Konferenz | Thinking Together

Time Wars

Thinking Together – Konferenz, Teil 1 | Teil 2

Haus der Berliner Festspiele © Phillip Aumann

Haus der Berliner Festspiele © Phillip Aumann

Es herrscht Krieg zwischen den Zeitlichkeiten. Weniger sichtbar vielleicht als die zahllosen materiellen und immateriellen Konflikte, die uns umgeben – aber nicht weniger real. Der systemische Zeit-Krieg des Turbo-Kapitalismus; die Ausbreitung nicht-menschlicher, digitaler Zeitregime; die langsame Gewalt der Umweltzerstörung; die unerbittlichen Tempi und Zeitspannen der Medienpräsenz; der permanente Ausnahmezustand im Dienste einer mutierten Kriegsführung ohne Ende und Ziel; die enteigneten Zeitlichkeiten der Migration – dies sind nur einige der zeitbezogenen Kräfte, die in unserer Gegenwart wirken.

Thinking Together 2018 beabsichtigt, unsere Gegenwart durch die Linse der Zeit zu betrachten, kollektiv zu bedenken, was wir „Zeitwesen“ von heute, gefangen zwischen divergierenden und kollidierenden temporalen Kraftfeldern, täglich erleben und erfahren. Flexibilisierung, Fragmentierung, das Ausreizen der Aufnahme- und Leistungsfähigkeit; schrumpfende, gedehnte, verzerrte Zeithorizonte; der Schwindel reziproker Schnelligkeit, Langsamkeit und Scheingeschwindigkeit; der Verlust des Anspruchs und Anrechts auf Zeit.

Vielleicht heute mehr denn je ist Zeit – als politische Kategorie – entscheidend beim Versuch, die Wirren der Gegenwart lesen zu lernen.

Das Diskurs-Format „Thinking Together“ widmet sich dem Phänomen Zeit in seinen gesellschaftlich-politischen, philosophischen und künstlerischen Dimensionen. Es stellt Raum für transdisziplinären Gedankenaustausch, Experiment, kollektives Lernen und Verlernen zur Verfügung. Frei zugänglich, bildet das Projekt eine Kontaktzone für Besucher*innen, Künstler*innen des Festivals und internationale Gäste.

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Helge Jordheim
Synchro Wars: Revolution, Crisis, and Traffic Jams – Synchro-Kriege: Revolution, Krise und Verkehrsstaus

Wenn die Zeiten miteinander im Krieg stehen – wie es der Titel dieser Konferenz nahelegt – dann suggerieren Anpassung und Angleichung, die Synchronisierung der Zeiten, einen Zustand von Frieden und Harmonie. Utopien wollen die Zeit anhalten oder zumindest so weit verlangsamen, dass Veränderungen oder Störungen nicht stattfinden können. Allerdings wäre auch ein Anhalten der Zeit nicht frei von Risiken, denn damit würde unser Blick von der Zukunft auf die Gegenwart gelenkt, vom stets zurückweichenden Horizont auf den schmerzhaft gegenwärtigen, aufdringlichen Nachbarn. Andererseits ist die erfolgreiche Angleichung verschiedener Zeiten, und damit auch Menschen, eine Vorbedingung des Wandels, der Revolution. In diesem Vortrag soll die Politik der Synchronisierung behandelt werden, unter Einbeziehung klassischer Werke von Ernst Bloch, Reinhart Koselleck, Benedict Anderson und Hartmut Rosa sowie der Geschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts und der heutigen Physik von Verkehrsstaus.

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Rana Issa
Stranger Times – Fremde Zeiten

„Stranger Times“ („Fremde Zeiten“) reflektiert eine Haltung zur Gegenwart, die bestimmt, wie Fremde außerhalb ihrer angestammten Lebensräume am Leben bleiben. Sie reflektiert die Figur des Fremden in Beziehung zu Politik und Zeitlichkeiten der Gegenwart. Der Fremde wird als eine Person definiert, die paradoxerweise sowohl befreit als auch in Strukturen von Stamm und Staat fixiert ist. Diese Paradoxie zeigt sich als Zustand der Nicht-Synchronizität mit der Gegenwart und identifiziert die Fremdheit des Fremden. Syrer*innen sind ein Extrembeispiel für diejenige Beziehung zum Gegenwärtigen, die hier „Fremde Zeiten“ genannt wird. Wie an zahlreichen Orten der Welt, wurden die Menschen in Syrien unter dem Druck von Prozessen der Produktionsbeschleunigung und der Verewigung tyrannischer Herrschaftsweisen zu Fremden. Filme und Textnarrative sollen das Fremde in unterschiedlichen Kontexten beschreiben. Eine Betrachtung der Figur des Fremden durch 40 Jahre syrischer Kulturproduktion dient zur Untersuchung der Art und Weise, wie Fremde die Gegenwart erfassen, konstruieren und organisieren. Fremde gelangen an bereits bewohnte Orte und haben eine eigene Vergangenheit, die für ihre Gesprächspartner*innen unvorhersehbar und unbekannt ist. Sie stören, sind nicht im Gleichklang, wie Neugeborene, die die Tageszeiten noch nicht gelernt haben.

Die Fremden, die hier untersucht werden, überleben, indem sie in einen Markt und einen politischen Raum eindringen, der keinen Platz für sie hat. Manche übersetzen, andere kommunizieren durch andere Methoden. Sie alle beschleunigen ihre Schritte und versuchen, sich eine neue Vergangenheit anzueignen, sowie eine neue Sprache, die sie in dieser neuen Umgebung verwurzeln kann.

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Terre Thaemlitz
Secrecy Wave Manifesto (Naisho Wave Manifesto)

Ist Stille eine Form der Kommunikation und Selbsterkenntnis? Welche Rolle spielt die digitale Offline-Kultur hinsichtlich der Verbreitung kultureller Werke? In diesem multimedialen Vortrag mit dem Titel „Secrecy Wave Manifesto (Naisho Wave Manifesto)“ spricht sich Terre Thaemlitz für den strategischen Einsatz von Schweigen und Verborgenem aus. Dabei untersucht sie das problematische Verhältnis zwischen digitaler Online-Distribution und kritischer Kulturarbeit und zeigt, wie die Logik der hegemonialen Internetplattformen der sozialen Dynamik kleinerer Gemeinschaften und Subkulturen zuwiderläuft. „Secrecy Wave Manifesto“ wurde für die erste Ausgabe des japanischen Kulturmagazins „Farben“ im Juni 2014 produziert.

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Marc Couroux
Memories of My Temporal Illness – Denkwürdigkeiten eines Zeit-Kranken

Während meiner Zeit als Konzertpianist geschah es immer wieder, dass ich mich von der Zeit löste, ganz wie Kurt Vonneguts Romanfigur Billy Pilgrim. Ein pathologischer Zustand, könnte man meinen, aber er führte zu einer andauernden Vertrautheit mit chronoklastischen Methoden, die auf Kommunikation über separate Zeitperioden hinweg und der Beschäftigung mit fremden (& entfremdenden) Formen von Zeit basieren – wie Portale, die sich hin zu einer Vielzahl koexistierender zeitlicher Formen öffnen, die in der veränderlichen Gegenwart wahrnehmbar sind. So ist zum Beispiel die Einführung kapitalistischer Vektoren in die Mikro-Zeitlichkeiten des Alltags allgemein bekannt, die uns an eine niemals endende Gegenwart fesselt und unsere Verschuldung anheizt, um weitere Horizonte des Begehrens zu unterdrücken: nach gesellschaftlicher Kontrolle.

Chrono-Ökonomie als eine geheime Disziplin, kybernetisch vollbracht mit voller Kooperation unserer Wahrnehmung. Im Glauben, dass die Dividualisierung der Zeit gemeinsam mit den heimtückischen, möbius’esken Zeitlichkeiten von Normalisierung und Ansteckung, gemäß derer das Unvorstellbare zu tragfähiger Währung wird, aktiv in der Komödie politscher Schrecken, die die sozialen Medien dominieren. Chronoplastizität. Und mit den gleichermaßen heimtückischen chronischen Zuständen von Stress, Depression und langsamem Sterben, die möglicherweise sämtlich an die Oberfläche geratene Auswirkungen von Zeitlichkeiten außerhalb eines individuellen Agens darstellen. Durch Oswald Stores Installation „November 22 1963 12:30 5:30 CST ABC WFAA CBS NBC“ kam ich zum ersten Mal mit der Art und Weise in Berührung, wie traumatische Ereignisse die Zeit in unterschiedliche Taktilitäten umwandeln, formbar und profitbringend operationalisiert, zumeist von Kräften jenseits der bewussten Wahrnehmung. Um zwischen diesen Zeitskalen und Chronotexturen zu wechseln, muss man die richtigen Fallen stellen, oder zumindest Methoden erfinden, die ihre Veranlagungen erfassen, um sie umzufunktionieren und möglicherweise die Zeit und das Chronopolitische anders darzustellen. So könnte man dies als anachronischen Sprung verstehen, der Tiqquns Relayschaltung aus „l’hypothèse cybernétique“ aufgreift, um die parasitäre Unterwanderung der zeitlichen Währungen von heute mit einem Rückzug in Zonen der Undurchsichtigkeit zusammenzudenken, in denen experimentelle Lebens- und Zeitformen Wurzeln schlagen können.

12:00 Helge Jordheim
Synchro Wars: Revolution, Crisis, and Traffic Jams – Synchro-Kriege: Revolution, Krise und Verkehrsstaus

13:30 Rana Issa
Stranger Times – Fremde Zeiten

15:00 Terre Thaemlitz
Secrecy Wave Manifesto (Naisho Wave Manifesto)

16:30 Marc Couroux
Memories of My Temporal Illness – Denkwürdigkeiten eines Zeit-Kranken