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Das Jazzfest Berlin 2021 fand vom 4. bis 7. November statt.
Nach einer digitalen New York-Berlin-Ausgabe im ersten Pandemiejahr folgte das Jazzfest Berlin 2021 der improvisierten Musik in drei weitere Kulturmetropolen: Kairo, São Paulo und Johannesburg. In intensiver Zusammenarbeit mit Musiker*innen und Kooperationspartner*innen vor Ort hatte das Festivalteam ein diverses Programm aus teils vorproduzierten, teils live stattfindenden Konzertformaten entwickelt, das die Musikalität, Innovationskraft und interdisziplinäre Experimentierfreude der lokalen Szenen dieser Städte ebenso zur Geltung brachte wie ihre jeweils spezifische (Selbst-)Verortung zwischen globalem Jazzkanon und dem reichhaltigen musikalischen Erbe ihrer Region.
Dabei zeigte sich im mehrmonatigen Austausch mit den Co-Kurator*innen – Maurice Louca für Kairo, Juliano Gentile und Manoela Wright für São Paulo, und Jess White für Johannesburg – auch eine Gemeinsamkeit: Alle drei der genannten Städte bilden vor Kreativität sprudelnde urbane Zentren inmitten postkolonialer Gesellschaften, in denen das komplexe Verhältnis von Globalisierung und kulturellem Erbe, Innovation und Tradition, Emanzipation und dem Rückbezug auf multiple kulturelle Wurzeln derzeit neu ausgelotet wird. Dieses Reibungsfeld hat nicht nur in jeder der drei Städte einen eigenen, charakteristischen Sound geprägt. Es hat auch spezifische Zugänge zu Fragen von kultureller Identität und gesellschaftlichen Selbstverortungen der aktuellen musikalischen Avantgarden freigelegt, an die das Festivalprogramm in Diskursformaten und einer Story zu jedem Städte-Fokus anknüpfte.
Neben Live-Konzerten von Maurice Louca, Mariá Portugal und Nduduzo Makhathini, die sich als prägende Figuren dieser Szenen zum Festivalzeitraum in Berlin aufhielten, war das musikalische Programm der Städte-Partnerschaften in Anbetracht der von Land zu Land unterschiedlichen pandemischen Lage aus Berliner Sicht größtenteils in Form von Videoarbeiten und Livestreams zu erleben. Eine eigens dafür entwickelte Multiscreen-Umgebung in der Betonhalle des silent green wurde dabei zum Dreh- und Angelpunkt eines hybriden, dezentralen Festivalkonzepts. Vier unabhängig bespielbare Projektionsflächen, die den Zuschauerraum von allen Seiten umgeben, dienten gleichermaßen als kreative Spielfläche für audiovisuelle Auftragsarbeiten aus São Paulo – unter anderem von Negro Leo und Quartabê – als auch als digitale Fenster zum Live-Geschehen im Sognage in Johannesburg, wo am Freitag- und Samstagabend ein abwechslungsreiches Line-up aus südafrikanischen Musiker*innen von Sibusile Xaba bis Siya Makuzeni vor Publikum auftrat. Im Wechsel mit Berliner Live-Konzerten im silent green wurden die Konzerte aus Johannesburg live und mehrkanalig in die Betonhalle übertragen und umgekehrt. Zu den Beiträgen aus Kairo zählten unter anderem ein Filmprojekt der Multiinstrumentalistin Nancy Mounir und eine Videoarbeit von Philip Rizk in Kooperation mit Musiker*innen der Kairoer Experimentalszene, darunter Nadah El Shazly.
Führende musikalische Stimmen der New Yorker und Berliner Avantgarde – wie Nate Wooley, Aki Takase, Susan Alcorn, Cymin Samawatie oder Sylvie Courvoisier – standen in einem umfangreichen Live-Programm wieder auf den Bühnen Berlins. Neben dem Sognage in Johannesburg und dem silent green in Berlin-Wedding fanden an zwei weiteren besonderen Orten der Berliner Kulturlandschaft Live-Konzerte vor Publikum statt: Das beeindruckende Interieur der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche wurde von Nate Wooleys „Seven Storey Mountain“, Maria Faust & Sacrum Faceres „Organ“ und Ståle Storløkken mit einem Orgelsolo gleich an drei aufeinanderfolgenden Festivaltagen musikalisch in Szene gesetzt. Und in einer erstmaligen Kooperation mit dem Pierre Boulez Saal stand gleich zum Eröffnungsabend – wie auch im weiteren Verlauf des Festivals immer wieder – das Klavier im Vordergrund: US-Pianist Vijay Iyer war dort in einem dreiteiligen Konzert ebenso zu erleben wie Kaja Draksler und der schwedische Altstar Bobo Stenson.
Die Jazzfest Berlin Radio Edition knüpfte an ein Kooperationsmodell aus dem Vorjahr an, das der eindrucksvollen Vielfalt des Jazz in Deutschland gewidmet ist. In Zusammenarbeit mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und deren Rundfunksälen präsentierte das Festival in diesem Jahr fünf spannende Projekte aus dem Sendegebiet der entsprechenden Landesanstalten – vier davon online als Konzertaufzeichnungen und eines als Live-Konzert im Kleinen Sendesaal des rbb.
Auch dieses Jahr konnten Sie darüber hinaus dank unserer Medienpartnerschaften das Festival wieder live im Videostream auf ARTE Concert und auf unserer Online-Plattform Jazzfest Berlin On Demand sowie im Radio auf den Sendefrequenzen der ARD-Rundfunkanstalten und Deutschlandfunk erleben.
Nadin Deventer
Künstlerische Leitung Jazzfest Berlin
Berlin, November 2021