird. Ihre Arbeit korrigiert diese „algorithmische Gewalt“ (Mimi Ọnụọha) und damit die ausschließenden und unterdrückenden Tendenzen der Technologie, indem sie neue Räume der Fürsorge, Teilhabe und Verbundenheit schafft.
Ether’s Bloom: Ein Programm zu Künstlicher Intelligenz, Mimi Ọnụọha, Installationsansicht, Gropius Bau (2023)
Foto: Luca Girardini
Was wäre, wenn KI die Unterhaltungen der Natur für uns entschlüsseln könnte? — kennedy+swan
Ether’s Bloom: Ein Programm zu Künstlicher Intelligenz, kennedy+swan, Installationsansicht, Gropius Bau (2023)
Foto: Luca Girardini
In der von kennedy+swan entworfenen Welt wird die Vorherrschaft des Menschen von einem gleichberechtigten Zusammenleben mit Pflanzen und Tieren abgelöst. In seinen Videos, XR-Experiences und 3D-Scans von handgefertigten Modellen beleuchtet das Duo, wie tiefgreifend und produktiv KI-Technologien für diese Beziehungen zwischen Spezies sein können.
Die für den Gropius Bau entwickelte Arbeit Mixed Signals (2023) beschäftigt sich mit der außergewöhnlichen Verbindung von Künstlicher Intelligenz, nicht-menschlichen Kommunikationssystemen und den Menschen, die mit diesen Systemen umgehen. Während Künstliche Intelligenz oft als Symbol für die Entfremdung von der Natur angesehen wird, eröffnen die Aquarelle und Augmented-Reality-Arbeiten von kennedy+swan überraschende Möglichkeiten, um sich auf verschiedene Formen der Intelligenz von Flora und Fauna einzulassen.
So zeigt die Serie unter anderem Roboterbienen, die in echte Bienenstöcke eindringen, den Einsatz von KI zur ldentifizierung der Artenvielfalt in Wäldern oder eine meditierende Kuh, die Erleuchtung erlangt - und damit dominante Annahmen über das Erkenntnisvermögen von Tieren in Frage stellt. kennedy+swan betrachten Natur als ein sich selbst entwickelndes neuronales System – wenn auch eines, das teilweise jenseits des menschlichen Verständnisses existieren mag.
Jedes Aquarell kann mit einer mobilen App gescannt werden, wodurch eine Augmented-Reality-Szene aktiviert wird, die die Erzählung erweitert. Das Projekt ist nicht nur eine einladende und interaktive Visualisierung nicht-menschlicher Intelligenz, sondern zum Teil auch das Ergebnis von KI selbst, da ChatGPT als Partner bei der Programmierung der Mixed Signals App fungierte.
Wie können wir die organisch-planetarische Intelligenz, die wir in uns tragen, entschlüsseln? — Patricia Domínguez
Patricia Domínguez’ Arbeiten erforschen ökologische Mythenbildungen, die Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Spezies und die Digitalisierung des Lebens im Spätkapitalismus. Mit ihren Skulpturen, Videos, Publikationen und Bildungsprojekten, die von ihrer Forschung zu Ethnobotanik und Heilpraktiken inspiriert sind, betrachtet Domínguez Kunst als ein Werkzeug der dekolonialen Emanzipation.
Ihre Arbeiten erforschen verschiedene Dimensionen spiritueller und nicht-menschicher Intelligenzen. Das Video Holographic Milk (2021) entstand nach einem Forschungsaufenthalt der Künstlerin am CERN, der Europäischen Organisation für Kernforschung, und dem intensiven Austausch mit chilenischen Heiler*innen. Es nimmt die Zuschauer*innen mit auf eine innere Entdeckungsreise durch Spiritualität, ökologische Prophezeiungen und Quantenphysik. Aufgebaut wie ein meditatives Gebet, beschäftigt sich das Video mit organischer Materie als ein eigenes lnformationssystem.
Madre Drone (2019-2020) basiert auf Erlebnissen der Künstlerin in der Region Chiquitania in Bolivien: In Folge der Brände im Amazonas und den darauf antwortenden Protesten im benachbarten Chile, wurden ganze Lebensräume zerstört und Tiere und Menschen verletzt zurückgelassen; viele Protestierende erblindeten durch die eingesetzte Polizeigewalt. Die Arbeit beschwört eine neue Vision herauf, die Technologie und planetarisches Gedächtnis miteinander verbindet. Durch diesen Einblick in die Sphäre der Pflanzen und Begegnungen mit einer Schlangenfrau, einem blinden Tukan, psychedelischen Kakteen und Anti-Drohnen-Lasern, kann mit Madre Drone eine schamanische Erfahrung inmitten zukunftsweisender, verwobener Welten beobachtet werden. Es ist eine Einladung, über unsere Beziehungen zu Maschinen und Pflanzen nachzudenken und darüber, was wir hiervon über Künstliche lntelligenz lernen können.
Ether’s Bloom: Ein Programm zu Künstlicher Intelligenz, Patricia Domínguez, Installationsansicht, Gropius Bau (2023)
Foto: Luca Girardini