Konzert
Porträt Ruth Crawford Seeger: Lieder
David Niemann, Leitung
León / Balch / Crawford Seeger / Beyer
Eine Axt für das gefrorene Meer in uns: Ruth Crawford Seeger, Holzstamm und Freund Carl Sandburg, ca. 1930 © peggyseeger.com
Ruth Crawford Seeger war als Komponistin nicht nur Teil der ultramodernistischen Strömung, die die Möglichkeiten von Musik jenseits der europäischen Traditionen erkunden wollte, sie war auch Erforscherin der folkloristischen Musik der USA und beeinflusst von Theosophie. Eine Frau ihrer Zeit, der Geschwindigkeit der Zwischenkriegsjahre, und ihr doch so weit voraus – das Musikfest Berlin und das Ensemble Modern widmen ihr ein dreiteiliges Konzert-Porträt und lassen ihre musikalische Welt in Dialog treten mit Zeitgenossinnen und Komponistinnen der Gegenwart.
Jenseits der Tonalität, hochexpressiv und von klarer Struktur: Ruth Crawford Seeger, die mit Unterstützung eines Guggenheim Stipendiums Anfang der 1930er-Jahre in Berlin lebte, war eine bemerkenswerte Pioniergestalt der amerikanischen Moderne. Sie komponierte hochoriginelle Werke wie die „Three Songs” nach Gedichten von Carl Sandburg, einen oft surreale Züge annehmenden Zyklus, in dem zwei unabhängige Klanggruppen aufeinandertreffen: ein „Concertino“ und ein „Ostinato“ aus dreizehn Spieler*innen, die möglichst weit von den Solist*innen entfernt zu platzieren sind. Im ersten der drei Konzerte, in denen sich das Ensemble Modern Ruth Crawford Seegers Gesamtwerk annimmt, stehen auch die beiden Ricercari „Sacco, Vanzetti“ und „Chinaman, Laundryman“ auf dem Programm, deren halb gesungene und halb gesprochene Texte vom Elend ausgebeuteter Einwanderer und dem umstrittenen Sacco-Vanzetti-Prozess von 1921 handeln, in dem zwei Italo-Amerikaner in einem fragwürdigen Verfahren zum Tod verurteilt wurden. Humor und erzählerische Schlichtheit in der Art von Prokofjews „Peter und der Wolf“ findet sich demgegenüber in der Kindersuite „The Adventurer of Tom Thumb”, deren Text nach dem „Kleinen Däumling“ der Gebrüder Grimm die Komponistin selbst verfasst hat. Eingeleitet wird der Abend von der 1938 entstandenen Elektro-Komposition „Music of the spheres” der New Yorker Komponistin Johanna Beyer: eine für „electrical Instruments“ und Triangel komponierter Klangstrom, der seiner Zeit weit voraus war. Ebenfalls zu hören: die phantastischen Klangwelten aus Katherine Balchs „waste knot” für Sopran, Ensemble und Audiokassetten sowie Tania Leóns „Indígena” für Kammerensemble.
Johanna Magdalena Beyer (1888 – 1944)
Music of the Spheres (1938)
für drei elektronische Instrumente
Ruth Crawford Seeger (1901 – 1953)
Five Songs (1929)
auf Gedichte von Carl Sandburg
für Altstimme und Klavier
Tania León (*1943)
Indígena (1991)
für Kammerensemble
Ruth Crawford Seeger (1901 – 1953)
Three Songs (1930 – 32)
auf Gedichte von Carl Sandburg
für Stimme, Oboe, Schlagzeug und Klavier
The Adventures of Tom Thumb (1925)
für Klavier und Sprecher
Katherine Balch (*1991)
Waste Knot (2021/22)
für Sopran, Ensemble und Audiokassetten
Ruth Crawford Seeger (1901 – 1953)
Two Ricercare (1932)
auf Gedichte von H. T. Tsiang
für Stimme und Klavier
Tania León (*1943)
Singin’ Sepia (1996)
Fünf Lieder nach Texten von Rita Dove
für Stimme und drei Instrumente
Amanda Becker – Sopran (Crawford Seeger)
Nina Guo – Sopran (Balch)
Keren Motseri – Sopran (León)
Ensemble Modern
David Niemann – Leitung
Paul Jeukendrup – Klangregie
Eine Veranstaltung der Berliner Festspiele / Musikfest Berlin
Gefördert aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds
Das Ensemble Modern dankt der Library of Congress in Washington für die freundliche Unterstützung bei der Notenrecherche von Ruth Crawford Seeger.
Mit freundlicher Unterstützung der Ensemble Modern Patronatsgesellschaft e.V.