Ausstellungstexte

Rirkrit Tiravanija: DAS GLÜCK IST NICHT IMMER LUSTIG

Einleitung

Seit über drei Jahrzehnten erweitert Rirkrit Tiravanija die Vorstellung davon, was in Ausstellungen passieren kann. Als Teil seiner Praxis stellt der Künstler Situationen her, die zum Essen, Trinken, Spielen und Ausruhen einladen. Dabei entstehen Räume für zufällige Begegnungen, soziale Beziehungen und deren Scheitern – kurz gesagt: für das Leben. Seine frühen Kochaktionen begeisterten und verunsicherten die Besucher*innen gleichermaßen: Sollten sie das Angebot annehmen und mitmachen, aus der Entfernung zuschauen oder einfach weiterziehen?

Als Sohn eines thailändischen Diplomaten ist Tiravanija auf vier Kontinenten aufgewachsen. Geprägt durch diese Erfahrung bezieht er unzählige Formen kultureller Übersetzungen in seine Arbeitsweise ein. Im Gebrauch verschiedener Sprachen und Referenzen – von Zitaten aus Kunst, Film und Architektur bis hin zu persönlichen Erfahrungen – machen seine offenen Werke Gegenvorschläge zu den festgeschriebenen und einseitigen Erzählungen, die in vielen Kulturinstitutionen vorherrschen.

Tiravanija, der unter anderem in Berlin lebt und arbeitet, verweist in den hier gezeigten Arbeiten immer wieder auf kulturelle Klischees und die politischen Verhältnisse in Deutschland. So zitiert die Ausstellung mit ihrem Titel DAS GLÜCK IST NICHT IMMER LUSTIG Rainer Werner Fassbinders gesellschaftskritischen Film Angst essen Seele auf (1974). Sie versammelt Werke von 1987 bis heute, die danach fragen, was Kunst ist und wofür wir sie gebrauchen können.

Rirkrit Tiravanija, untitled 2024 (السؤال هو غداً) (tomorrow is the ques-tion) (morgen ist die frage) (jutro jest pytaniem) (завтра это вопрос) (yarindir soru) (Завтра питання) (ngày mai là câu hỏi) / untitled 2024 (demo station no. 8), 2024, Installationsansicht, Rirkrit Tiravanija: DAS GLÜCK IST NICHT IMMER LUSTIG, Gropius Bau, 2024 © Gropius Bau, Foto: Guannan Li

Thaipark Cooking Demonstration, Gropius Bau, 2024 © Gropius Bau, Foto: Guannan Li

„Irgendwann habe ich einfach den Topf aus der Museumsvitrine genommen und Curry darin gekocht.“

— Rirkrit Tiravanija

Was und wie wir essen, kann viel darüber erzählen, wer wir sind und wo wir leben. Kochen und gemeinsames Essen haben immer auch eine soziale und politische Bedeutung. Als Rirkrit Tiravanija Anfang der 1990er Jahre damit begann, in Ausstellungen Speisen und Getränke anzubieten, spielten diese Überlegungen eine wichtige Rolle. Das Publikum fand sich in Situationen wieder, in denen es das Kunstwerk aktiv mitgestaltete. Dabei ging es nicht nur um die spezifischen Zutaten und Gerichte, auch die Menschen und ihre Interaktionen wurden mit ausgestellt.

Diese Arbeiten bieten Möglichkeiten für eigenes Handeln und sind geprägt durch die Betonung von Prozess, Vergänglichkeit und Zufall – Themen, die in den 1960er Jahren bereits die Kunstbewegung Fluxus beschäftigten. Bei Tiravanija geschieht dies jedoch vor dem Hintergrund seiner Idee der „kulturellen Wiederherstellung“: Objekte aus kunst- und kulturhistorischen Sammlungen ins Leben zurückzuholen und sie als Bestandteil kultureller Zusammenhänge erfahrbar zu machen.

„Wenn ich einen Buddha sehe, dann sehe ich etwas anderes, und was ich sehe, fehlt in der musealen Präsentation.“

– Rirkrit Tiravanija

Während seines Kunststudiums in Nordamerika war Rirkrit Tiravanija bei Museumsbesuchen immer wieder auf historische Ausstellungsstücke gestoßen, die ihm aus der thailändischen Kultur vertraut waren – Buddha-Statuen etwa, Schalen oder andere Gefäße. Wie waren sie in die Museen gekommen? Warum wurden sie mal als Kunstwerke, mal als Alltagsgegenstände ausgestellt? Fern ihrer Herkunftsorte, isoliert auf Sockeln oder in Vitrinen, waren sie ihrer eigentlichen Funktion beraubt.

Im Geiste der künstlerischen Bewegung der Institutionskritik beschäftigte Tiravanija sich gegen Ende seines Studiums mit den Denksystemen und Methoden, die der Museumsarbeit zugrunde liegen. Mit einem kritischen Blick auf die europäische Kunstgeschichte und die Ethnologie wandte er sich gegen die Aneignung von Objekten durch westliche Institutionen. In diesen frühen Arbeiten setzte er sich insbesondere damit auseinander, wie Ausstellungsstücke in Kategorien eingeteilt und präsentiert werden. 1989 zeigte er zum ersten Mal, was ihm als Alternative vorschwebte: den „Topf aus der Museumsvitrine holen und darin kochen.“ Die Idee war, Alltagsgegenstände für die Zwecke zu nutzen, für die sie gemacht worden waren. In seinen Arbeiten lädt Tiravanija dazu ein, über die kulturelle Bedeutung und die soziale Funktion dieser Gegenstände nachzudenken.

Rirkrit Tiravanija, untitled 1987 (text in red and black), 1987, Installationsansicht, Rirkrit Tiravanija: DAS GLÜCK IST NICHT IMMER LUSTIG, Gropius Bau, 2024 © Gropius Bau, Foto: Guannan Li

Rirkrit Tiravanija, untitled 2014-2016 (curry for the soul of the forgotten), 2014-2016, Installationsansicht, Rirkrit Tiravanija: DAS GLÜCK IST NICHT IMMER LUSTIG, Gropius Bau, 2024 © Gropius Bau, Foto: Guannan Li

„Wir erkennen nicht, was wir nicht sehen.“

– Rirkrit Tiravanija

Was wir über die Welt und unsere unmittelbare Umgebung wissen, lernen wir nur selten durch direkte Erfahrung. Etwas zu erkennen heißt häufig, wiederzuerkennen, was andere vor uns schon gesehen haben. Anfang der 1990er Jahre beschäftigte sich Rirkrit Tiravanija mit der Frage, welche Bilder und Traditionen unsere Vorstellungen formen. Seine Kritik galt der Art und Weise, wie die Ethnologie ganze Regionen, Menschen und Gegenstände beobachtet, benennt und kategorisiert. Im Tourismus erkannte er eine ähnliche Tendenz, „Fremdes“ den vertrauten Wahrnehmungsmustern unterzuordnen. Tiravanija kehrte diese Blickrichtung in einigen Arbeiten um, etwa indem er Tourist*innen dabei fotografierte, wie sie Fotos von Orten machten, die ihnen womöglich fremd oder besonders erschienen.

Historisch gesehen dienten Landkarten – später auch Fotografie und Film – oftmals dazu, den herrschenden Blick festzuschreiben. Tiravanija hingegen nutzt solche Mittel der Aufzeichnung, um diesen Blick zu reflektieren und das Sehen selbst zum Thema zu machen: wie wir auf die Welt schauen, und die Voraussetzungen, unter denen das geschieht.

„In allen Arbeiten, die ich je gemacht habe, geht es um die Position, die ich in der westlichen Welt einnehme und die ich versucht habe, zu verstehen.“

– Rirkrit Tiravanija

„Mapping“ ist eine künstlerische Praxis, die reale oder gedankliche Räume erforscht und Verhältnisse bildlich darstellt. Mit Diagrammen, Karten oder Bildern stellen Künstler*innen Verbindungen zwischen verschiedenen Dingen her. Sie legen dabei verborgene Zusammenhänge offen und schaffen einen Überblick über komplexes Terrain, zum Beispiel eine politische Landschaft.

Als Künstler, der in mehr als einer Kultur zuhause ist, hat Rirkrit Tiravanija Verfahren des Mappings auch auf sich und seine Erfahrungen angewandt. Indem er Abbildungen eigener Kunstwerke mit Verweisen auf Vorbilder, Recherchen oder biografische Ereignisse kombinierte, erstellte er „Landkarten“ seines künstlerischen Schaffens. Sie dienen der Orientierung, sind aber alles andere als eindeutig. Vielmehr laden sie dazu ein, die Bilder und Informationen immer wieder anders miteinander zu verknüpfen. Gleichzeitig entstanden Arbeiten darüber, wie Identität bürokratisch erfasst wird, etwa in Form von Pässen oder der Unterschrift. Auch diese Werke lassen sich als Mappings verstehen: als Rückblick auf Tiravanijas Reisen, als Nachdenken über Identität und als Beschäftigung mit dem Genre des Selbstportraits.

Rirkrit Tiravanija, untitled 2008-2011 (the map of the land of feeling) III, 2008-2011, Installationsansicht, Rirkrit Tiravanija: DAS GLÜCK IST NICHT IMMER LUSTIG, Gropius Bau, 2024 © Gropius Bau, Foto: Guannan Li

Rirkrit Tiravanija, untitled 1995 (bon voyage monsieur ackermann), 1995, Detail, Rirkrit Tiravanija: DAS GLÜCK IST NICHT IMMER LUSTIG, Gropius Bau, 2024 © Gropius Bau, Foto: Guannan Li

„Ich bin schon immer gereist, es geht dabei um Veränderung und um Verschiebung, darum, sich zu bewegen, um sich daran zu erinnern, dass man lebt.“

– Rirkrit Tiravanija

Das Reisen ist ein viel behandeltes Thema in der westlichen Kunstgeschichte. Bereits vor mehreren Jahrhunderten reisten Künstler*innen in andere Länder und hielten ihre Eindrücke in Zeichnungen und Gemälden fest – oftmals auf verklärende Weise. Rirkrit Tiravanija griff diese Praxis in den 1990er Jahren auf, jedoch in einer Art Umkehrung der Verhältnisse. Seine Reisen verstand er als symbolische Gegenbewegung und bezeichnete sie einmal als „Tourismus gegen den Westen“.

Mehrfach machte Tiravanija die Anreise zu Biennalen und Museen zum Bestandteil seiner Kunst. Mit dem Auto, dem Fahrrad oder zu Fuß durchquerte er Landschaften, besuchte Orte und bekochte unterwegs die Menschen, die er traf. Die stundenlangen Videoaufzeichnungen seiner Reisen dienten der Dokumentation, aber sie waren auch ein Verweis auf die zeitliche Dimension von Ausstellungen – auf die monatelange Produktionsphase und den aufwendigen Kunsttransport, die der Eröffnung vorausgehen.

„Es ging immer darum, den Kontext und die Strukturen zu hinterfragen, die die Kunst ausmachen.“

– Rirkrit Tiravanija

Üblicherweise erhalten Ausstellungsbesucher*innen keine Einblicke in die Arbeitsabläufe von Museen und Galerien. Im Mittelpunkt steht die Kunst, über die Menschen hinter den Kulissen erfährt man wenig. Auch die Regeln und unausgesprochenen Gesetze, die Ausstellungen und dem Kunsthandel zugrunde liegen, bleiben zumeist verborgen. Rirkrit Tiravanija machte von Beginn an auf diese Bedingungen aufmerksam. Ein Mittel war, den normalen Lauf der Dinge zu unterbrechen und die Verhältnisse auf den Kopf zu stellen.

So nutzte er ab 1992 Ausstellungen, um die Galerien selbst zu präsentieren – als Kunst. Mal versammelte er das Mobiliar und alle beweglichen Gegenstände aus den Büros im Ausstellungsraum und platzierte das Personal darin. Ein anderes Mal ließ er die Galeristen die Geschichte ihrer Galeriegründung und ihren Tagesablauf nachstellen. Es entstanden institutionelle Portraits in Anlehnung an die Praxis der Institutionskritik, mit der Künstler*innen seit den 1960er Jahren die Verhältnisse im Kunstbetrieb hinterfragen.

Rirkrit Tiravanija, untitled 1992 (cure), 1992, Installationsansicht, Rirkrit Tiravanija: DAS GLÜCK IST NICHT IMMER LUSTIG, Gropius Bau, 2024 © Gropius Bau, Foto: Guannan Li

irkrit Tiravanija, untitled 2022 (chance will never abolish), 2022, Installationsansicht, Rirkrit Tiravanija: DAS GLÜCK IST NICHT IMMER LUSTIG, Gropius Bau, 2024 © Gropius Bau, Foto: Guannan Li

„Ich beschreibe meine Textarbeiten meistens als Straßenschilder. Wie wenn man auf der Autobahn an einem großen Schild vorbeifährt und die Worte aufschnappt, die darauf stehen.“

– Rirkrit Tiravanija

Kommunikation ist die Grundlage des gesellschaftlichen Miteinanders. Was gesagt werden kann und wie, muss immer wieder ausgehandelt werden, ob auf privater Ebene oder in der öffentlichen Diskussion. Sprache und Text tauchen schon früh in Rirkrit Tiravanijas Arbeit auf, zum Beispiel in Form von handschriftlichen Notizen, getippten Listen und Rezepten. Seit 2003 arbeitet der Künstler auch verstärkt mit Slogans und Parolen. Oft handelt es sich um Zitate, die er in politischen Debatten, in der Kunst oder in den Medien findet. Auch eigene Textelemente kommen vor. Viele der Sprüche verwendet der Künstler über Jahre hinweg: Übersetzt in verschiedene Sprachen erscheinen sie mal als Malerei auf Zeitungspapier oder auf Wänden, mal gedruckt auf Flaggen, T-Shirts oder Tischtennisplatten.

Viele von Tiravanijas Arbeiten zielen auf die Bereitschaft ab, miteinander zu kommunizieren, etwa wenn man gemeinsam isst und trinkt, zusammen Tischtennis spielt oder mit anderen Musik macht. Die dabei erfahrbaren Herausforderungen und Spannungen werden Teil der Arbeit: Wer traut sich, öffentlich das Wort zu ergreifen? Welche Regeln gelten und wer bestimmt sie?

„Kunst hat immer versucht, den Menschen die Möglichkeit zu geben, frei zu handeln. Frei zu denken, frei zu sehen, frei zu hören.“

– Rirkrit Tiravanija

Immer mehr Museen und Ausstellungshäuser verstehen sich als soziale Orte, an denen sich Menschen begegnen. Wie an vielen Orten gibt es Vorgaben, die das Verhalten der Besucher*innen regulieren. Partizipative Kunst, die das Publikum zur aktiven Mitgestaltung einlädt, fordert diese Vorgaben heraus. Sie möchte einen Raum schaffen, in dem sich das gesellschaftliche Miteinander beispielhaft erproben lässt. Ein Vorbild hierfür sind die Kunstformen des Environments und des Happenings, die bereits in den 1960er Jahren zur Interaktion mit der Kunst aufforderten.

Rirkrit Tiravanija griff auf diese Formen zurück, als er begann, das Publikum aktiv in seine Kunstwerke einzubeziehen. Dabei konnte er beobachten, wie die Besucher*innen die Räume für sich einnahmen und sie belebten. Er entschied, als Künstler in seinen Werken selbst weniger präsent zu sein und überließ den Besucher*innen buchstäblich die Bühne: Seit Ende der 1990er Jahre baut Tiravanija Plattformen in Ausstellungsräume und lädt dazu ein, diese zu benutzen.

Rirkrit Tiravanija, untitled 1996 (rehearsal studio no. 6), 1996 / untitled 1998 (das soziale kapital) (sign), 1998, Installationsansicht, Rirkrit Tiravanija: DAS GLÜCK IST NICHT IMMER LUSTIG, Gropius Bau, 2024 © Gropius Bau, Foto: Guannan Li